TEXT: MARITA HAAS
Der Sommer sollte frei sein, hell und leicht. Der Sommer mit fünf Kindern ist eine Excel-Liste, begleitet von schwierigen Gesprächen und Machtansprüchen. “Doch was will eigentlich ich?”, fragt sich unsere Autorin.
Wer fährt mit wem wann wohin?
Der Sommer naht und mein Kalender ist chaotisch. Erst vor kurzem habe ich mich mit dem Papa meiner Kinder darauf geeinigt, in welcher Ferienwoche er gemeinsam mit ihnen eine Reise unternimmt. Ich hingegen bin heuer planlos.
Wer fährt mit wem wann wohin?, klingt nicht so schwierig, wie es tatsächlich ist. Wenn ich die Sommerferien plane, öffne ich zuallererst eine Excel-Liste. In dieser Liste steht, wann welche Kinder bei uns sind und wann nicht. Das kann je nach Alter, Vereinbarung und Vorliebe variieren. Für 2024 gilt: Zwei unserer fünf Kinder sind an 6 von 9 Wochen bei uns, eine davon vielleicht nur 5. Die zwei weiteren verbringen exakt 4,5 Wochen mit uns und der Älteste ist mittlerweile gar nicht mehr da.
Jedes Jahr stellt sich die Frage: Wie wollen wir uns organisieren, wo wollen wir starten? Immer wieder haben mein Partner und ich uns versichert, dass der Paar-Urlaub das Wichtigste sei und seit einigen Jahren ist es das, was wir als Erstes buchen. Als Fixpunkt oder auch als etwas, woran wir festhalten – der Rest nämlich wird in mühsamen Rotationen und Konfigurationen verhandelt.
„Wir streiten immer über den Sommerplan“, erzähle ich einer Freundin, und sie sieht mich fragend an. Bei ihr ist es klassisch: Zwei Kinder, zwei Erwachsene, zwei Wochen Griechenland, ein Sommercamp, ansonsten einfach der Pool im Garten – so sieht ihr Sommerprogramm aus. Zwischendurch arbeitet sie – vor allem vormittags, wenn die Kinder noch schlafen, und ansonsten genießen sie die Tage und die lauen Abende am Land. Sommer, so gut es geht. Jedes Jahr besuche ich sie, um ein bisschen Teil dieser Familie zu sein, ein Teil dieser Leichtigkeit.
Große Ferien
Es erinnert mich an früher: das nasse Gras unter meinen Füßen, nach dem Essen nochmal raus, um auf dem Asphalt vor dem Tor Badminton zu spielen oder eine Runde mit dem Rad durch die Siedlung zu fahren. „Große Ferien“, so haben wir den Sommer in der Steiermark genannt, und er fühlte sich endlos frei an. Wir haben die Zeit zwischen Garten und Freibad im Ort verteilt, selten war da noch eine Woche in Italien. „Große Ferien“ hießen sie wohl auch, weil wir uns vorerst unter einer neunwöchigen Freizeit ohne Schule, ohne Verpflichtungen gar nichts vorstellen konnten.
Heute sind es immer noch neun Wochen, aber sie sind durchorganisiert – wann wir verreisen, auf der Terrasse sitzen oder schlafen gehen, wird bestimmt durch den Arbeitsalltag von zumindest vier Erwachsenen.
„Zurück bleibt das ungute Gefühl, dass die Kinder mehr Schwimmbad und Nichts-Tun verdient hätten.“
Die Excel-Liste ist also wie ein Tetris-Spiel – nichts passt perfekt, Lücken sind gar nicht gut. Es geht nämlich nicht nur um die Verteilung der Ferienwochen, sondern auch um die Details. Beispielsweise macht es keinen Sinn, Kinder, die am Vortag erst mit dem Flieger von Paris gelandet sind, gleich wieder ins Auto zu verfrachten, um in ein Almdorf zu fahren. Umgekehrt bringt es auch nicht viel, zwischen den Ferienwochen Löcher zu erzeugen, Tage, in denen sie ausschließlich packen und frustriert sind, dass schon wieder ein Elternteil nervös kontrolliert, ob die Kinder eCards, Pässe und das Lieblingskuscheltier mithaben. Wie oft wir zwischen den Wohnungen hin- und herfahren, noch etwas Zusätzliches abholen oder bringen… Zurück bleibt das ungute Gefühl, dass die Kinder mehr Schwimmbad und Nichts-Tun verdient hätten.
Ein Elternteil schreibt wütende Nachrichten, dass die Ferieneinteilung der Kinder nicht zur betrieblichen Urlaubsplanung passt; und es stimmt: je kleiner die Kinder, desto wichtiger die Planung; desto besser muss geschaut werden, dass sich Urlaubstage und Wechseltage in der richtigen Relation überschneiden. Unser Sommerplan folgt seit jeher dem Dienstplan der Ex-Partnerin – auch das ist für mich nicht einfach. Dort treffen sich die perfekte Urlaubsplanung mit dem gewünschten Betreuungszeitfenster für die Kinder, während drei andere Erwachsene versuchen, Arbeitgeber*innen und Kolleg*innen davon zu überzeugen, dass der Urlaub unbedingt in der zweiten und dritten Augustwoche sein muss, aber keinesfalls in der letzten Juliwoche.
Es ist zu viel, was wir wollen: einen Urlaub im Großfamiliensetting, einen nur für uns, ein paar Tage in den jeweiligen Kernfamilien, dann auch noch gemeinsam zu den Großeltern nach Kärnten. Die Ferien sind also genauso zerstückelt wie die Familie. Nicht alles, was Patchwork heißt, ist eine bunte Decke, sondern es geht auch um gegenseitige Machtansprüche und die Frage, wer über wessen Freizeit bestimmen darf. Das Sich-hinein-quetschen-Müssen in die Erwartungen und Pläne der anderen war nie meine Stärke und die Problemfelder werden dadurch komplexer. So geht es beispielsweise bei Ohrenschmerzen im Urlaub längst nicht nur um die Entscheidung Im-Zimmer-ausrasten vs. Wird-schon-nicht-so-schlimm-sein und Zuhause-können-sie-sich-dann-eh-erholen, denn kranke Kinder vor dem Urlaub zu übergeben ist ein No-Go.
Entscheidungen
Wir entscheiden uns ob der Kinderanzahl fast immer für naheliegende Destinationen, fahren viele Jahre in den Morgenstunden nach Italien oder Kroatien – meist mit zwei Autos, da wir in einem ohnehin nicht alle Platz hätten, mit dem gewünschten Gepäck. Wir nehmen die azyklischen Zeiten; Sonntag hin und Freitag zurück, oft verlieren wir Nächte, bezahlen mehr Geld als notwendig, aber die Vorstellung mit fünf Kleinkindern auf der Autobahn im Stau zu stehen, hält mich davon ab, die klassische Samstag-Samstag-Woche zu buchen.
Im Nachhinein betrachtet war jeder Sommer stressig und als die Kinder jünger waren, waren zwei bis drei Wochen Sommercamp ein Muss, um sicherzustellen, dass sie versorgt waren, während wir arbeiteten – mit Sport, Freizeit und Betreuung. 3 Wochen ergibt pro Kind zwischen 700 und 800€. Viel zu viel, aber immer noch weniger als ein gemeinsamer Urlaub für ein ganzes Monat.
Je älter sie wurden, desto länger wurden die Zyklen, die sie bei den anderen Elternteilen verbringen, und die Vermissung größer. Nur beim ersten Mal habe ich den Fehler gemacht, meinen Urlaub schon in der ersten der beiden Wochen, wo meine Kinder nicht bei mir waren, zu buchen. Danach wusste ich, dass nichts schlimmer ist als die Einsamkeit an einem warmen Sommerabend am Meer, an dem ich ohnehin nur daran denke, was sie jetzt alles hier sehen müssten.
Die Zeiten ändern sich
Und irgendwann spielen die Kinder nicht mehr mit bei unserer perfekten Einteilung – sie haben jetzt andere Pläne, wollen den Sommer gemütlich angehen und nicht ständig Koffer packen müssen. Der Ferialjob, der ein bisschen Geld und noch ein bisschen mehr Erfahrung einbringen soll. Der Freund in Ungarn, der ein Ferienhaus besitzt. Die Oma, die man jetzt auch alleine und mit dem Zug besuchen kann.
Meine Liste funktioniert nicht mehr – ich gebe auf. Was ist es, das ich will?, frage ich mich. Wie würde er überhaupt aussehen, der optimale Sommer, den ich designe?
Ein Haus am Meer. Wo hinfahren und dort auch bleiben. Das wäre es. An einem Ferienort leben, für ein paar Wochen. Ein Platz am Wasser, schönes Wetter und Natur, ein Platz, an dem man nichts muss. Der Bikini für den Tag, eine lange Hose und ein gemütlicher Pulli, wenn es am Abend kühler wird und wir noch draußen sitzen wollen. Vielleicht ein Sommerkleid zum Einkaufen oder wenn wir uns einen schönen Abend machen wollen.
Was will ich eigentlich?
Annäherungsversuche an diesen Traum gab es schon, das stimmt. Eine Woche mit Freund*innen in Kroatien, in der ich außer den Bikinis nur zwei Sommerkleider und ein Strandkleid aus dem Koffer geholt habe, sonst nichts. Den ersten Spritzer gab es am späten Nachmittag, den letzten weit nach Mitternacht. In der Früh trafen sich drei Frühaufsteher*innen – und ließen sich gegenseitig in Ruhe. Ich mit dem SUP am Wasser, eine lesend in der Hängematte und einer, der beim Bäcker das Frühstück holt, weil er den Trubel der südlichen Städte mag. Die Kinder tröpfelten bis mittags aus den Zimmern und niemand musste irgendwas. In einer Nacht haben wir am Steg direkt am Wasser Sternschnuppen betrachtet, für meine Jüngste war es das erste Mal, dass sie gesehen hat, wie ein leuchtender Bogen über den schwarzen Himmel gezeichnet wird und gleich wieder weg ist. Nach einer Woche mussten wir wieder nach Hause. Umpacken, Kinder abliefern, Pässe weitergeben.
Verspüre ich Fernweh, weil ich wieder dorthin möchte oder weil meine Pläne seit über zehn Jahren „on hold“ sind? „Weißt du was?“, sage ich meiner Freundin, „ich will einen Sommer lang nur schreiben.“
Unsere Autorin
Marita Haas spricht und schreibt über Gender Equality, Ungleichheiten in der Arbeitswelt und wie man sie beseitigt. Sie glaubt an Fairness, Kollaboration und die Forderungen der GenZ und hat in diesem Zusammenhang mehr als 60 Organisationen beraten. Marita lebt in Wien in einer Patchworkfamilie mit 5 Kindern und träumt vom Haus am Meer.