TEXT & FOTOS: KATHARINA CHAVANNE
Meine Liebe für kleine weiße Häuser und pittoresken Charme ist wohl seit meinem Artikel über die Île de Ré bekannt. Es ist wieder Zeit für eine kleine Auszeit, um dem Alltag zu entrinnen. Darum habe ich mich auf die nächste Reise begeben. Die Destination dieses Mal: Bella Italia. Genauer gesagt, Apulien.
Apulien und seine südliche Halbinsel Salento sind längst kein Geheimtipp mehr. Der Absatz des Stiefels wurde vom Tourismus entdeckt, aber nicht vom Tourismus zerstört. Historisch betrachtet ist Apulien eine sehr vielschichtige Region. Über Jahrtausende hinweg war es ein Schmelztiegel verschiedener Zivilisationen, von den Griechen und Römern bis zu den Normannen und Byzantinern, die alle ihre Spuren in der kulturell und architektonisch reichhaltigen Landschaft hinterlassen haben.
Lecce, Gallipoli , Monopoli, Grottaglie
Historische Städte wie das barocke Lecce, das auch liebevoll das Florenz des Südens genannt wird oder das mittelalterliche Gallipoli, deren Wurzeln bis in die Antike reichen, der pittoreske Hafen von Monopoli mit seinen bunten Fischerbötchen bis hin zu Grottaglie, der Hauptstadt der Keramik – alles hervorragende Ausflugsziele, um in die reiche Geschichte und Vergangenheit sowie die Kultur dieser Region einzutauchen.
Unsere Reise beginnt in Fasano, einem Ort, in dem es keinen einzigen Souvenirladen gibt, dafür aber echten italienischen Alltag. Zirka eine Stunde von der Hauptstadt Bari und dem Flughafen entfernt, ist hier ein strategisch guter Ausgangspunkt, um Apulien zu erkunden. Eine Freundin und Apulien-Liebhaberin hat mir das Apart-Hotel „Masseria Alchimia“ empfohlen.
Masserien sind typische Gutshöfe und alte Bauernhöfe. Umgeben von mehreren Hektar Olivenhainen sind sie selbst in den hektischen Sommermonaten Rückzugsmöglichkeit und der perfekte Ort für das berühmte „Dolce far niente“ – die Kunst des süßen Nichtstuns. Die Hausherrin, Caroline Groszer, betreibt in Apulien mehrere außergewöhnliche Ferienunterkünfte in typisch apulischen Häusern – sei es in einer Masseria, einem Trullo, einer Palazzina oder einer Torretta. Seit ihrem ersten Apulienbesuch sind mittlerweile mehr als 25 Jahre vergangen. „Keine 10 Minuten dauerte es und ich war schockverliebt“, erzählt die gebürtige Schweizerin und ihre Augen strahlen.
„Damals herrschte hier richtige Goldgräberstimmung. Der südlichste Teil Italiens galt als arm, es gab wenig Arbeit und niemand wollte hier mehr wohnen. 50 Prozent der Immobilien standen zum Verkauf.“ Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin, die schon seit ihrer Jugend ein Faible für schöne Häuser, Architektur und Reisen hat, erkannte sofort die Aufbruchsstimmung, die hier herrschte. Fasziniert von Land und Leuten, der Energie des Ortes, dem einzigartigen Stil und der auffallenden Freundlichkeit der Menschen, erkannte sie ihre Chance und investierte in die erste Immobilie, die sie in Folge renovierte. „Für mich war klar, wenn ich das richtig machen will, muss ich vor Ort sein.“
Also brach die damals alleinerziehende Mutter kurzentschlossen all ihre Zelte ab und übersiedelte mit ihrem kleinen Sohn in den Süden Italiens. „Wir fielen hier mit unseren blonden Haaren auf, aber wir wurden von Anfang an sehr herzlich aufgenommen. Die Freundlichkeit der Menschen fasziniert mich heute noch.“ Und was war die größte Herausforderung? „Die war und bleibt bis heute die Bürokratie, die lässt dich manchmal verzweifeln. Aber seit Tag eins hatte ich das Glück, dass mir sehr gute Berater zur Seite standen.“ Als Kind träumte Caroline davon, Architektin oder Pilotin zu werden – und ohne diese Berufe je erlernt zu haben, lebt sie heute gewissermaßen diesen Traum. „Über Umwege habe ich es geschafft, meine zwei Leidenschaften zu verbinden. Meine Liebe für schöne antike Häuser und die Leidenschaft fürs Reisen habe ich heute zu meinem Beruf gemacht.“
Ihre Unterkünfte sind ein eklektischer Mix aus unterschiedlichen Stilen: Designklassiker treffen auf Vintagemöbel oder moderne Kunst lokaler Künstler*innen. Inspiration holt sie sich von überall – seien es Reisen oder Filme. Für ihre Gäste hat sie stets Tipps zur Hand. Ihr neuestes Projekt ist übrigens eine Apulien-App. „Das hat sich mit der Zeit so entwickelt: Aus einem PDF für meine Gäste wurde ein Blog und jetzt ist daraus eine App geworden. Hier teile ich meine persönlichen Herzensempfehlungen – alle selbst getestet, versteht sich!“, erzählt sie und lacht. Caroline weiß genau, wann die beste Zeit ist, die Trullis in Alberobello zu besuchen. Die ikonischen weißen Kalksteinhäuser mit ihren kegelförmigen Dächern sind typisch für Apulien. Sie wurden traditionell ohne Mörtel gebaut, was es ermöglichte, sie schnell ab- und wieder aufzubauen – eine Taktik, um Steuerbeamte zu verwirren. Heute wimmelt es an diesem Ort, der an Schlumpfhausen erinnert, von Menschenmassen und Souvenirläden – aber mit ein bisschen Geduld findet man unter viel Kitsch so richtig schöne Souvenirs.
Im antiken Dorf Alberobello stehen etwa 1.500 Trullis. Sie zählen seit 1996 zum UNESCO Weltkulturerbe. Um Alberobello ohne Menschenmassen zu sehen, heißt es früh aufstehen oder am besten in der Nebensaison kommen.
Unsere Gastgeberin reserviert für ihre Gäste auch gerne eines ihrer Lieblingsrestaurants. Egal ob traditionelle Trattoria in einer pittoresken Hafenstadt oder angesagtes Haubenlokal – Caroline hat für jede*n genau das Richtige.
Unser Abend endet bei „Da Silvè“ in Fasano, wo Caroline uns einen der wenigen Tische sichert. Speisekarte gibt es hier keine. Dafür aber Silvè, der einen mit Händen und Füßen und vor allem voller Leidenschaft in die apulische Kunst des Genießens einführt. Etwa mit seinem eigens angesetzten „Aperitivo“ (Silvè ist nämlich leidenschaftlicher Alchimist) oder den zahlreichen Spezialitäten der Region. Angefangen wird traditionellerweise mit vielen kleinen Vorspeisen aus regionalen Gemüsesorten – eine köstlicher als die andere – gekocht von „la mamma“, naturalmente!
„La regina degli ulivi“ – die Königin der Olivenbäume
Von Fasano besuchen wir auch Ostuni, „la città bianca”, die – erhaben auf einem Hügel – schon von Weitem in ihrem strahlenden Weiß leuchtet. In der Altstadt sind alle Häuser weiß gekalkt, eine andere Farbe ist hier nicht erlaubt.
Foto: Masseria Alchimia
Blickt man vom Berg herab, versteht man auch gleich ihren zweiten Spitznamen „la regina degli ulivi“, die Königin der Olivenbäume. Ein Meer roter Erde und voller Olivenbäume erstreckt sich rund um die drei Hügel, auf denen die Stadt erbaut ist. In Apulien stehen etwa 50 Prozent der Olivenbäume Italiens, wodurch die Region der größte Olivenölproduzent des Landes ist.
Das Olivenöl ist auch eines der drei Elemente von Marcella Cazzato. Die Halb-Niederländerin und Halb-Italienerin hat vor mehr als zwei Jahren mit ihrer Mutter „tre gioie “ (dt. drei Freuden) gegründet. „Tre gioie“ ist ein Onlineshop oder vielmehr eine Hommage an die lokale Handwerkskunst, die den apulischen Lifestyle in die Häuser ihrer Kund*innen bringt und die traditionelle Erzeugung vor dem Aussterben bewahren will. Zur Auswahl steht eine kleine, aber umso feinere Auswahl an Leinen, Körben und Olivenöl.
Marcella verbringt seit Kindheitstagen ihre Sommer in Apulien. Im Salento genauer gesagt, wohin uns auch unsere Reise weiterführt. Für die 24-Jährige ist hier einfach der schönste Fleck auf Erden – auch wenn sie zur Zeit „noch“ in den Niederlanden am Meer wohnt und neben ihrem Onlineshop als Journalistin für ein italienisches Reisemagazin arbeitet. „Mein Vater ist hier im Salento geboren“, erzählt Marcella. „Vor ein paar Jahren habe ich mit ihm einen alten Freund in Südapulien besucht – er ist der Besitzer einer Leinenmanufaktur. Hier wird Leinen auf Maschinen aus den 1940ern hergestellt. Die Herstellung dauert lange, nur 40 Meter werden am Tag produziert, aber die Qualität ist einzigartig. Dennoch verlieren sie langsam aber stetig ihre Aufträge, denn die Produktion ist für die heutige Modeindustrie nicht schnell genug. Ich habe mit 19 begonnen, in der nachhaltigen Modeindustrie zu arbeiten und war auf Anhieb begeistert von diesem Stoff“, erzählt Marcella. „Mit Tre Gioie möchte ich gegen dieses Verschwinden der apulischen Handwerkskunst ankämpfen.“
Eine weitere Handwerkskunst und „Spezialität des Südens“, die Teil des kulturellen Erbes des Landes, aber heute leider fast vom Aussterben bedroht ist, ist die Kunst des Korbwebens. Sie nahm ihre Anfänge in den 1880ern und wurde von Mutter an Tochter weitergegeben. Die Körbe dienten dazu, Oliven und Käse aufzubewahren. „Heute sind nur noch drei oder vier Frauen übrig, die diese Handwerkskunst beherrschen. Meine Großmutter Anna war auch mal eine von diesen Frauen", erzählt Marcella, die auch diese Handwerkskunst wiederbeleben möchte.
„Es ist, als stünde die Zeit still. Wir produzieren unsere Kollektionen genau so wie vor 50 Jahren. Ich setze mich dafür ein, dass die Frauen fair bezahlt werden und auch von zu Hause einer Arbeit nachgehen können, um sich ein bisschen etwas dazuzuverdienen. Ich hoffe, somit auch bei jungen Leuten diese besondere Handwerkskunst wieder attraktiv machen zu können.“ Neben ihrer stilvollen Kollektion handgemachter Körbe, Taschen oder Tischtüchern bietet Marcella auch Reisetipps auf ihrem Instagram-Account an. „Apulien ist einfach die perfekte Kombi aus Essen, Natur und Kultur", weiß sie zu berichten und gibt uns noch ein paar Tipps mit, um in das „Slow living“, das die Menschen hier so gut beherrschen, einzutauchen.
„Nimm dir Zeit, beobachte die Einheimischen und plaudere mit ihnen. Am besten bestellst du das Gleiche wie die Leute hier. Probiere aus, was sie essen und koste dich durch traditionelle Spezialitäten und die tollen Weine. Entdecke dieses unglaublich gute Gemüse und die frische Pasta, gesund und voller Geschmack.“ Wer auf der Suche nach einem authentischen Italien ist, ist in Apulien genau richtig. Slow living hat hier Tradition. Hektik und Unfreundlichkeit sind Fremdwörter und das Genießen steht an oberster Stelle.
Ganz in diesem Sinne lassen wir unseren Apulienurlaub an unserem letzten Halt in Polignano a Mare ausklingen. Hier stehen die Häuser der Altstadt spektakulär auf den Klippen. Am Morgen vor dem Heimflug schlendern wir noch ein letztes Mal durch die engen Gässchen der mittelalterlichen Altstadt und lassen nostalgisch unseren Blick immer wieder aufs türkisblaue Meer schweifen. Fast zurück in der Unterkunft machen wir noch einen Halt im „The Super Mago del Gelo Mario Campanella“ – der wahrscheinlich pinksten Bar im 80er Look, aber auch der mit den meisten Einheimischen. Aus den Lautsprechern dröhnen italienische Schlager. „Learning from the locals“, wie auch Marcella empfohlen hat, hallt es in meinem Kopf. Mit einem Caffè Speciale setzen wir uns an die Straße und beobachten das bunte Treiben – und plötzlich scheint die Zeit still zu stehen. Augen zu und noch ein letztes Mal genießen: il dolce far niente.
Katharinas Lieblingsadressen „off the beaten tracks":
DA SILVÈ:
THE SUPER MAGO DEL GELO MARIO CAMPANELLA:
DOPPIOZERO:
UNTERKÜNFTE:
Masseria Alchimia (in Fasano): Masseria Alchimia
Palazzo Presta (in Gallipoli): Palazzo Presta
Information zur Auswahl unserer Interviewpartner*innen
Wir lieben es, Frauen medial sichtbar zu machen und wählen unsere Interviewpartner*innen immer aus Überzeugung, unabhängig und in Absprache mit unseren Journalistinnen aus. Unsere Interviews und Artikel sind niemals bezahlt, keine der Marken hat uns dazu beauftragt.
FACTS:
Apulien ist der südöstlichste Teil Italiens. Die Region mit einzigartiger landschaftlicher und kultureller Vielfalt erstreckt sich von den sonnenverwöhnten Stränden des Adriatischen Meeres bis zu den transparenten Gewässern des Ionischen Meeres. Mit 800 Kilometern Küste ist die apulische die längste Küste Italiens. Das türkis-blaue Meer, zauberhafte Sandstrände, die sich mit atemberaubender Steilküste abwechseln, extrem freundliche Menschen, geschichtsträchtige Städte und köstliche Spezialitäten – das und vieles mehr machen Puglia zu einer beliebten Reisedestination für Ästhet*innen, Naturliebhaber*innen und Genießer*innen.
Im Gespräch mit
Caroline Groszer ist halb Schweizerin und halb Deutsche. Seit mehr als 25 Jahren lebt sie in Italien und hat 2008 mit der Masseria Alchimia den Grundstein für die Alchimia Collection gelegt. Ihre außergewöhnlichen Ferienunterkünfte in typisch apulischen Häusern – wie einer Masseria, einem Trullo, einer Palazzina oder einer Torretta – sind eine gelungene Symbiose aus Natur, Architektur und Design im Herzen Apuliens.
Video Masseria : https://www.alchimiacollection.com/de/masseria-alchimia/
Carolines Lieblingsadressen:
ESSEN:
SHOPPING:
KERAMIK:
Marcella Cazzato ist halb Niederländerin und halb Italienerin und hat vor mehr als 2 Jahren mit ihrer Mutter „tre gioie “ (dt. „drei Freuden) gegründet. Tre gioie ist nicht nur ein Onlineshop, sondern vielmehr eine Hommage an die lokale Handwerkskunst, die den apulischen Lifestyle in die Häuser ihrer Kund*innen bringt und somit traditionelle Erzeugung vor dem Aussterben bewahren will.
Marcellas Lieblingsadressen:
Essen:
TRATTORIA NONNA TETTI
MASSERIA LE STANZIE
Tipp fürs Shopping:
Kauf als Souvenir einen Pumo - das ist ein apulischer Glücksbringer! Diese knospenförmige Keramikfigur soll Glück und Wohlstand bringen.
Unsere Autorin
Katharina Chavanne begann nach einem Journalismusstudium in Wien als freie Mitarbeiterin beim ORF-Kulturradio Ö1. Frankophil seit Kindheitstagen verschlägt es sie 2009 nach Paris und in die PR. Als Expertin für den deutschsprachigen Raum betreut sie internationale Kunden in Green Beauty, Mode, Tourismus und Lifestyle. 2015 kehrt sie zurück nach Wien und gründet ihre eigene Kommunikationsagentur. Seit 2020 betreibt sie zudem den Blog PARVIE, der conscious Lifestyle, spannende Brands, Gründer*innen und die besten Adressen mit dem besonderen Etwas zwischen Paris und Wien aufspürt.