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Einfach sein dürfen: Frauen, Körpergefühl und Nacktheit

TEXT: BEATRICE FRASL


Wer in dieser Gesellschaft zur Frau aufwächst, wird ein Leben lang – vom jüngsten Kindesalter bis ins Greisinnenalter – mit Idealbildern davon konfrontiert, wie der eigene Körper auszusehen und zu sein hat.


Frau | Frauenkörper | Körper | Body Image | Nacktheit | Body Positivity | Schönheit | Anete Lusina | myGiulia
Foto: Anete Lusina/pexels

Objekt: Frau


Wir werden ein Leben lang mit sexualisierten, objektifizierten Frauenkörpern bombardiert: zurechtgeschnitten und zurechtgespritzt, enthaart, retuschiert, geschminkt und gut ausgeleuchtet. Wer als Frau aufwächst, lernt schnell, dass der Wert des eigenen Körpers in seiner Verwertbarkeit entweder als Sexobjekt oder Dekorationsobjekt (idealerweise beides) liegt. Der eigene Wert als Mensch wiederum hängt dann davon ab, wie nah man dem jeweilig herrschenden Körperideal kommt. (Spoiler: Es ist nie nah genug, denn Schönheit ist für Frauen kein erreichbarer oder je erreichter Seinszustand, sondern ein unerreichbarer Auftrag von Außen, der in Folge oft auch internalisiert wird.)


Das Ausbilden eines gesunden Selbstbildes und Körpergefühls ist in so einem Kontext schier unmöglich. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper – oder besser: mit dem Ausmaß der Eignung dieses Körpers als Dekorationsobjekt – ist für Frauen eine derart alltägliche Grunderfahrung, dass sie gewissermaßen zum Frausein dazugehört. Die Unzufriedenheit bezieht sich nicht nur, aber auch und oft vorrangig darauf, dass der eigene Körper zu viel Raum einnimmt. Frauen sollen sich am besten klein machen und klein halten, denn Frauenkörper nehmen immer zu viel Raum ein und das unabhängig von ihrem tatsächlichen Gewicht. Deshalb finden sich bereits Volksschülerinnen zu dick, und Pensionistinnen auch noch. Studien zeigen beispielsweise, dass bereits sechsjährige Mädchen der Meinung sind, sie seien zu dick, 40-70 % aller Teenagerinnen halten sich für übergewichtig, obwohl sie das faktisch nicht sind – ebenso 90 % aller amerikanischen College-Studentinnen. Burschen sehen sich selbst und den eigenen Körper dagegen viel positiver.


Frau | Frauenkörper | Körper | Body Image | Nacktheit | Body Positivity | Schönheit | Polina Tankilevitch | myGiulia
Foto: Polina Tankilevitch/pexels

Unzufriedenheit als Bestandteil des Frauseins


Die Forschung zum Thema betont seit langem, wie wichtig ein positives Körperbild für das eigene Selbstbild, Selbstwertgefühl, Wohlbefinden und die psychische Gesundheit ist – wir wissen, dass sich ein negatives Körperbild auch auf andere Aspekte des Selbstbildes überträgt und mit einem schlechten Selbstwertgefühl und einem negativen Selbstkonzept korreliert. So weit, so bekannt.

Gerade die bevorstehende Sommerzeit ist besonders kritisch für die, die kein gutes Verhältnis zu ihrem eigenen Körper haben oder keines haben dürfen, weil es ihnen systematisch verunmöglicht und gewaltvoll weggemobbt wurde – sei es, weil sie beispielsweise als dicke Frauen oder alte Frauen oder wie auch immer nicht normschöne Frauen viel Erfahrung mit Abwertung auf dem Buckel haben – sowohl strukturell als auch individuell. Seit Monaten werden wir online mit Inhalten zugekleistert, wie wir unsere Körper mit Diäten und Training zu beach bodies umformen können und sollen. Uns wird erklärt, wie wir unsere Körper zurechtzumachen haben, damit sie in die Bikinis der Saison passen, anstatt die Bikinis unseren Körpern anzupassen.

Mit temperaturgeeigneter, leichter Bekleidung, mit kurzen Röcken oder Shorts nach draußen zu gehen, wenn die Oberschenkel so weit von einem Thigh Gap entfernt sind wie Fitnessinfluencer*innen von einem genussvollen Abendessen, ist gar nicht so einfach: wegen der Blicke von außen und wegen der internalisierten Abwertung und Scham von innen. Sich mit einem Bikini auf einen Strand zu legen oder gar oben ohne schwimmen zu gehen bedeutet für viele Frauen unerreichbare Freiheit.


„live loud and proud  like you deserve and reject their bullshit definition of what a woman should look like” ― Rupi Kaur 

Und auch jene Frauen, die den Idealen der Normschönheit relativ nahekommen, erleben Abwertung, wenn auch in ganz anderer Form: Sie werden abgewertet, indem sie auf ihr normschönes Äußeres reduziert werden. Es ist unmöglich, sich in einem weiblichen Körper richtig zu fühlen, es gibt keine richtige Art, einen weiblichen Körper zu haben, denn weibliche Körper sind immer falsch. Entweder sie sind als nicht sexuell verwertbar abgewertet oder als Sexobjekte.

Alleine das sollte ausreichen, um für Solidarisierung unter Frauen zu sorgen und sich gemeinsam die oben genannte, oft unerreichbare Freiheit zu nehmen: uns Raum mit unseren Körpern zu nehmen, wie sie sind: dick, dünn, in allen Hautfarben, alt, jung, behaart oder unbehaart. Falsch sind wir nämlich, in einer patriarchalen Welt, alle. Paradoxerweise kann genau Nacktheit aber dabei helfen, zu lernen, in und mit dem eigenen Körper zu sein.


Frau | Frauenkörper | Körper | Body Image | Nacktheit | Body Positivity | Schönheit | Antonius Ferret | myGiulia
Foto: Antonius Ferret/pexels

Wann warst du zum letzten Mal vor Freund*innen nackt? Wann zum letzten Mal in der Sauna oder oben ohne schwimmen? Wann warst du zum letzten Mal nackt, ohne dass es eine sexuelle Konnotation gehabt hätte? Wann zum letzten Mal ohne Angst vor Bewertung?

Warum ich das frage? Weil die Abwertung und Bewertung von weiblichen Körpern eng mit der Sexualisierung weiblicher Körper zusammenhängt, damit, dass gesellschaftlich eine heterosexuell-männliche Perspektive als Normperspektive gilt, als Blick, den wir alle von klein auf auf uns selbst, auf die Welt, und auf andere lernen. Und aus diesem Blick betrachtet werden Frauenkörper objektifiziert und sexualisiert. Ein Effekt dieser Sexualisierung und der Annahme, Frauenkörper wären, vor allem wenn sie nackt sind, inhärent sexuell, ist die Tabuisierung dieser weiblichen Körper. Ein besonders offensichtliches Beispiel hierbei ist, dass männliche Oberkörper, männliche Nippel ohne Probleme nackt gezeigt werden dürfen, weibliche Oberkörper hingegen nicht. Wenn Frauen oben ohne sind, gilt das schnell als „unanständig“, als etwas, das sich nicht gehört, da weibliche Brüste – im Gegensatz zu männlichen – nicht einfach sein dürfen, sondern mit sexueller und sexualisierender Bedeutung aufgeladen werden. Instagram geht so weit, dass weibliche Nippel nicht gezeigt werden dürfen, weil sie unter sexuellen Content fallen, männliche Nippel aber schon. Absurderweise kann man sogar weibliche Nippel mit männlichen Nippeln per Retousche „überkleben“, um Sperren zu umgehen. Popfeministisch wird das mit dem Hashtag #freethenipple seit längerem diskutiert und kritisiert. 


Frau | Frauenkörper | Körper | Sexualisierung | Body Image | Nacktheit | Body Positivity | Schönheit | Mariana Montrazi | myGiulia
Nacktheit ist nicht an und für sich sexuell. Auch weibliche Nacktheit nicht. (Foto: Mariana Montrazi/pexels)

Dass weibliche Körper infolge der Sexualisierung beschämt werden, tabuisiert werden, versteckt werden sollen und erstere nicht…dagegen gilt es gemeinsam zu rebellieren. Denn Nacktheit ist nicht an und für sich sexuell. Auch weibliche Nacktheit nicht. Und es hilft, einen besseren Bezug zu unserem eigenen Körper herzustellen, wenn wir ihn jenseits seiner sexuellen „Verwertbarkeit“ erleben, kennenlernen und akzeptieren lernen.


Die Dokumentation „Smoke-Sauna-Sisterhood“ ist in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Empfehlung. Der Film zeigt eine Gruppe von Frauen beim Saunieren und damit 90 Minuten lang ununterbrochen nackte Frauenkörper auf der Leinwand, aber so, wie ich sie noch nie zuvor im Kino gesehen hatte: nie objektifizierend, nie die Menschlichkeit der gezeigten Frauen negierend, nie nach Aufsehen heischend, nie bewertend. Es ist ein Film, in dem Frauenkörper einfach sein dürfen. Saunen, Frauensaunen, können viel bewirken, wenn es darum geht, Frauen einen Raum zu eröffnen, in dem sie sein dürfen. 


„Any body type is beautiful. It’s all about loving what you got and rocking it.” — Megan Trainor


Einfach sein dürfen


Für mich persönlich hat Nacktsein in den letzten zwei Jahren, Nacktsein mit Menschen, mit denen ich mich sicher fühle – mit meiner Mutter und meinen Schwestern in der Sauna, mit meinem besten Freund im Wellnessurlaub oder beim Oben-ohne-Baden – viel dazu beigetragen, mich besser mit und in meinem Körper zu fühlen. Wir alle brauchen mehr Räume, in denen unsere Körper einfach sein dürfen, ohne von außen sexualisiert oder nach ästhetischen Kriterien bewertet zu werden und ohne von innen den Druck zu spüren, auf eine bestimmte Weise sein zu müssen: sexy oder schön etwa, oder jung oder schlank.

Versteht diesen Text also ruhig als Aufruf zu mehr Nacktheit jenseits des Sexuellen und jenseits der ästhetischen Bewertung des eigenen Körpers. Gerne gemeinsam mit anderen Frauen, mit denen ihr euch sicher fühlt. Euer Selbstwertgefühl wird es euch danken.



 

Unsere Autorin


Autorin | Portrait | Pamela Rußmann | myGiulia
Foto: Pamela Rußmann

Beatrice Frasl ist Kulturwissenschaftlerin, Geschlechterforscherin, Podcasterin, Kolumnistin und Buchautorin. In ihren Arbeiten setzt sie sich seit Jahren mit den Leerstellen im Gesundheitssystem, psychischen Erkrankungen und Feminismus auseinander. In ihrem Podcast „Große Töchter“ bearbeitet sie geschlechterspezifische, gesellschaftspolitische Fragen. Als @fraufrasl betreibt sie auf Social Media Aufklärung zum Thema psychische Gesundheit und Feminismus.

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