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Vom Wiener Mädel zur schönsten Frau der Welt: Das erstaunliche Leben der Hedy Lamarr

TEXT: KATHARINA CHAVANNE UND PAMELA RUSSMANN

MITARBEIT: CHRISTINE KLIMASCHKA



Hedy Lamarr I Film „Ziegfield Girl” (1941) I myGiulia
Hedy Lamarr auf einem Werbefoto für den Film „Ziegfield Girl” (1941)

„All creative people want to do the unexpected.”


Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 33 G, ein Ehrengrab der Stadt Wien. Auf der Tafel steht: „Films have a certain place in a certain time period. Technology is forever.” Dieser Satz stammt von Hedy Lamarr, deren Lebensreise hier ihren Endpunkt gefunden hat. Am anderen Ende der Stadt hat sie 1914 als Hedwig Kiesler das Licht der Welt erblickt. Wer war diese Frau, die in den 30er-Jahren aus Österreich und einer unglücklichen Ehe nach Amerika floh, dort zu einer der größten Hollywood-Diven und zur schönsten Frau der Welt avancierte? Was für ein Mensch steht hinter all den Projektionen und Klischees der makellosen dunkelhaarigen Schönheit, die in ihrer Perfektion 1937 den Look für Walt Disneys Schneewittchen inspirierte, in ihren Filmrollen aber zumeist als provokative Femme Fatale besetzt war? Wer war die Frau, der ihre Schönheit alle Türen öffnete, die aber gleichzeitig darunter litt, dass eben diese Schönheit den Blick auf ihren Intellekt und ihre Fähigkeiten als Erfinderin verstellte? Wer war Hedy Lamarr?

 


„Wo man geboren ist, sind die Wurzeln.“ - Hedy Lamarr

 

Hedwig Kiesler wird am 9. November 1914 in ein privilegiertes Umfeld hineingeboren und verbringt eine glückliche Kindheit im Döblinger Cottage. Sie wächst in einem Wien der Hochkultur, des gehobenen Bürgertums auf, Opern- und Theaterbesuche sowie glanzvolle Abendessen in der eleganten Villa stehen auf der Tagesordnung ihrer jüdisch assimilierten Eltern. Der Vater: Emil Kiesler, ein wohlhabender Bankdirektor. Die Mutter: Gertrud Lichtwitz, seine um 20 Jahre jüngere Frau, eine ungarische Konzertpianistin. Die beiden verwöhnen ihr einziges Kind Hedwig nach allen Regeln der Kunst. Die Tochter verbringt allerdings mehr Zeit mit Dienstbot*innen als mit ihren Eltern. Im Gegensatz zum kühlen Verhältnis zu ihrer Mutter vergöttert sie ihren technikaffinen Vater. Ihn bezeichnet sie in einem ihrer letzten Interviews als die „Liebe ihres Lebens“. Hedy Lamarr blickt zu diesem Zeitpunkt, 84-jährig, auf sechs gescheiterte Ehen, drei Kinder und über 100 Geliebte zurück.

 


Hedy Lamarr im Film “Let´s live a little” (1948) I Lions Eagle Films I myGiulia
Hedy Lamarr im Film “Let´s live a little” (1948)

 

Stilbibel schlägt Schulbuch


Wie damals üblich für das Wiener Großbürgertum verbringt die kleine Hedwig ihre ersten Lebensjahre in einem sehr kultivierten Umfeld. Bei ihrer Geburt im November 1914 befinden sich die damaligen europäischen Großmächte bereits seit fast einem halben Jahr in einem Krieg, der in den nächsten Jahren zig Millionen Opfer fordern und im Abgrund des Zweiten Weltkriegs münden würde. Von all diesem Leid abgeschottet, darf Hedy behütet und umsorgt von einem neugierigen Kind zu einer wachen jungen Frau heranwachsen. Sie besucht eine Privatschule, erhält Klavier- und Ballettunterricht, lernt mehrere Sprachen. Schon früh interessiert sich Hedy allerdings weniger für die Schule als für Filmschauspielerinnen und deren Mode. Im Hause Kiesler liegen zahlreiche Magazine auf und dank dieser Lektüre ist sie mit allen Stilregeln moderner Kino-Idole vertraut. Sie ist fasziniert vom Frauenbild der progressiven 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Der Partydresscode dieser Ära – Pagenkopf, Damenfrack und rote Lippen – steht bis heute für  gelebte Emanzipation.

 


Autogrammkarte von Hedy Lamarr I 1944 © Dell Publishing I myGiulia
Autogrammkarte von Hedy Lamarr, 1944 / © Dell Publishing

 

A star will be born


Schon mit 10 Jahren verkündet die selbstbewusste Hedwig: „Ich werde mal ein Star sein.“ Als Teenager nimmt sie heimlich an einem Schönheitswettbewerb teil und gewinnt diesen prompt. Betritt Hedy einen Raum, richten sich alle Blicke auf sie. Mit 16 bricht sie die Schule ab und heuert als Scriptgirl bei einer Wiener Filmproduktionsfirma an. Bald steht sie auch vor der Kamera, zunächst nur als Statistin, aber bereits in ihrem vierten Film spielt sie neben Hans Moser und Heinz Rühmann eine Hauptrolle. „Man braucht kein Geld” wird am 24. Dezember 1931 in Wien uraufgeführt. Kein Werk von großem künstlerischen Wert, sondern  ein „typisches deutsches Lustspiel aus der Zeit der wirtschaftlichen Depression der Weimarer Republik, das neben optimistischen und realitätsfernen Spielzügen auch einige ironische Anspielungen enthält. Filmtechnisch ärmlich und trotz Starbesetzung von ziemlich flauer Komik“, urteilt das Lexikon des internationalen Films.

 



 

Zwei Jahre später sollte Hedwig Kiesler in einem tschechoslowakisch-österreichischen Arthaus-Film für einen bleibenden Eindruck sorgen. „Ekstase” wird 1933 zu einem veritablen Skandal. Hedwig ist nicht nur in einer zehnminütigen Nacktszene zu sehen, für eine Eskalation abseits der Leinwand sorgt eine siebensekündige Liebesszene, in der ihr erregtes Gesicht zu sehen ist: der erste von einer Frau in einem Film gespielte Orgasmus. Dass der Regisseur mit einem Pieks mit einer Sicherheitsnadel nachgeholfen hat, um die gewünschte Intensität zu erhalten, ist entweder eine gut erfundene Anekdote von Lamarr oder ein Beweis dafür, dass #metoo schon vor knapp 100 Jahren im Filmbusiness sein Unwesen trieb.

 



 

Im bereits faschistisch geprägten Deutschland wird der Kunstfilm zunächst verboten. 1933 ist nicht nur das Jahr der Machtergreifung Hitlers, es ist auch das Jahr, in dem zwischen März und Oktober mit den so genannten Bücherverbrennungen gegen  jüdische, pazifistische, marxistische, oppositionelle, also alle von den Nazis als „undeutsch” klassifizierte Autor*innen vorgegangen wird. Erst 1935 wird „Ekstase” unter dem Titel „Symphonie der Liebe” in einigen wenigen Lichtspielhäusern gezeigt werden, mit dem Hinweis, dass es sich hierbei um ein „jugendverderbendes” Werk handle. Pikantes Detail: Hedwig war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten selber noch minderjährig.


Aus heutiger Sicht betrachtet sei „Ekstase“ wohl mit Abstand ihr bester Film, wie Michaela Lindinger in ihrem Buch „Hedy Lamarr“ schreibt: „Weitab von Hollywood-Normen, ein beinahe feministischer Film. Ein Film, der Frauen ein Recht auf ihre eigenen Entscheidungen und eine eigenständige Sexualität zugesteht.“ Nach den damals herrschenden Konventionen jedoch war der Streifen schlichtweg skandalös.


Ihre umwerfende Schönheit beschert Hedy schnell Starallüren, die sie Zeit ihres Lebens behalten wird. Schon bald soll ein Sager von Max Reinhardt ihr weiteres Leben bestimmen. In Berlin stellt der legendäre Regisseur und Produzent Hedy bei Theaterproben den Journalisten mit dem Satz vor: „Hedy Kiesler ist das schönste Mädchen der Welt.“

 


Hedy Lamarr in „The Strange Woman” mit Peitsche I myGiulia
Hedy Lamarr in „The Strange Woman”

Hedy goes to Hollywood


Hedy war sich ihrer sexuellen Reize schon früh bewusst. Fritz Mandl, ihr erster Mann – ein reicher, schwer dubioser Waffenfabrikant – verliebt sich im Jahr 1933 in eine zuckersüße Hedwig Kiesler, die lieblich in die Rolle der Sissy in einem Singspiel am Theater an der Wien schlüpft, um von dem noch tobenden Skandal um die hüllenlose Rolle in „Ekstase” abzulenken. Von der ersten Begegnung der beiden ist überliefert, dass der 14 Jahre ältere Mandl Hedy anspricht mit den Worten: „Ich nehme an, Sie haben schon viel über mich gehört?" Woraufhin sie angeblich antwortet: „Ja, aber nicht viel Gutes."


Zwei Monate wird Fritz Mandl um sie werben. Hedy konvertiert auf seinen Wunsch hin vor der Hochzeit in der Wiener Karlskirche zum Katholizismus, aber die Ehe sollte – wie auch Hedys fünf weitere – nicht lange halten. Hedy ist 19 Jahre jung und lebt im goldenen Käfig. Von nun an wird ihr ein Leben im Luxus geboten: Neun Automobile stehen bereit, Chauffeur inklusive, eine Residenz in der Wiener Innenstadt, ein Jagdgut und der Landsitz Burg Schwarzenau. Erst mit der Zeit findet sie heraus, wer der Mann wirklich ist, den sie geheiratet hat. Mandl, später mit dem zweifelhaften Spitznamen „Patronenkönig” bedacht, ist nicht nur extrem herrsch- und eifersüchtig, er untersagt ihr auch die Schauspielerei. Ein Kontrollfreak, der in der Gesellschaft etwas gelten will. Die Wohnung der beiden im Haus Schwarzenbergplatz 15 ist Treffpunkt für das politische und künstlerische Who is Who jener Tage. Der Dichter Ödön von Horwath, das Ehepaar Franz und Alma Werfel, Kurt Schuschnigg, der Mitbegründer des austrofaschistischen Ständestaats und spätere Bundeskanzler sowie sein Vize, Ernst Rüdiger von Starhemberg, gehören zum Freundeskreis. Sogar Benito Mussolini nimmt bisweilen Platz am Tisch und besteht laut Überlieferung darauf, stets neben Hedy zu sitzen. Waffenfabrikant Mandl macht ideologisch keinen Unterschied, wer ihn beauftragt. Mandl gilt Anfang der 30er-Jahre als drittreichster Mann Österreichs. Er macht u. a. mit dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland Geschäfte, ebenso mit Ungarn und Argentinien. Was sich wohl das Döblinger Mädchen Hedwig, das seine jüdische Identität akribisch geheim hält, in diesem Umfeld gedacht haben mag? Bei den Empfängen im Haus am Schwarzenbergplatz lernt Hedy in ihrer Funktion als Gastgeberin verschiedene Erfinder und Entwickler von Waffensystemen kennen, ein Umstand, den sie später noch nutzen würde.

 


„I knew very soon that I could never be an actress while I was his wife. He was the absolute monarch in his marriage. I was like a doll. I was like a thing, some object of art which had to be guarded — and imprisoned — having no mind, no life of its own.” – Hedy Lamarr

 

Auf der Suche nach Freiheit


1937 verlässt Hedy ihren Mann und die Stadt Wien. Sie ist es leid, nur als Schmuck eines wohlhabenden Mannes zu dienen, der noch dazu mit Faschisten und Nationalsozialisten Geschäfte macht. Sie will mehr vom Leben, vor allem will sie überhaupt: ein Leben. Und das ist für Menschen mit jüdischer Abstammung in Österreich in jener dunklen, unheilvollen Zeit immer schwieriger zu bewerkstelligen. Wie viele andere entscheidet sich auch Hedwig fürs Exil. Sie näht ihren Schmuck in ihre Kleidung ein, tarnt sich als Dienstmädchen, reist zunächst nach Paris, schließlich nach London. Dort setzt sie alles auf eine Karte. Sie folgt dem wohl ersten Filmmogul Hollywoods, Louis B. Mayer (dem zweiten M in „MGM”), auf den Luxusdampfer „Normandie“ Richtung USA. Sie zieht auch dort mit ihrem betörenden Aussehen alle Blicke auf sich und überzeugt Mayer, der auf der Suche nach frischen Gesichtern aus Europa ist, während der Atlantiküberquerung trotz spärlicher Englischkenntnisse von ihrem schauspielerischen Talent. Sie geht in London als Hedwig Kiesler an Bord und verlässt in New York das Deck als Hedy Lamarr. Lamarr, diesen Namen gibt ihr der Filmproduzent Mayer höchstpersönlich, und nicht nur das: auch einen Vertrag mit einem der damals wichtigsten Filmstudios Hollywoods: „MGM“ – Metro-Goldwyn-Mayer.


 

„Jedes Mädchen kann glamourös sein. Du musst nur still stehen und dumm dreinschauen.“ - Hedy Lamarr

 


Außenseiterin in Hollywood


Ihrem Akzent und ihrem Status als europäische Immigrantin geschuldet, besetzt man sie zu Beginn in der Rolle der „exotischen Schönheit”. Mayer rät ihr, Einladungen zu Parties anzunehmen, um dort Kontakte zu knüpfen. Nach kurzen Anlaufschwierigkeiten gelingt ihr 1938 der Durchbruch mit „Algier”, doch die eine markante Rolle, mit der sie sich als Schauspielerin in derselben Liga wie der einer zehn Jahre älteren Greta Garbo einschreiben könnte, die bleibt ihr vorerst verwehrt. Angeblich sei Hedy Lamarr sogar im Gespräch gewesen, die Ilsa Lund in „Casablanca” zu spielen, jedoch weigert sich Louis B. Mayer, „seine” Schauspielerin an die Konkurrenz, die Warner Bros. Studios, zu verleihen.

 


Hedy Lamarr Premierenfeier zum Film „Tales of Manhattan” in Los Angeles, 1942 I myGiulia
Hedy Lamarr bei der Premierenfeier zum Film „Tales of Manhattan” in Los Angeles, 1942

 

Zwischen 1938 und 1945 dreht Hedy Lamarr 15 Kinofilme. Bald aber entwickelt sie eine Abneigung gegen das ganze Hollywoodsystem, das sich als patriarchalische Gelddruckmaschine herausstellt. Das Netzwerk Hollywood hält für die smarte junge Frau aber auch einige Verbindungen bereit, von denen ihr intellektueller Hunger profitiert. Sie lernt den Luftfahrtingenieur Howard Hughes kennen, die beiden gehen auf Dates, wobei für Hedy mehr der Ingenieur als der Mann Hughes von Interesse ist. Tatsächlich nimmt der innovative Businessman sie mit in seine Flugzeugfabriken. Er stellt sie seinen Ingenieuren und wissenschaftlichen Mitarbeitern vor. Als Hughes ihr vom Ansinnen erzählt, noch schnellere Flugzeuge zu bauen, die er ans US-Militär verkaufen könnte, setzt Hedy sich an den Schreibtisch und recherchiert diverse Flügel und Flossen von den schnellsten Vogel- und Fischarten. Sie zeichnet eine Skizze für einen neuartigen Flugzeugflügel, präsentiert die Designs Hughes, der baff ausruft: „Du bist ein Genie!”

 


Hedy Lamarr und James Stewart im Film „Come live with me” I 1941 Foto © MGM I myGiulia
Hedy Lamarr und James Stewart im Film „Come live with me” (1941) / © MGM

Von der Schauspielerin über die Anti-Faschistin zur Erfinderin


Zeitgleich zu den goldenen Jahren der Hedy „Glamarr” wütet in Europa der Krieg. Hedy will etwas unternehmen, um ihr geliebtes Land vor dem Hitler-Regime zu retten. Sie fühlt sich zeitlebens verwurzelt mit ihrer Heimat und stellt sich auf die Seite der Amerikaner*innen, obwohl sie und andere Immigrant*innen, je näher der Kriegseintritt kommt, mit mehr und mehr Misstrauen beäugt werden. Man spendet einander in der Exil-Community Trost, richtet Essen aus und muss mitansehen, wie nach und nach die alte Heimat zerstört wird. Hedys sehnlichster Wunsch ist es, dabei zu helfen, den Faschismus in Europa zu bekämpfen – von Amerika aus. Ob und wie viele Verwandte und Freund*innen der Familie Kiesler-Lichtwitz im Holocaust ihr Leben verloren haben, ist nicht bekannt – Hedy Lamarr schweigt zu diesem Thema beharrlich ihr Leben lang.


1940 lernt sie bei einer kleinen Dinnerparty den Filmkomponisten George Antheil kennen, der im Nebenjob Erfinder ist und bereits ein Patent für einen Apparat hält, der die Noten, die ein Piano abspielt, auf Papier übertragen kann. Die beiden freunden sich an. Hedy findet in ihm einen neugierigen, wachen Geist, der sich – wie sie selbst auch – mit mehr als nur der Traumfabrik beschäftigt und besorgt das Weltgeschehen verfolgt.

Antheil beschrieb seine erste Begegnung mit Lamarr später folgendermaßen: „We began talking about the war, which, in the late summer of 1940, was looking most extremely black. Hedy said that she did not feel very comfortable, sitting there in Hollywood and making lots of money when things were in such a state. She said that she knew a good deal about munitions and various secret weapons and that she was thinking seriously of quitting MGM and going to Washington, D.C., to offer her services to the newly established Inventors’ Council.”


Lamarr bleibt in Hollywood und beginnt, mit Antheil in ihrer wenigen Freizeit, die ihr nach den Dreharbeiten bleibt, zu arbeiten. Wie Alexandra Dean, die Regisseurin des Dokumentarfilms „Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr” in einem Interview erzählt, litt Hedy unter schlaflosen Nächten, weil sie in den Radionachrichten die entsetzlichen Berichte von Flüchtlingsschiffen hörte, die nach Großbritannien übersetzen wollten, von den Nazis aber mit Torpedos beschossen und in die Luft gejagt wurden. Hedy, die ehemalige Frau eines Waffenfabrikanten, will nichts sehnlicher, als dem ein Ende zu bereiten und eine Technologie erfinden, die Torpedos unschädlich macht.


1942 – in diesem Jahr emigriert auch ihre Mutter und zieht zur Tochter nach Los Angeles – wird das von ihr und George Antheil gemeinsam entwickelte, angeblich störungssichere Torpedo-Steuerungssystem, ein Frequenzsprungverfahren, zum Patent angemeldet. Die Idee zu dieser Erfindung kam den beiden, als sie gemeinsam einen Film synchronisierten. Es ist ein Kommunikationssystem, von dem man annimmt, dass auf diesem auch die heutige kabellose Mobilfunk-Technologie (genauer gesagt Bluetooth, GPS und WLAN) basiert.

 


Faksimile: Ausschnitt aus dem eingereichten Patent für das „Secret Communication Systems”

von HK Markey (= Hedy Kiesler Markey)

 


Kunst und Technik


Bis heute herrscht jedoch hier unter den Wissenschaftler*innen Unstimmigkeit: Die wiederholte Theorie, dass Hedy Lamarrs Erfindung die Grundlage der geheimen Satellitenkommunikation bildet, entspräche eher einer „urban legend“ als der Wahrheit. Ihr Patent hatte keine Chance zu funktionieren, wie Michaela Lindinger in ihrer Lamarr-Biografie Tony Rothman von der Princeton University zitiert. Vielmehr wird die erotische Filmdiva von der US-Regierung als Propagandawerkzeug instrumentalisiert, ganz nach dem Motto „sex sells“. Sie sollte lieber mit ihrem Aussehen Kriegsanleihen verkaufen, wird ihr beschieden. Und so verschwindet das als „red hot“ eingestufte Patent in den Archiven der US-Navy.

George Antheil mutmaßte einige Jahre später in einem Interview, dass die künstlerischen Berufe der beiden – Filmkomponist und Schauspielerin – für Ablehnung bei den Entscheidungsträgern der damaligen Behörden gesorgt hätten und man ihre Erfindung allein deshalb nicht ernst genommen habe.


„Es ist für Frauen immer noch schwer, in der Technik anerkannt zu werden – gerade für eine Frau wie Hedy. Ihre Schönheit hat den Blick verstellt auf das, was hinter der Fassade steckt. Lamarr hat das WLAN nicht erfunden. Aber sie war trotzdem eine Vordenkerin ihrer Zeit“, so die Wissenschaftlerin Anja Drephal in einem Vortrag über Lamarr.

 


Ein amerikanischer (Alb-)Traum


1949 spielt Hedy Lamarr die weibliche Titelrolle in „Samson und Delilah“ von Regisseur Cecil B. DeMille, einem für diese Zeit typischen Monumentalfilm nach Motiven aus dem Alten Testament und mit einem gigantischen Budget von seinerzeit drei Millionen US-Dollar.

DeMille hatte detaillierte Vorstellungen, wie „seine” Delilah auszusehen hat. Im Frühling 1948 engagiert der für seine aufwändigen und spektakulären Filme bekannte Regisseur und Produzent einen Illustrator, der die „ideale Delilah” nach seinen Anweisungen zeichnen sollte. DeMille hatte Gemälde von Rubens, Rembrandt und Solomon Joseph Solomon studiert, aber seine Delilah sollte einen modernen Look haben. Sie sollte eine gefährliche Fähigkeit zur Rache ausstrahlen, dabei aber warm, weich und listig sein: „Eine Kombination aus Vivien Leigh und Jean Simmons mit einem Hauch Lana Turner.” All das findet er im Wiener Mädel Hedwig Kiesler alias Hedy Lamarr. Der bunte, 127 Minuten lange Bibelschinken wird zu einem der größten Kassenschlager des Jahrzehnts und erhält fünf Oscar-Nominierungen.


Der „Lamarr-Look“ wurde in dieser Zeit zum Inbegriff der Schönheit: porzellanfarbene Haut, eine Nase, deren Spitze leicht nach oben weist, perfekt gezeichnete rote Lippen, zu einem markanten, schmalen Bogen gezupfte, dunkel nachgezeichnete Augenbrauen und schwarzes mittellanges Haar, geteilt durch einen akkurat gezogenen Mittelscheitel.

 


„Men are most virile and most attractive between the ages of 35 and 55. Under 35 a man has too much to learn, and I don´t have the time to teach him.” - Hedy Lamarr

 


Doch so märchenhaft sich der Aufstieg von Hedy Lamarr anhört, so desaströs endet Hedys Karriere. Eine von ihr geleitete Filmproduktion ruiniert sie (nicht nur finanziell), 1958 dreht sie ihren letzten Film, hinzu kommen eine skandalöse Autobiografie mit dem Titel „Ecstasy and Me”, einige Schönheitsoperationen und mehrere Ladendiebstähle. Gequält von lebenslangen Selbstzweifeln, immer wiederkehrenden Depressionsschüben, Alkohol-  und Medikamentenabhängigkeit versucht sie verzweifelt, am Bild der schönsten Frau der Welt festzuhalten – für sich und für die Öffentlichkeit. Ohne Erfolg. Ihre Schönheit begriff Hedy Lamarr stets selbst als Fluch. Einerseits eröffnete ihr Aussehen ihr immer wieder Möglichkeiten in Bereichen, in denen es um die schiere Oberfläche ging, andererseits verbaute ihr selbiges Aussehen aber den Respekt und die Anerkennung auf dem Gebiet der Technik. Smart und hübsch zugleich – kann ja nicht sein! Oder?!

 


„Perhaps my problem in marriage – and it is the problem of many women – was to want both intimacy and independence. It is a difficult line to walk, yet both needs are important for a marriage.” – Hedy Lamarr

 


In den 1960ern – Hedy ist mittlerweile 50 Jahre alt - bleiben Rollenangebote aus und ihre Schauspielkarriere ist Geschichte. Hedy wird immer einsamer. Beide Eltern sind verstorben, sie hat einen verstoßenen Adoptivsohn, zwei entfremdete Kinder und sechs geschiedene Ehen. Ihre letzten Jahrzehnte verbringt sie zurückgezogen in Florida. Sie telefoniert stundenlang, jeden Tag, wie ihr Sohn Tony in dem 2018 erschienenen Film „Bombshell“ über seine Mutter erzählt.

 


Hedy Lamarr im Film “Dishonored Lady” malend I myGiulia
Hedy Lamarr im Film „Dishonored Lady”

 

Der bittere Nachgeschmack


Auch wenn die Wissenschaft ihre lebenslange Leidenschaft war, wurde keine ihrer Erfindungen je umgesetzt. Lange wurde Lamarrs Arbeit nicht gewürdigt. Erst 1997, drei Jahre vor Lamarrs Tod am 19. Jänner 2000, verlieh ihr die amerikanische Electronic Frontier Foundation (EFF) einen Pionier-Award für ihre Entwicklung des Frequenzsprungverfahrens. 2014 wurde sie in die National Inventors Hall of Fame aufgenommen. Seit 2018 verleiht die Stadt Wien jährlich den Hedy Lamarr-Preis an Forscherinnen aus Österreich. Gewürdigt werden damit innovative Leistungen in der Informationstechnologie.

Für Anerkennung, nämlich die seiner Mutter, kämpfte zeitlebens auch ihr Sohn Anthony. Das Ringen mit der Stadt Wien um ein Ehrengrab sollte 14 Jahre dauern. „Sein größter Wunsch war, dass seine Mutter unvergessen bleibt. Nachdem Hedy Lamarr ihre frühere Heimatstadt Wien so sehr liebte, wollte Anthony ihr hier unbedingt ein permanentes Denkmal gesetzt wissen“, schreibt Danielle Spera in ihrem Nachruf auf Anthony Loder, der 76-jährig im Jahr 2023 verstarb.

 


Im Namen von Hedy


Spät, aber doch hätte ihr 2024 eine öffentlichkeitswirksame Würdigung in ihrer Geburtsstadt zukommen sollen, in Gestalt eines Luxus-Kaufhaustempelsl auf der Mariahilferstraße: dem Lamarr. Ihr Name sollte von den Wänden prangen, und auch ein Museum mit ihrem Nachlass samt Statue am Dach hätte errichtet werden sollen. Doch durch die Pleite des Immobilienentwicklers SIGNA, Miteigentümer dieses Projektes, gerät alles ins Wanken.



Auch noch nach ihrem Tod nimmt das Schicksal seinen Lauf, und abermals steht die einst schönste Frau der Welt davor, in Vergessenheit zu geraten, denn zum jetzigen Zeitpunkt ist es ungewiss, wie es mit Hedys Nachlass, der in Besitz einer Subfirma von René Benko ist, weitergehen wird.



 

Lesempfehlung


Buchempfehlung myGiulia I Michaela Lindinger I Hedy Lamarr Biografie I Filmgöttin - Antifaschistin - Erfinderin



 









Artikellinks


 

 

Filmtipp


Film Bombshell I Die Hedy Lamarr Story I Filmempfehlung myGiulia

„Bombshell. Die Hedy Lamarr Story”

Regie: Alexandra Dean (2018)

 











 

 

Unsere Autorin


Katharina Chavanne I Autorin I ORF-Kulturradio Ö1 I Blog PARVIE I myGiulia

Katharina Chavanne begann nach einem Journalismusstudium in Wien als freie Mitarbeiterin beim ORF-Kulturradio Ö1. Frankophil seit Kindheitstagen verschlägt es sie 2009 nach Paris und in die PR. Als Expertin für den deutschsprachigen Raum betreut sie internationale Kunden in Green Beauty, Mode, Tourismus und Lifestyle. 2015 kehrt sie zurück nach Wien und gründet ihre eigene Kommunikationsagentur. Seit 2020 betreibt sie zudem den Blog PARVIE, der conscious Lifestyle, spannende Brands, Gründer*innen und die besten Adressen mit dem besonderen Etwas zwischen Paris und Wien aufspürt.








 

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