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Was bildet die sich eigentlich ein?

von: Pamela Rußmann


Wie über Frauen geredet wird, ist auch im 21. Jahrhundert noch erstaunlich zerstörerisch. Das Buch „Geradegerückt“ nimmt diffamierende Erzählungen unter die Lupe.


Jennifer Lopez Pamela Anderson Meghan Markle Yoko Ono Illustration | myGiulia

Rachsüchtig, schwierig, hysterisch. Luder, Schlampe, Rabenmutter. Die Liste an abwertenden Attributen für Frauen ließe sich leider endlos weiterführen. Das Prinzip dahinter ist Misogynie. So nennt man die auf Frauen gerichtete Menschenfeindlichkeit, deren zentraler Aspekt der ist, dass Frauen nicht einfach Menschen sein können. Der Maßstab ist der Mann, und was für IHN gilt, gilt für SIE noch lange nicht. Bei Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, wird diese Ungleichheit besonders offensichtlich. Die Textsammlung „Geradegerückt“, herausgegeben von den beiden Journalistinnen Beate Hausbichler und Noura Maan, beleuchtet die Biografien von 28 berühmten Frauen wie etwa Pamela Anderson, Meghan Markle oder Yoko Ono, die vom Boulevard über Jahre hinweg skandalisiert und verleumdet worden sind und rückt den verfälschten Blick auf sie gerade. Pamela Rußmann hat sich mit den Herausgeberinnen zu den Mechanismen dahinter ausgetauscht.


Medienmacher*innen „ver-rücken“ das Bild von Frauen wegen Einschaltquoten und Auflagensteigerung. Was sagt das über die Verantwortlichen in der Medienlandschaft aus? Ist es am Ende des Tages das Prinzip Kapitalismus, das die Misogynie befeuert?


Noura Maan: Kapitalistische Interessen spielen auf jeden Fall eine Rolle. Die Royals üben etwa eine unglaubliche Faszination auf Menschen aus, Skandalberichte über sie verkaufen sich quasi von selbst. Man kann als Leser*in bei einer Seifenoper dabei sein, aber in echt. Vor allem britische Boulevardmedien versuchen sich da oft zu übertreffen und inszenieren, und erfinden zum Teil auch einfach, um ihre Auflage zu steigern. Dieses ständige Konkurrenzdenken zwischen Frauen, sei es bei Camilla und Diana oder Meghan und Kate, das ist vor allem inszeniert, über die Realität wissen wir wirklich wenig. Gerade deshalb ist es wichtig, diese Geschichten geradezurücken, es auch zu begrüßen, wenn die Betroffenen mit Dokus das Narrativ selbst in die Hand nehmen, wie zum Beispiel Meghan. Auch wenn solche Dokus natürlich auch kritisch betrachtet werden müssen.


„Es liegt nicht an mir, sondern es ist eine Systematik, dass auf Frauen ein anderer und strengerer Blick geworfen wird.”

Eure These lautet: „Berühmte Männer kommen mit allem durch, Frauen im Rampenlicht verzeihen wir: nichts.“ Was kann ich als nicht berühmte Frau für mein eigenes Leben bei der Lektüre der Texte mitnehmen?


Noura Maan: Die Konsument*innen dieser Erzählungen, dieser Verzerrungen und Lügen über prominente Frauen, sind “normale” Menschen wie du und ich, und besonders wichtig: jüngere Menschen, Mädchen. Bei denen bleibt hängen, wie mit Frauen umgegangen wird, wie sie behandelt werden, welche Herablassung und Erniedrigung ihnen widerfährt. Die merken sich dann: Zieh dich nicht so an, sag sowas nicht, verhalte dich so nicht, sei so nicht – und bekommen damit mitgegeben, dass die Frauen selbst Schuld seien und nicht das sexistische, Frauen verachtende System, das dahintersteckt und unterschiedliche Maßstäbe an Männer und Frauen anlegt.


Beate Hausbichler: Man kann also auf jeden Fall für sich selbst mitnehmen: Es liegt nicht an mir, sondern es ist eine Systematik, dass auf Frauen ein anderer und strengerer Blick geworfen wird und dass es damit ein Stück weit egal ist, was man macht, wie man aussieht, was man leistet. Auf diese Systematik hat man als Einzelne kaum Einfluss.


Gerüchte über „extravagantes Verhalten“ von weiblichen Popstars, die weiterhin reproduziert werden in den Medien: Ist das auch Faulheit der Journalist*innen? Weil sich das Weitererzählen bereits existierender G´schichtln schneller im Arbeitsalltag „wegschreiben“ lässt und man sich nichts Neues einfallen lassen muss?


Beate Hausbichler: Auch viele Journalist*innen hinterfragen oft die unterschiedlichen Begriffe nicht, mit denen sie Männer und Frauen beschreiben, obwohl Sprache ein wesentlicher Teil ihres Jobs ist. Und natürlich stehen auch Journalist*innen nicht außerhalb unserer Gesellschaft, haben bestimmte Werte und persönliche Erfahrungen. Es ist wichtig, sich das bei der journalistischen Arbeit bewusst zu machen. Das würde schon viel Sexismus und Rassismus in der Berichterstattung verhindern.


Wie ordnet ihr die noch recht junge Variante der „in my own words“-Strategie ein, bei der mit einer selbst produzierten bzw. von einem nahestehenden Team gemachten Doku gearbeitet wird? Das muss man sich ja auch mal leisten können. Steht dieser Weg daher nur den Superreichen offen?


Noura Maan: Es ist gut und wichtig, dass Betroffene das Narrativ selbst bestimmen können mit solchen Dokumentationen und die Geschichte aus ihrer eigenen Perspektive erzählen können. Gleichzeitig muss man diese Dokus natürlich auch ein bisschen mit Vorsicht genießen, denn das ist natürlich nur eine, nämlich ihre Perspektive. In der Pamela Anderson-Doku kommen zum Beispiel ihre umstrittenen Aussagen im Zuge der #metoo-Debatte nicht vor, Menschen wie Wladimir Putin und Hugh Hefner werden ohne jegliche Kritik erwähnt. Es ist also wichtig, diese Geschichten zusätzlich aus einem journalistischen Blickwinkel zu betrachten.


Beate Hausbichler: Medien müssen keine Pressearbeit für Stars betreiben, aber ebenso wenig sollen sie mit zweierlei Maß über weibliche Stars berichten. Das klingt nicht anspruchsvoll. Trotzdem schaffen es viele bis heute nicht.


Wann ist es noch Stilkritik und wann schon Misogynie?


Beate Hausbichler: Respektlosigkeit und Häme sind relativ schnell zu erkennen. Die üblichen frauenfeindlichen Kniffe sind ein besonderer Fokus auf das Aussehen, sexualisierte Formulierungen oder das schon angesprochene zweierlei Maß.


„Aufklärung und mehr Bewusstsein für die sexistischen Strukturen unserer Gesellschaft sind nötig, damit sich was verändern kann.”

Der Stempel „schwierig“ ist für Frauen, einmal damit punziert, fast nicht mehr wegzukriegen, nicht nur für Promis in der Gala-Bunte-Welt, sondern auch für uns alle im beruflichen oder privaten Umfeld. Wenn ich im Arbeitsumfeld Aussagen wie „boah, die is voll zickig“ begegne – was wäre eine hilfreiche und entwaffnende Gegenstrategie?


Noura Maan: Aufklärung und mehr Bewusstsein für die sexistischen Strukturen unserer Gesellschaft sind nötig und müssen sich weiter verbreiten, damit sich etwas verändern kann. Sich in so einer Situation auf konkrete Beispiele der Ungleichbehandlung beziehen zu können oder einfach mal „über/zu einem Mann hättest du das nicht gesagt” zu erwidern, kann schon einiges bewirken.


Wenn man sich in dieser verdichteten Form eures Buches die Geschichten der Frauen durchliest – alles Frauen, zu denen wir als Medienkonsument*innen ab einem bestimmten Jahrgang eine Form von beobachtender Beziehung haben –, dann wird einem ziemlich schwummrig und man stellt sich die Frage, wie viele Seelen denn noch auf dem Altar des Celebritykults geopfert werden sollen. Und wie kommen wir da raus?


Beate Hausbichler: Leider gibt es auch aktuelle Fälle, bei denen wohl in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten “Geraderückungen” nötig sein werden. Aber wir sehen auch, dass etwa durch soziale Medien Entwicklungen in eine positive Richtung entstehen können. Im Netz ist die Hemmschwelle zwar viel niedriger, Frauen anzugreifen und alles Mögliche über sie zu verbreiten. Es gibt Netzwerke von Maskulinisten, die sich gezielt dazu verabreden und zum Beispiel im Fall Amber Heard auch aktiv waren. Andererseits gibt es durch Soziale Medien auch Möglichkeiten, „zurückzuschlagen”, das eigene Narrativ stärker zu verbreiten.


Noura Maan: Und es gibt über soziale Medien natürlich – selten aber doch – die Möglichkeit, Empathie und Zustimmung zu erfahren und sich damit nicht so alleine zu fühlen. Raus kommen wir da nur durch Aufklärung und mehr Bewusstsein für die sexistischen Strukturen unserer Gesellschaft, dazu tragen auch “geradegerückte” Erzählungen bei.


Musstet ihr beide euch jemals mit Gerüchten oder negativen Zuschreibungen über euch selbst auseinandersetzen? Und wie habt ihr darauf reagiert?


Beate Hausbichler: Als Journalistinnen sind wir dem ausgesetzt. Es äußert sich aber eher auf der Ebene, dass man nicht ausgewogen berichtet. Obwohl es oft sehr verklausuliert daherkommt, geht es oft um Fragen von angeblich fehlender Kompetenz, und es wird durchaus persönlich. Uns fällt schon manchmal auf, dass Männer über ein und dasselbe Thema schreiben können und dafür weniger angegriffen und kritisiert werden.

Noura Maan: Bei mir kommt natürlich auch der Faktor Rassismus hinzu. Immer wieder kommt Kritik, ich soll mich doch lieber mit Themen aus meinem “eigenen Kulturkreis” beschäftigen, statt xyz zu kritisieren. Auf solche Äußerungen reagieren wir im Standard-Forum nicht, da würden wir wahnsinnig werden. Wenn es aber in Leser*innenbriefform kommt, und auch an unsere Vorgesetzten geht, fühlt es sich gut und bestärkend an, wenn diese sich vor einen stellen.



 

Buchtipps zum Thema GERADERÜCKEN



Buchcover Gerade Gerückt Beate Hausbichler Noura Maan | myGiulia

Geradegerückt

von Beate Hausbichler & Noura Maan


„Geradegerückt“ ist eine regelmäßig erscheinende Serie von dieStandard, der frauenpolitischen Seite der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD. In der nun vorliegenden Textsammlung (Verlag Kremayr & Scheriau) haben Beate Hausbichler, Noura Maan und ihre Kolleginnen skandalisierte Biografien von 28 Frauen stellvertretend in einem Band veröffentlicht.


Sie fügen in fein recherchierten Analysen einem oft einseitigen und einfältigen Bild weitere Facetten und Perspektiven hinzu und rehabilitieren öffentlich gescholtene Frauen wie Natascha Kampusch, Courtney Love oder Mia Farrow.



Buchcover in voller Blüte Denise Boomkens | myGiulia

In voller Blüte

von Denise Boomkens


Die niederländische Fotografin Denise Boomkens rückt das Bild der Frau in der zweiten Lebenshälfte gerade. 2018 hat die in Amsterdam lebende Boomkens im Internet ein Projekt begonnen, das sie als einen „glücklichen Ort für Frauen über vierzig“ bezeichnet.


Mit der Website www.andbloom.amsterdam und dem zugehörigen Instagramaccount @and.bloom hat sie eine Plattform geschaffen, wo das gefürchtet-berüchtigte Älterwerden gefeiert wird. Für das Buch „In voller Blüte“ (Knesebeck) hat Denise Boomkens mehr als hundert Frauen über 40 fotografiert und zur Kunst der Gelassenheit interviewt.


„Ich habe mit AndBloom begonnen, weil mir die klugen, weisen Alten gefehlt haben“, sagt die Fotografin und Mutter eines Sohnes. „Die Welt ist bereit für eine grandios vielfältige Art von Schönheit, die nicht nur vom Älterwerden kommt, sondern davon, dass wir mit Anmut, Selbstbewusstsein, Mut, Zielstrebigkeit und Klarheit älter werden.“ Na und wie!



Buchcover Auch gut Jennifer Klinge | myGiulia

Auch gut!

von Jennifer Klinge


Dass auch Frauen jüngeren Baujahrs mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen kämpfen und sich aus Schubladen befreien möchten, davon erzählt das autobiografische Sachbuch „Auch gut!“ (erscheint am 20. März) von Jennifer Klinge.


Die heute 37-jährige Texterin und Social-Media-Strategin spürte Anfang 30 als Single und ohne konkrete Familien- und Hausbaupläne plötzlich, wie eng die Zeitfenster im Leben von Frauen sind, in denen man vermeintlich allgemeingültige Ziele erreicht haben sollte. Sie musste feststellen, dass sie diese Narrative, wie man als Frau zu leben hat, mental krank machten. Sie hinterfragt in ihrem Buch, wer die Maßstäbe dafür setzt, was für eine Frau ab 30 als altersgerecht gilt und scheut sich auch nicht davor, interfeminine Konflikte aufzuspüren.


Laut dem Social Norms Index der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2020 haben 90 Prozent der Frauen und Männer eine gewisse Voreingenommenheit gegenüber Frauen. Anders gesagt: Auch Frauen vorverurteilen sich gegenseitig für „typisch weibliche“ Attribute. Klinge plädiert dafür, dass wir damit aufhören, Lebensentwürfe gegeneinander auszuspielen: „Es ist völlig in Ordnung, ein Leben zu führen, das andere nicht verstehen.“


 

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Im Gespräch mit


Beate Hausbichler Noura Maan | myGiulia
Foto Copyright: Elodie Grethe

Beate Hausbichler, geboren 1978 in Reith im Alpbachtal (Tirol), lebt in Wien. Sie hat Philosophie an der Universität Wien studiert und ist seit 2008 Redakteurin bei der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD, seit 2014 leitet sie deren frauenpolitisches Ressort dieStandard. 2021 erschien ihr Buch „Der verkaufte Feminismus. Wie aus einer politischen Bewegung ein Label wurde“.


Die 1989 in Wien geborene Noura Maan hat Geschichte studiert und seit 2014 Redakteurin beim STANDARD, derzeit ist sie im Ressort Außenpolitik und als Chefin vom Dienst tätig. 2019 wurde sie für ihre journalistische Arbeit mit dem Jungjournalistinnenpreis des Frauennetzwerks Medien ausgezeichnet.


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