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Auf allen Ebenen: Feministische Stadtplanung

TEXT UND INTERVIEW: JONAS VOGT


Wie könnte eine Stadt ausschauen, die nicht am Mann ausgerichtet ist, sondern an allen Bewohner*innen?

 


Feministische Stadtplanung I Frauen spazieren durch die grüne Stadt I Foto © Jonathan Chng I myGiulia
© Jonathan Chng

 


„Die Frau gehört ins Haus.“ Es mag ein wenig überraschen, aber dieser Satz ist einer der Startpunkte der feministischen Stadtplanung. Mit diesem Statement beginnt der Text „Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt ausschauen?“ der US-amerikanischen Architekturprofessorin Dolores Hayden, der 1980 erstmals erschien und eine These ins Rampenlicht holte, die in den Jahren zuvor nur in feministischen Zirkeln bekannt war. Die Städte und Häuser, in denen wir leben, seien nur vermeintlich neutral gebaut. Hinter ihnen stehe – vor allem in den USA, aber auch darüber hinaus – ein grundlegendes Prinzip in Architektur und Stadtplanung: Die Frau habe im öffentlichen Raum nichts zu suchen.

 


Die autofahrenden Männer der Mittelschicht


Mehr als 40 Jahre nach dem Erscheinen von Haydens Text stößt man immer noch auf viele Zerrbilder und Klischees, wenn es um feministische Stadtarchitektur geht. Viele Menschen, insbesondere Männer, können sich darunter wenig vorstellen. Aber auch die, die sich etwas auskennen, tappen in Fallen. Noch immer wird das Konzept gern auf einzelne Aspekte wie die Vermeidung von „Angsträumen“ – also Bereichen im öffentlichen Raum, wo sich Frauen nicht sicher fühlen – reduziert. Das ist ein wichtiger Punkt, um den es hier auch gehen wird. Aber der Diskurs ist in Wahrheit viel weiter. Auch weil sich der Feminismus verbreitert hat, weg vom einfachen Mann vs. Frau, hin zu einer intersektionalen Sichtweise. Die frühen Feministinnen stellten die Frage, wie man Städte für Frauen besser machen kann. Heute ist die Frage meist ein wenig weiter gefasst: Wie kann man die Stadt für alle besser machen?

 


Foto Studierende im Innenhof Österreichische Akademie der Wissenschaften I Gestaltung Landschaftsarchitektin Maria Auböck I Foto © Klaus Pichler I myGiulia
Der Innenhof der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wurde von der Landschaftsarchitektin Maria Auböck gestaltet. © Klaus Pichler

 


„Stadtplaner waren lange autofahrende Männer der Mittelschicht, und so schauen unsere Städte auch aus“, sagt Eva Kail. „Ein sehr plakatives Beispiel ist die Breite der Gehsteige, die oft nicht breit genug für Kinderwägen und ein daneben gehendes Kind ausgerichtet sind.“ Kail hat viel dafür getan, dass sich das ändert. Die Stadtplanerin Kail leitete elf Jahre lang die „Leitstelle Alltags- und Frauengerechtes Planen und Bauen“ der Stadt Wien und war als Gender-Planning-Expertin für zielgruppen- und alltagsorientierte Qualitätssicherung in Planungsprozessen zuständig. Ende Februar 2024 ging sie in Pension. Sie hat einen großen Anteil daran, dass Wien in Sachen Gender Mainstreaming in der Stadtplanung als Vorbild gilt. 

 


Wem gehört der öffentliche Raum?


Als Kail studierte, in den späten 70ern und frühen 80ern, wollten die Stadtplaner*innen, damals noch fast ausschließlich Männer, eigentlich nichts Böses. Sie wollten die Stadt nicht bewusst für Männer planen. Sie wären nur nicht auf die Idee gekommen, dass ein „Normalbewohner“ auch anders sein könnte als der Kollege neben ihnen in ihrem Büro. 1991 organisierte Kail gemeinsam mit einer Kollegin eine Fotoausstellung: „Wem gehört der öffentliche Raum – Frauenalltag in der Stadt.“ Kurz danach begann sie bei der Stadt Wien zu arbeiten. Gemeinsam mit Kolleg*innen sorgte sie jahrzehntelang dafür, dass die Erkenntnis in der Stadtplanung einsickert, dass sich die Bedürfnisse von Frauen von denen der Männer unterscheiden. Nicht überall, aber eben an wichtigen Stellen.

 


Frau mit Baby in den Händen beim Spazieren I feministische Stadtplanung I Foto © Dakota Corbin I myGiulia
© Dakota Corbin


Frauen gehen mehr zu Fuß und benutzen öfter öffentliche Verkehrsmittel. Sie übernehmen mehr Care-Arbeit. Sie brauchen öffentlichen Raum, wo sie sich hinsetzen und die Kinder sicher spielen lassen können. Sie müssen mit dem sperrigen Kinderwagen von A nach B kommen, vielleicht sogar zusätzlich noch mit einem quengelnden Geschwisterkind an der Hand. Untersuchungen zeigen, dass man mit Kinderwagen bei einem sogenannten „gebrochenen Lift“ – also quasi zwei Lifte mit Umstieg auf einer Zwischenebene – jedes Mal einige Minuten verliert. Das, was Menschen mit Kinderwagen benachteiligt, benachteiligt meist gleichzeitig auch hochbetagte Menschen oder solche mit Handicap. Der gebrochene Lift ist nur eines der kleinen, subtilen Beispiele, die zeigen, wie die Stadt an vielen Ecken und Enden an einem bestimmten Typ Mensch ausgerichtet ist: nämlich gesund und mit leichtem Gepäck, weil die Kinder wer anderer hütet.

 


Radikaler Wandel


Stellen wir uns einmal vor, wir würden morgen auf magische Weise in „der“ feministischen Stadt aufwachen. Wir hätten kein Problem, uns zu orientieren, weil es keine grundsätzlich andere Stadt wäre als jetzt. „Ich sage immer: Die Häuser werden auch in der feministischen Stadt nicht lila und eiförmig sein“, sagt Kail. Es sollen die Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden, nicht die Gebäude. Das ist alles nur so halb lustig: Es gibt Geschichten, noch gar nicht so lange her, wo Verkehrsplanerinnen von Kollegen gefragt wurden, ob die U-Bahnen jetzt rosa angestrichen werden.

 

Auf der anderen Seite geht es bei der feministischen Stadt natürlich trotzdem um einen radikalen Wandel. Im Kleinen, aber dafür überall. Es geht darum, auf jeder Ebene zu hinterfragen, an wessen Bedürfnissen man sich orientiert. Und dass man sich überhaupt mal bewusst macht, dass Bedürfnisse, die nicht vordergründig mit dem Geschlecht zu tun haben, trotzdem einen Gender-Aspekt haben. Der ist nämlich nicht immer gleich erkennbar und geht oft über die Bande. So trifft beispielsweise eine Schlechterstellung der Fußgänger*innen Frauen stärker als Männer, eben weil sie mehr zu Fuß gehen. „Wir wissen, dass beim Radfahren Komfort und Sicherheit für Frauen wichtig sind“, sagt Kail. „Deshalb hilft ein dichtes Netz von breiten, baulich getrennten Radwegen, den Frauenanteil zu erhöhen.“


 

Pionierprojekt Parkgestaltung


Als Beispiel, wie es gehen kann, gilt die Umgestaltung der Wiener Parks. In den 90er-Jahren zeigte sich, dass sich junge Mädchen zwar in Parks aufhielten, sie aber im Alter von 11 bis 13 von dort verschwanden, einfach weil es kein Angebot mehr für sie gab. Die Fußballkäfige waren das Gebiet der Buben. Außerhalb dieser gab es keine Möglichkeit, in größeren Gruppen zusammenzusitzen. Hecken und Büsche machten die Parks uneinsichtig, was das Sicherheitsgefühl verminderte. Ab der Jahrtausendwende wurden die Parks deshalb sukzessive umgestaltet. Die geschlossenen Fußballkäfige wurden an vielen Stellen durch V-förmige mit Sitzmöglichkeiten ersetzt. Stellenweise kamen Volleyballfelder oder Hängematten hinzu. Zuvor hatte es Befragungen gegeben, bei denen Mädchen gezielt angesprochen wurden, was sie sich wünschen würden. 



Foto Bruno-Kreisky-Park Wien I Mädchen in Hängematten I Städtische Parks I Feministische Stadtgestaltung I Foto © BV Margareten I myGiulia
Der Bruno-Kreisky-Park in Wien war quasi der Startschuss für die Umgestaltung der städtischen Parks, mit der man sie für Mädchen attraktiver machen wollte. © BV Margareten

 


Partizipation heißt, auch die leisen werden gehört


„Man muss bei partizipativen Projekten dahinter sein, dass man möglichst viele erwischt“, sagt Kail. Die leiseren Gruppen müsse man einladen, sonst höre man nur die lauten Stimmen. „Bei der Umgestaltung des Reumannplatzes haben wir Planungscafes mit Kaffee und Kuchen veranstaltet, damit wir die Frauen kriegen.“ An der Umgestaltung des Reumannplatzes zeigt sich auch, dass feministische und partizipative Stadtplanung im Detail kompliziert sein kann. Solange es nur um plakativen Kampf „Autofahrer gegen den Rest“ geht, sind die Sympathien schnell verteilt. Im Kleinen werden die Zielkonflikte komplexer. Bei der Umgestaltung des zentralen Reumannplatzes im 10. Wiener Gemeindebezirk zeigte sich bei der Beteiligung, dass statt der bisherigen Straßenbahngleise Männer sich dort einen schnellen Radwege wünschten, Frauen eher die Verbindung der beiden bisher getrennten Platzhälften und die Stärkung der Parkfunktion.

Man kann sich die Idee der feministischen Stadtplanung ein wenig vorstellen wie eine Pyramide. Der grundsätzliche Ansatz ist auf jeder Ebene ähnlich, aber die Ebenen bauen auch aufeinander auf. Die Basis bildet das große Ganze, die stadtplanerische Ebene. Dabei geht es, sagt Kail, vor allem darum, die Stadt nicht zu dicht zu bauen. „Es braucht Grünräume, es braucht Frischluftschneisen“, sagt sie. Nicht allein wegen des Klimawandels – der mache das Problem aber noch größer. „Viele Architekt*innen glauben, es ließe sich alles mit Gestaltung lösen“, lacht Kail. Aber wenn die Innenhöfe zu klein dimensioniert sind, hilft auch die beste Gestaltung nichts, um sie für unterschiedliche Gruppen gut benutzbar zu machen. Auch wenn Dinge wie Fassadenbegrünung sehr wichtig seien, müsse man auf der städtebaulichen Ebene bereits das Fundament für qualitätsvolle Dichte legen.

 


Sonnwendviertel Wiener Hauptbahnhof I Stadtplanung I Urbane Grünfläche I Foto  © Stadt Wien / ÖBB I myGiulia
Das neue Sonnwendviertel beim Wiener Hauptbahnhof wurde um einen großen Park herum geplant. © Stadt Wien / ÖBB

 


Von attraktiven Freiräumen über Ampelschaltung bis zur Gestaltung von Wohnungen

Und dann geht es nach oben, Ebene für Ebene. Bei der Planung der Öffi-Stationen müssen Rampen für die Kinderwägen mitgedacht werden. Bei der Ampelschaltung muss bedacht werden, dass Menschen mit 80 Jahren eine andere Geschwindigkeit haben als mit 20. Bei der Planung der Quartiere geht es darum, viel öffentlichen Raum zur Verfügung zu stellen – kurze Wege, attraktive Freiräume. Und so weiter und so fort, eben eine Stadt für alle. Das geht bis in die Grundrisse der Wohnungen hinein. Zum Beispiel bei der Planung zu bedenken, wie viel Zeit welche Personen in welchem Raum verbringen. Vielleicht kommt man dann darauf, dass es gar nicht gesetzt sein muss, dass die Küche klein, zweckmäßig und nach Norden ausgerichtet ist. Sondern dass sich darin auch ein wenig widerspiegelt, welche Arbeit gesellschaftlich anerkannt wird und welche nicht.


 

Inklusiv denken


Im öffentlichen Raum kommt man um die Angsträume letztlich aber doch nicht herum. Um diese zu vermeiden, reicht es nicht, einfach Straßenlaternen aufzustellen. Auch wenn das natürlich wichtig ist. Ein öffentlicher Raum, in dem sich Frauen sicher fühlen, muss inklusive gedacht werden. Das Licht darf nicht nur den Boden erleuchten, sondern auch die Gesichter der Menschen, damit man sie einschätzen kann. Schlecht einsehbare Engstellen sollten vermieden werden, Hauseingänge nicht nach innen versetzt sein, wie es in Gründerzeithäusern oft der Fall ist. Im Allgemeinen sollte eine gewisse Form der „sozialen Kontrolle“ da sein, im positiven Sinne: Wenn ich ein erleuchtetes Fenster sehe, gibt mir das ein Gefühl, dass ich im Zweifelsfall um Hilfe schreien kann.

 



Foto mit dem Fahrrad durch die Stadt I Fahrrad mit vollem Einkaufskorb I Feministische Stadtplanung I Boxed Water I myGiulia
Boxed water is better

Eine für alle


Auch wenn in der Zukunft noch viel zu tun bleibt, bis feministische und holistische Planungsansätze im Sinne von „Stadt Fair Teilen“ die Stadtstrukturen prägen, geht Eva Kail mit einem guten Gefühl in die Pension. Nicht nur, weil sie ihre Arbeit bei vielen Kolleg*innen in guten Händen sieht. An der TU Wien sind bereits zwei Drittel der Absolvent*innen im Fach Architektur Frauen. Auch ändern sich die Geschlechterrollen – langsam, aber doch. Viele Männer übernehmen auch mehr Care-Arbeit, und diese breitere Alltagsexpertise sollte auch in ihr berufliches Handeln als Planende einfließen. „Bei feministischer Stadtplanung geht es darum, die Strukturfrage zu stellen“, sagt Kail. „Das hilft, die ‘Stadt für alle’ tatsächlich zu realisieren.“ 

 


Portrait-Foto von Eva Kail mit Ausblick auf die Stadt Architektur I Wien I Feministische und Urbane Stadtplanung I Expertin im Interview I Foto von © Luiza Puiu I myGiulia
© Luiza Puiu

Im Interview


Eva Kail ist Obersenatsrätin und Expertin für frauengerechtes Planen und Bauen. Sie studierte von 1977 bis 1985 Raumplanung und Regionalwissenschaften an der TU Wien. Von 1992 bis 1997 leitete sie das Frauenbüro der Stadt Wien, ab 1998 die Leitstelle Alltags- und Frauengerechtes Planen und Bauen.




 

Unser Autor


Portrait-Foto Jonas Vogt I Autor I Foto © Nikolaus Ostermann I myGiulia
© Nikolaus Ostermann

Jonas Vogt ist gebürtiger Rheinländer und seit 2007 in Wien stationiert, aber gerne unterwegs. Er schreibt und interviewt für Medien aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Porträts, Reportagen, Beobachtungen, Gespräche, gerne in der Langstrecke und über größere Zeiträume hinweg, über Politik, das Leben und den ganzen Rest.


Seine Artikel erschienen bislang unter anderem in: Süddeutsche Zeitung, DATUM, Fleisch, Das Magazin, Der Standard, SZ Magazin, DIE ZEIT, Republik, NZZ Folio, Kurier, Falter.

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