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Bestens verbunden: Frauennetzwerke als Ort der weiblichen Entfaltung

von Katharina Sabetzer


Frauennetzwerke werden kritisch beäugt oder frenetisch gefeiert. Wir fragen uns, was man an der Kooperation und dem Networking unter Frauen überhaupt schlecht finden kann und haben dazu mit den Profi-Netzwerkerinnen Anastasia Barner, Stephanie Dettmann, Martina Panchyrz und Melanie Schütze gesprochen.


Frauennetzwerk myGiulia

Reese Witherspoon gilt gemeinhin als erfolgreiche Frau. Die (nicht nur) Oscar-dekorierte Schauspielerin und Unternehmerin zeigt sich stets lächelnd, lustig, freundlich, energiegeladen. Doch als sich 2016 und 2017 die #metoo-Bewegung auf ihrem Höhepunkt befindet, ist auch Reese Witherspoon in jenem tückischen Zwiespalt gefangen, ihre eigenen Erfahrungen sowohl öffentlich als auch privat verarbeiten zu müssen. Im Jahr 2021 erzählt Witherspoon dem US-Magazin „TIME“, wie heilsam es für sie während dieser Zeit war, sich mit anderen Frauen zusammenzufinden, die sie verstanden und sich in ihre Situation versetzen konnten.

Und die gewillt waren, Veränderungen zu forcieren.


Wer Reese Witherspoons Karriere abseits der Kinoleinwände verfolgt, erkennt auch in ihrer Arbeit mit ihrer Produktionsfirma „Hello Sunshine“, die 2021 als TIME Top 100-Unternehmen gelistet wurde, eine eindeutige Linie: nämlich Frauen ins Rampenlicht zu holen, den Fokus auf Frauen zu fördern, mit Frauen zu arbeiten, Frauen schlichtweg mehr Sichtbarkeit zu verschaffen – in einer toxisch männlichen Welt, wie sie auch außerhalb Hollywoods existiert. Denn wenn Frauen auf Frauen schauen und ihnen Möglichkeiten geben, verändert sich (endlich!) etwas. Oder?


„Schneller und mit mehr Spaß voran“


Ein Frauennetzwerk ist, wie Martina Panchyrz, Gründerin von M.STORIES, erzählt, „ein Ort, der einen inspiriert, motiviert, mit spannenden, anderen Menschen in Kontakt bringt“. Denn: „Zusammen kommt man schneller und mit mehr Spaß voran.“

Mit ihren M.STORIES sammelt Martina Panchyrz interessante Biografien. In kleineren und größeren Events werden Gründerinnen, Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen und viele mehr interviewt und zu ihren Anfängen befragt, sie erzählen, was sie motiviert hat und wann sie mutig gewesen sind.

Weibliche Vorbilder also, die es geschafft haben, mit ihrer Idee Aufmerksamkeit zu erregen, und die ihren Werdegang und ihre Erfolgsrezepte als Inspiration und Motivation für andere teilen.


Warum strengen wir uns nicht einfach mehr an?


Von anderen Frauen lernen und von anderen Frauen, vor allem jenen, die es bereits durch die gläserne Decke geschafft haben, gefördert zu werden, ist ein viel diskutiertes und auch aus mehreren Perspektiven erforschtes Thema.

Zumindest am Weltfrauentag, am Equal Pay Day oder am Equal Pension Day und – wenn wir Glück haben – sogar ohne Aktionstag werden uns mehrmals im Jahr Statistiken vorgelegt, die uns all die Lücken in Verdiensten, Arbeitszeitmodellen und Karriereplänen zwischen Männern und Frauen vor Augen führen. Seit Jahrzehnten wird zwischen den Zahlen und zwischen den Zeilen nach Antworten für das mangelhafte Durchstoßen der gläsernen Decke gesucht und die patriarchal strukturierte Welt, in der wir uns bewegen, dafür verantwortlich gemacht – oder (je nach Chuzpe) auch mal wir Frauen selbst.


Warum sorgen denn nicht endlich jene Frauen, die es in mittlere und höhere Managementebenen geschafft haben, dafür, dass andere Frauen es ihnen gleich machen können?, tönt es dann aus Blogs und Artikeln. „Der Trickle-Down-Effekt, die Hoffnung, dass Macht sich automatisch von oben nach unten verteilt, ist ein neoliberaler Mythos“, erklärt die Soziologin Franziska Schutzbach in ihrem Buch „Die Erschöpfung der Frauen“. Die wenigen Frauen in Führungspositionen werden anderen Frauen wie die sprichwörtliche Karotte vor die Nase gehalten, als glorreiches Ziel vor Augen: Wenn sie es geschafft hat, kannst du es auch schaffen. Wenn du dich genügend anstrengst.

Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Frauen in Spitzenpositionen bloß dann mitmachen dürfen, „wenn sie sich den männlichen Spielregeln anpassen, […] wenn sie für die essenzielle Emotionsarbeit, für Haus- und Familienarbeit weiterhin verfügbar bleiben […] und an sich selbst arbeiten“, konstatiert Schutzbach unter anderem und erklärt: „Trickle-Down-Ideen sind das Schmiermittel des Fortschrittsmythos, sie sind der hingehaltene kleine Finger.“


Die feministische Forschung hinterfragt in diesem Zusammenhang auch Netzwerke kritisch nach ihrem patriarchalen Charakter. Sind Netzwerke ein neuerlicher Versuch von Frauen, sich in einer typisch männlich geprägten Welt Gehör zu verschaffen? Sind Netzwerke nur ein weiterer Punkt der langen Liste an Selbstoptimierungen, die wir Frauen im Laufe unseres Lebens aufgetragen bekommen bzw. uns selbst auftragen?


Und genau hier setzt auch ein Kritikpunkt an Frauennetzwerken an: Frauennetzwerke seien das Gegenstück zu den „Old Boys Networks“, also jenen reinen Männernetzwerken, die immer noch die Zügel der Macht (und des Kapitals) in der Hand haben. Frauennetzwerke seien also – je nach kritischer Stimme – entweder nicht inklusiv genug oder gar nur eine Kopie jener Männerklüngel.


Dabei fokussieren sich Frauennetzwerke oftmals genau auf die Abgrenzung zu männlich dominierten Strukturen, wie Melanie Schütze, Gründerin von nushu, erzählt: „Einer von vielen Vorteilen von Frauennetzwerken ist, dass sie oft als geschützter Raum dienen, in dem wir Frauen unsere spezifischen Erfahrungen, Herausforderungen und Anliegen teilen können, ohne uns erklären oder rechtfertigen zu müssen. Hier können wir uns gegenseitig stärken, ermutigen und unterstützen, ohne von patriarchalen Strukturen oder Vorurteilen beeinträchtigt zu werden.“ Nushu vernetzt Frauen untereinander und stellt Wissen bereit, um mehr Frauen dazu zu ermutigen, ihre Talente und Ambitionen zu entfalten und zu leben.


Dass Netzwerke grundsätzlich wichtig sind, steht außer Frage. „Decades of research on organizational networks have shown that who you know – and who knows you – is critical to performance and career success. People in positive relationships are more likely to share valuable information, such as available job opportunities and insights into organizational politics, recommend each other for opportunities, vouch for each other, and provide work-related advice and support”, heißt es in einem Working Paper von Inga Carboni (und anderen Autor*innen). Und das gilt sogar geschlechterübergreifend.


Beziehungen, starke wie schwache, tragen uns durch alle Lebensphasen. Sie sind verantwortlich dafür, dass wir uns glücklich fühlen, sie geben Sicherheit, sie entlasten uns und sie öffnen uns Türen und Tore – zu mehr Kreativität, zu neuen Ideen, zur nächsten Karrierestufe. Beziehungen sind jedoch auch „ein Stück Arbeit“, sagt FeMentor-Gründerin Anastasia Barner, „denn du musst etwas aus dem Netzwerk machen. Beziehungen jeglicher Art müssen nicht nur aufgebaut, sondern auch gepflegt werden, daher solltest du dich aktiv bemühen, neue Kontakte zu knüpfen, aber diese nicht sofort aus den Augen verlieren.“


Wie netzwerke ich richtig?


Es ist aber nicht immer sofort erkennbar, von welchen Kontakten wir auf lange Sicht profitieren. „Sei offen und interessiere dich für andere”, rät zum Beispiel die Netzwerkforscherin Julia Schönbrunn und erklärt weiter: „Eine ungeplante Kontaktaufnahme, die unglaublich bereichert – jeder hat das schon mal erlebt.“


In Frauennetzwerken geht man jedoch meist noch gezielter voran und orientiert sich an zwei Leitfragen:

- Was kann ich bieten?

- Was benötige ich, um meine Ziele zu erreichen?


Netzwerke basieren auf Gegenseitigkeit. Ich kann jemanden unterstützen, im Gegenzug dafür aber auch etwas verlangen. Und nur wer sich klar darüber ist, welche Ziele sie mithilfe des Netzwerks erreichen will, kann auch leichter danach fragen.

„Wer einmal angefangen hat und den eigenen Impostor überwunden hat, weiß, wie viel Freude das Networking macht“, meint nushu-Gründerin Melanie Schütze und rät: „Du wirst neue Chancen entdecken, von anderen lernen, Feedback erhalten und wiederum andere Frauen empowern.“



Bild (links): Instagram Beitrag nushu Female Business vom 06. März 2023

Bild (rechts): Instagram Beitrag M.STORIES vom 23. Februar 2023


Zwischen Hochstaplerin und Konkurrentin


Das vielzitierte „Impostor Syndrome“, also das Gefühl, stets kurz davorzustehen in seiner vermeintlichen (!) Unfähigkeit entdeckt zu werden, als Hochstaplerin aufgedeckt zu werden, erschwert die ohnehin schon nicht leichte mental load von uns Frauen um ein Vielfaches und beeinträchtigt auch unsere Herangehensweise an Netzwerke. Trauen wir uns, nach Chancen und Möglichkeiten zu fragen? Wirft es ein schlechtes Licht auf uns, wenn wir um Unterstützung bitten? Sollten wir das nicht eigentlich alleine können? Und wie gehen wir mit Frauen um, die uns begegnen?


„Sich nicht vergleichen, keinen Druck aufbauen, die hohen Ansprüche an sich und andere herunterschrauben, zum Beispiel die perfekte Mutter sein zu müssen“, rät die Ärztin und Psychotherapeutin Simone Frohwein im Interview mit der SZ. Etwa: „Im Alltag kann das ganz simpel bedeuten: Frauen nicht verurteilen, die zur Geburtstagsfeier keinen selbstgebackenen Kuchen mitbringen, sondern Muffins vom Discounter.“

Auch das befreit uns von der mentalen Last.


„Die Schwierigkeit, sich in einer männerzentrierten Gesellschaft positiv an anderen Frauen zu orientieren, sich auf sie zu beziehen, wirkt sich auf den Selbstwert von Frauen aus“, schreibt auch Franziska Schutzbach. Wir vergleichen uns untereinander, wir versuchen den jahrhundertealten Druck durch die beständige Abwertung innerhalb einer patriarchalen Gesellschaft abzulegen. „Dass Frauen sich ihren Selbstwert oft an männlichen Maßstäben erarbeiten“, ist „ein unmögliches und erschöpfendes Unterfangen“, so Schutzbach weiter. „Den Kampf um Anerkennung in einer von Männern dominierten Welt führen Frauen, indem sie andere Frauen abwerten und am Ende auch sich selbst.“


Wer anstatt nach Solidarität unter Frauen eher nach Konkurrenz unter Frauen sucht, findet sehr schnell zu einem Potpourri an Verallgemeinerungen: Da fliegen uns die Klischeebegriffe wie „Bienenkönigin“, „Stutenbissigkeit“ und „gefällig und gefügig“ um die Ohren – und natürlich würden wir Frauen stets um den nächstbesten Mann konkurrieren, am Spielplatz wie am Arbeitsplatz.

Die Studien, wie allgemein wenig sich Frauen gegenseitig fördern, sind auch schnell parat und geben als Erklärung: Wir hätten das nicht so gelernt, wir Frauen hätten als Mädchen unsere Aggressionen nicht so ausleben dürfen wie Burschen und seien deshalb als Erwachsene gehässiger, hinterfotziger, subtiler in unserer passiven Aggressivität.


Von Konkurrenz ist bei den professionellen Netzwerkerinnen jedoch kein Wort zu hören, eher im Gegenteil: „Ich erwarte von einem Frauennetzwerk, dass wir mit alten Verhaltensmustern brechen und grundsätzlich neue Wege für uns definieren“, sagt etwa Stephanie Dettmann, Co-Gründerin von UND GRETEL. „Ich erwarte mir auch, dass Bewertung keinen Platz findet, sondern wir uns gegenseitig supporten und bereit sind, voneinander zu lernen. Vor allem aber auch, gegenseitig voneinander zu profitieren und dies anzunehmen, ohne sich dabei schlecht zu fühlen.“


„Netzwerk bedeutet für mich soviel wie Wachstum“, meint FeMentor-Gründerin Anastasia Barner. „Du erweiterst nicht nur dein Umfeld, sondern auch deinen Horizont mit spannenden Persönlichkeiten und Erfahrungsberichten, auf denen du aufbauen kannst.“ Ihre eigene Plattform ermöglicht sogenanntes „Reverse Mentoring“, die Talente der jüngeren Generation werden mit den Erfahrungen und dem Wissen der älteren Generation gleichberechtigt ausgetauscht. Jede wird zur Mentorin, jede wird zum Mentee.



Bild (links): Instagram Beitrag Stephanie Dettmann vom 08. Mai 2022

Bild (rechts): Instagram Beitrag Anastasia Barn vom 18. Juni 2022


Habe ich etwas Neues gelernt?


Welches Netzwerk zu einem passt, ist eine individuelle Entscheidung, sind sich alle Netzwerkerinnen einig. „Nicht jedes Netzwerk passt zu dir“, sagt Martina Panchyrz von M.STORIES. Sie rät, dass man sich verschiedene Netzwerke anschauen sollte und sich nach einem Treffen folgende Fragen stellen sollte: „Gehe ich mit mehr Energie nach dem Treffen nach Hause? Hatte ich gute Gespräche? Fühle ich mich wohl? Habe ich Neues gelernt?“

„Das Bauchgefühl darf ruhig den Ausschlag geben“, empfiehlt auch Melanie Schütze von nushu, wenn es um die Auswahl des passenden Netzwerks geht. Sie rät, sich unter Kolleg*innen und Freund*innen umzuhören, nachdem man den eigenen Wunsch, das eigene Ziel formuliert hat.


Oder man macht es wie Stephanie Dettmann, die eigentlich immer netzwerkt: „Egal, ob in der Schule unserer Kinder, bei Playdates, auf Events – überall kann man etwas für jemanden tun oder andersherum.“


Mehr Gleichberechtigung durch Frauennetzwerke?


Die einzige Lösung für mehr Gerechtigkeit können Frauennetzwerke natürlich nicht sein, dafür ist das Problemfeld zu komplex, die strukturelle Ungerechtigkeit zu tief verwurzelt in unserem Alltagshandeln.


Aber Netzwerke sind ein Zeichen von Stärke und von Empowerment. Jede Frau, die sich aktiv Zeit nimmt und sich das Ziel setzt, anderen Frauen ein bisschen Erleichterung zu verschaffen, anderen Frauen in irgendeiner Form Möglichkeiten und Chancen zu eröffnen, setzt einen weiteren Mosaikstein der Veränderung als Gegengewicht zu den alten, eingefahrenen Strukturen. Und befreit uns zumindest vorübergehend von dem Gefühl, ständig allein gegen die gläserne Decke zu stoßen.


Sei es ein Online-Mentoring-Programm oder ein female-only Event mit interessanten Speakerinnen, wo man neue Leute und neue Ideen kennenlernt. Sei es der Kaffeehaus-Stammtisch der pensionierten Lehrerinnen, die sich in allen bunten Lebensphasen zwischen Familienzuwachs und Trauer Halt und Unterhaltung geben. Sei es – wie bei Reese Witherspoon – ein Abend mit Rashida Jones, America Ferrara, Eva Longoria und Kerry Washington oder ein Gruppenchat voller Frauen, die sich regelmäßig zurufen: „Just keep going.“


Wir Frauen brauchen uns, wir brauchen einander. Wir brauchen uns in unserer Individualität. In all unserer Vielfalt. Erst wenn wir uns selbst sehen, werden wir auch wahrgenommen werden.



 

Information zur Auswahl unserer Interviewpartner*innen


Wir lieben es, Frauen medial sichtbar zu machen und wählen unsere Interviewpartner*innen immer aus Überzeugung, unabhängig und in Absprache mit unseren Journalistinnen aus. Unsere Interviews und Artikel sind niemals bezahlt, keine der Marken hat uns dazu beauftragt.

 

Im Gespräch mit


Anastasia Barner gilt als eine der jüngsten Gründerinnen Deutschlands. Mit ihrem Netzwerk FeMentor vernetzt sie das Wissen und die Erfahrungen von Frauengenerationen.






Martina Panchyrz ist Journalistin und ehemalige Chefreporterin bei einem Medienkonzern. Mit M.STORIES kreiert sie Events, die gleichgesinnte Frauen zusammenbringen. Das nächste findet am 21. April 2023 in München statt.






Melanie Schütze vernetzt mit nushu Frauen positions- und branchenunabhängig und bietet Zugang zu Wissen und Mentorinnen.






Stephanie Dettmann ist Gründerin der Naturkosmetik-Linie UND GRETEL und laut Eigendefinition „Networkerin by heart".







 

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