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„Ich habe keine Lust, dass die Angst mein Leben beeinflusst“

von Julia Hackober


Bergsport mit Höhenangst? Das funktioniert, wenn man achtsam mit den eigenen Ängsten umgeht. Was man vom Bergsteigen über Mut lernen kann, darüber haben wir mit Journalistin und Kletter-Fan Katharina Heudorfer gesprochen.


Journalistin Katharina Heudorfer | myGiulia


Katharina Heudorfer ist im Allgäu, am Glasfels im Blautal, auf der ersten Mehrseillängenroute ihres Lebens unterwegs. Und das mit Höhenangst. „Mein Leben hängt an einem Bohrhaken“, schreibt die Journalistin und Bergsteigerin in ihrem Buch „Bergfreundinnen“, das sie mit ihren beiden Kolleginnen Katharina Kestler und Antonia Schlosser über die Freuden und Nöte am Berg verfasst hat.

Beim Lesen dieser Zeilen bekomme ich schwitzige Hände: an einem Felsen 20 Meter über dem Abgrund hängen? Nein danke! Katharina aber beschreibt in diesem Kapitel ihres Buchs, wie sie ihrer Höhen- und Fallangst begegnet: mit „Expositionstherapie“, was bedeutet, dass sie sich die Lust auf Abenteuer in den Bergen nicht von einem mulmigen Gefühl in luftiger Höhe nehmen lassen will – und eben trotzdem in die Berge geht.


Schließlich kann sich die 38-Jährige, die in Gilching bei München lebt, ein Leben ohne Berge nicht vorstellen: Sie ist passionierte Skitourengeherin und Bergsteigerin, nirgends könne sie besser runterkommen als in den Bergen, sagt Katharina. Ihr Traum: „Eines Tages will ich auf einem richtig hohen Berg stehen. Einem 6000er vielleicht, und dann irgendwann auf einem 7000er. Am liebsten in den Anden. Oder im Himalaja. Oder in Kirgistan.“


Zeit für ein Gespräch über Angst und Mut am Berg – und im restlichen Leben.



Liebe Katharina, kannst du dich erinnern, wann du das erste Mal am Berg richtig Panik erlebt hast?


Richtig Panik erleben – das will ich am Berg auf jeden Fall vermeiden! Bei mir ist es eher ein mulmiges, schwindeliges Gefühl, das mich in der Höhe überkommt. Früher habe ich das teilweise schon empfunden, wenn ich in einer Gondel richtig hoch oben über dem Abgrund hing und die Weite der Berge sah, das hat mir Angst gemacht. Heute weiß ich, dass es verschiedene Ausprägungen von Ängsten in der Höhe gibt: die klassische Höhenangst, die Fallangst, ein sogenannter Distanz-Schwindel. Oft vermischen sich diese Empfindungen, auch bei mir. Mich begleitet diese Angst jedenfalls schon fast mein ganzes Leben lang. Ich komme gebürtig aus Ulm, es ist mir aber noch nie gelungen, bis ganz nach oben auf den Turm des Münsters zu steigen! Ich hab‘s aber auch erst zwei Mal probiert.


Und trotzdem hast du mit 17 Jahren mit dem Klettersport angefangen. Wie kommt man denn mit Höhenangst auf die Idee?


Ich hatte einfach keine Lust, dass Angst mein Leben beeinflusst. Dass sich mir Unternehmungen und Erfahrungen verschließen, weil ich Angst davor habe. Also wollte ich unbedingt daran arbeiten, dass die Angst weniger wird – und habe angefangen zu klettern, weil ich mich auf diese Art wohl oder übel damit beschäftigen musste. Eine Art Expositionstherapie. Natürlich habe ich nicht von Anfang an schwierige Touren absolviert, sondern ganz gemütlich mit Freunden auf einfachen Routen angefangen. Das hat mich sehr viel Überwindung gekostet, aber ich habe eben auch gemerkt, wie wahnsinnig stolz ich war, wenn ich oben ankam. Das war für mich der Grund, dabei zu bleiben – weil ich spürte, je öfter ich mich diesen Situationen stelle, desto besser wird das mit der Angst.



“Ich hatte einfach keine Lust, dass Angstempfindungen mein Leben beeinflussen."


Du hast dich kürzlich dennoch für ein explizites Anti-Höhenangst-Coaching entschieden, um die Höhenangst bzw. Sturzangst zu überwinden. Warum?


Weil es eben für mich doch immer wieder Situationen am Berg gibt, in denen ich mich unwohl fühle. Ich wollte mir ein paar Tricks und Kniffe aneignen, die es mir erlauben, die Touren gehen zu können, auf die ich Bock habe. Ich wollte wissen, was ich konkret tun kann, wenn ich in Situationen am Berg gerate, in denen ich vielleicht noch nicht direkt blockiert bin, aber doch fühle: Oha, hier muss ich aufpassen.


Was hast du aus dem Höhenangst-Training mitnehmen können? Was tust du jetzt in genau solchen Situationen, die sich für dich brenzlig anfühlen?


Wenn man Angst vorm Abgrund hat: nicht nach unten schauen, sondern sich auf die nächste Umgebung fokussieren, etwa auf das Seil, den Pfad oder den Kletterhaken. Oder einfach mal kurz innehalten und tief durchatmen, denn eine flache Atmung führt dazu, dass sich der ganze Körper verspannt. Helfen kann auch, sich kleinzumachen, sich also auf den Boden zu setzen, den Körper zu umklammern; so kann man die Angst vorm Fallen minimieren. Mir persönlich hilft auch eine Methode, die sich „die ideale Coachin“ nennt – dabei rede ich mir selbst gut zu: Hey, es geht jetzt hier ein kleines Stück hoch, das ist nicht schwer, du kannst das, du wirst nicht fallen! Manchmal fange ich auch an zu singen, auch wenn mich andere dann vielleicht für ein bisschen verrückt halten, einfach um den Stress aus der Situation zu nehmen und meinem Gehirn das Signal zu schicken: alles gut, alles entspannt!


Kannst du nach dem Coaching angstfrei klettern?


Mit einem Coaching ist es nicht getan, am Thema Höhenangst muss man kontinuierlich arbeiten. Ich glaube auch nicht, dass die Angst bei mir je komplett verschwinden wird; ich werde vermutlich nie eine 1000 Meter hohe Felswand klettern können. Das ist aber überhaupt nicht schlimm. Mir ist wichtig, dass ich mich bei dem, was ich machen möchte, nicht einschränken muss am Berg – auch wenn ich mich selbst nie Kletterin nennen würde, dafür bin ich zu selten am Fels!


Angst ist ja sehr individuell: Ich als Städterin erlebe am Berg sicherlich viel schneller als du ein mulmiges Gefühl, einfach, weil ich die Höhe und die Art der Bewegung nicht so gewöhnt bin. Was rätst du Frauen allgemein, um sich gegen die Angst zu wappnen und mutiger zu sein?


Sich nicht selbst abzuverlangen, meilenweit über die eigenen Grenzen hinauszugehen. Es geht darum, diese Grenzen langsam auszudehnen, sich langsam zu steigern, was Höhenmeter und Distanzen angeht. Wer bislang nur auf Wanderungen unterwegs war, muss nicht direkt alpin klettern gehen, um sich den eigenen Mut zu beweisen. Man kann erst einmal die Schwierigkeit der Wanderungen steigern. Auch wichtig: keine Touren machen, die man von der körperlichen Fitness nicht schaffen kann. Wenn man physisch am Limit ist und dann noch die Angst dazu kommt, dann kann es gefährlich werden. Und: Wer kein Umfeld mit Bergexpertise hat: einfach Kurse buchen, etwa beim Alpenverein, bei Bergführerinnen oder Bergschulen. Je mehr Sicherheit man in der Technik hat, desto einfacher wird’s.



Was man vom Bergsteigen über Mut lernen kann I Onlinemagazin | myGiulia


Ein Gefühl des Respekts gehört zum Bergsport dazu, man ist ja immerhin in der freien Natur. Aber: Wann fühlst du dich mutig und gut nach einer Tour, wann schlägt die Erfahrung in ein Stresserlebnis um? Und wie verhinderst du das?


Das ist gar nicht so leicht. Mir gelingt es auch nicht immer. Manchmal merke ich auch, dass eine Tourenkonstellation so für mich nicht funktioniert, weil die anderen keine Rücksicht nehmen wollen oder ich mich nicht traue, meine Angst anzusprechen. Ich glaube, es ist wichtig, in solchen Situationen die Konsequenzen zu ziehen, also auch mal umzukehren. Oder, wenn das nicht mehr möglich ist, die Tour möglichst ruhig durchzuziehen und beim nächsten Mal wieder eine leichtere Schwierigkeitsstufe zu wählen.


Ich finde, das erfordert auch Mut, Rücksichtnahme einzufordern oder einer Gruppe zu sagen: Stopp, hier geht’s für mich nicht weiter!


Absolut. Ich muss da an ein Erlebnis denken, bei dem es für mich weniger um Höhenangst als um unterschiedliche Geschwindigkeiten ging. Ich hatte der Gruppe vorab signalisiert, dass ich auf eine mehrtägige Skitour gern mitkomme, aber dass ich eher langsam bin. Einer aus der Gruppe war dann aber den ganzen Tag über so schnell unterwegs, dass ich mich anstrengen musste, irgendwie hinterherzukommen. Ich war abends ziemlich fertig, weil ich kaum in Ruhe Pause machen konnte. Also habe ich mich nach langem Überlegen entschieden, am nächsten Tag nach Hause zu fahren und die Tour nicht fortzusetzen. Ich habe mich einfach nicht sicher gefühlt. Der Typ, der so schnell war, hatte dafür gar kein Verständnis und meinte: „Du hast es wohl doch nicht so mit den Bergen.“ Ich habe ihm dann klargemacht, dass ich einfach nicht mit ihm ins Gebirge wollte, weil es sich für mich nicht richtig und sicher angefühlt hat. Solche Entscheidungen erfordern aber eine gute Selbsteinschätzung, Intuition und ja, auch den Mut zu sagen: so nicht.


Wann hast du dich das letzte Mal richtig mutig und gut gefühlt am Berg?


Tatsächlich auf der Klettertour mit meiner Cousine, die ich im Buch beschreibe! Was auch daran liegt, dass ich ein kleines Kind habe und nicht mehr oft zum Klettern komme. Ich war nicht ideal vorbereitet und hatte zwischendurch zu kämpfen. Oben war ich so stolz, dass ich’s durchgezogen hab!


Du erwähnst deinen kleinen Sohn. Hat dich das Muttersein am Berg mutiger gemacht oder eher das Gegenteil – hast du jetzt noch mehr Angst?


Das kann ich noch nicht wirklich beantworten, weil ich seit seiner Geburt – er ist knapp zwei Jahre alt – kaum größere Touren gegangen bin. Und ich war ja eh nie diejenige, die am Rande der Lebensgefahr unterwegs ist; ich wollte mich auch ohne Kind immer sicher fühlen und am Leben bleiben (lacht).



“Wir wollten zeigen, dass es viele mutige Frauen gibt, die in die Berge gehen, weil es ihnen Freude bereitet und ihr Leben reicher macht.”


Was hast du aus dem Umgang mit der Angst am Berg, dem Lernen des Mutigseins fürs restliche Leben gelernt?


Im Leben steht man ja sogar oft sprichwörtlich vor einem Berg: Wie soll ich diese Aufgabe bloß schaffen? Genauso fragt man sich vor einer Bergtour: Was, ich soll da hoch bis heute Abend?! Aber dann fängt man einfach mal an, kommt am ersten Orientierungspunkt aus der Tourenbeschreibung an, dann am zweiten, irgendwann merkt man: Ok, ich schaffe das!


Genauso ist es ganz oft im Leben. Es geht darum, Etappenziele für sich selbst festzustecken, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. In Situationen, in denen ich mich beruflich oder privat überfordert fühle, versuche ich persönlich anzuwenden, was ich am Berg gelernt habe. Zum Beispiel erinnere ich mich an eine ähnliche Situation, die ich schon einmal bewältigt habe. Ich gehe den ersten Schritt, versuche es einfach mal, und wenn es nicht geht: auch ok. Und wenn ich merke, wow, das klappt ja total gut, dann gehe ich noch einen Schritt weiter.


Seit ich euer Buch „Bergfreundinnen“ gelesen habe, frage ich mich, warum wir bei Frauen über Mut immer als eine „besondere“, auch ein bisschen untypische Eigenschaft sprechen.


Mut ist erst einmal eine individuelle Eigenschaft, die nichts mit dem Geschlecht zu tun hat, und die sich in verschiedensten Lebenssituationen ganz unterschiedlich zeigen kann. Allerdings sehe ich schon immer wieder auf dem Spielplatz und im Kindergartenalter, dass Mut bei Jungs in der Erziehung eine größere Rolle spielt. Ein Bekannter berichtete mir kürzlich, dass seiner Tochter in der Kita gesagt wurde: „Sophia, nicht so schnell rennen, vergiss nicht, dass du ein Mädchen bist.“

Diese gesellschaftlichen Stereotype sitzen teilweise schon noch tief. Auch am Berg. Es fehlen einfach oft die Vorbilder, die Mut zu einer selbstverständlichen, weiblichen Eigenschaft machen. Frauen waren schon immer Teil des Bergsteigens, haben schon Anfang des 20. Jahrhunderts als Tourenführerinnen gearbeitet. Aber das wurde eben lange verschwiegen, sodass nachfolgende Generationen das Gefühl hatten, immer wieder von Neuem beweisen zu müssen: Ja, auch Frauen trauen sich ins Gebirge! Frauen haben einfach viele Jahre nicht die gleiche Bühne bekommen, teilweise immer noch nicht. Die meisten Bergsteiger, die man auf Anhieb nennen kann, sind Männer.


Wie könnte man das ändern?


Auf jeden Fall haben wir auch aus diesem Grund das Buch geschrieben: Wir wollten zeigen, dass es viele mutige Frauen gibt, die in die Berge gehen, weil es ihnen Freude bereitet und ihr Leben reicher macht. Profisportlerinnen, aber auch ganz normale Frauen. Das Buch soll eine Motivation sein, sich selbst etwas zuzutrauen: Du musst nicht superkrass unterwegs sein, du kannst es auch gemütlich haben, das ist auch ok. Es muss nicht jeder die Eiger-Nordwand durchsteigen; im Gebirge geht es darum, den eigenen Weg zu finden.



 

Hast du Lust mehr über die Bergfreundinnen zu lesen?


Die Bergfreundinnen erzählen in ihrem Buch nicht nur vom höchsten Gipfelglück, sondern trauen sich auch, in die tiefen Täler des alpinen Lebens zu blicken - jede aus ihrem ganz eigenen Blickwinkel. Kaddi, die den Nervenkitzel liebt und am liebsten mit ihrem Mountainbike durchs Gebirge saust, Toni, die sich vor allem auf die Aussicht freut und für Gipfelbrotzeit brennt und Katharina, die gern ordentlich Höhenmeter sammelt und dem Reiz der hohen Berge verfallen ist.


Die Bergfreundinnen nehmen ihre Leserinnen und Leser mit auf ihre Touren, treffen starke und inspirierende Bergfrauen, setzen sich mit all den spannenden Themen auseinander, die das Leben mit den Bergen bietet und haben dazu eine Menge Tipps auf Lager.



 

Im Gespräch mit


Katharina Heudorfer myGiulia
Foto: Jens Scheibe

Katharina Heudorfer treibt sich privat und im Job in den Bergen rum – mal beim Wandern, mal auf Skihochtour. Dafür zieht es sie genauso leidenschaftlich ins Bayerische Voralpenland wie nach Kirgistan oder ins Himalaja.


Heudorfer ist Journalistin und arbeitet als Autorin und Reporterin beim Bayerischen Rundfunk. Ihr Buch Bergfreundinnen – Vom Gipfelglück und anderen Abenteuern, das sie mit ihren CO-Autorinnen Katharina Kestler und Antonia Schlosser verfasst hat, ist bei Ullstein extra erschienen.


Der zugehörige Podcast „Bergfreundinnen“ ist auf allen gängigen Audio-Plattformen zu hören.





 

Unsere Autorin


Julia Hackober myGiulia
© Alicia Minkwitz

Julia Hackober ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt am liebsten (und gern kritisch) über Gesellschaftsthemen, Popkultur und Stil-Phänomene. Ihr Newsletter-Format mit persönlichen Essays heißt "Sunday Delight". Mehr auf juliahackober.com.














 

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