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Ich verlasse dich!

TEXT & INTERVIEW: LISA ASCHENBRENNER


„Ich liebe dich.” Drei kurze Worte, mit großer Bedeutung. Ebenso wie „Ich verlasse dich.” Auch drei Worte, aber mit komplett konträrer Wirkung. In einem Fall ist es ein möglicher Beginn, im anderen ein beginnendes Ende.

 


Augenkontakt I Trennung I Beziehungsende I Foto von © JD Mason I myGiulia
© JD Mason

Ich habe verlassen


Veränderung ist das einzig Stetige im Leben. Es gibt nichts, auf das man sich verlassen kann – außer, dass man sich auf nichts verlassen kann. Ich habe verlassen. Schon öfter. Erst vor kurzem. Und ich muss sagen, dass es sich in den jeweiligen Momenten meist erleichternd anfühlte. Wenn auch nur für kurze Zeit. Wie eine Verschnaufpause. Etwa ein Fortschritt? Oder gar ein „Befreiungsschlag“? Bei meiner letzten Trennung fühlt es sich rückblickend ein bisschen nach einer Flucht an. Aber das schreibe ich heute, knapp drei Monate später. Im Moment der Trennung schien es mir die „einzige“ Option. Oder vielleicht nur die einzige mir bekannte? Was, wenn es noch andere Möglichkeiten gibt? Was, wenn hadern oder in Frage stellen dazu gehört? Zu Beziehungen. Zu Liebesbeziehungen. Zur Liebe.


Was, wenn Liebe erst da beginnt, wo ich in der Vergangenheit immer gegangen bin? Was, wenn Trennung in meinem Fall nur die gewohnte Strategie ist, auf der Suche nach der „perfekten Beziehung”?


„Perfekt gibt es nicht. Es gibt gelingende Kommunikation, Wertschätzung, Offenheit füreinander und auch für die eigene Weiterentwicklung. Es gibt Respekt, Neugier und die Bereitschaft, miteinander zu wachsen. Das sind die Begriffe, die ich wählen würde, um glückliche Beziehungen zu beschreiben.“ Conny Habbel ist systemische Coachin und Paartherapeutin in München und hilft mir auf meiner Suche nach Antworten auf die Frage: Wann ist es Zeit, aus einer Liebesbeziehung zu gehen?

 


Foto von Pamela Rußmann I Frau von der Seite I Trennung und Beziehungsende I myGiulia
© Pamela Rußmann

Wir müssen den Blick auf die Liebe modernisieren


Betrachten wir den Begriff Liebe an sich, bevor wir uns ihrem Ende zuwenden. Das ist gar nicht so leicht. Die Liebe ist – wie Autorin und Philosophin Veronika Fischer in ihrem neuen Buch „Liebe“ sehr treffend beschreibt – ein sehr „komplexes Phänomen“. Ein Phänomen, von dem wir täglich auf verschiedene Weise umgeben sind. Seien es Songs, Werbe-Claims, Filme, Bücher oder das eigene Spiegelbild, das sich einfach nur einen netten Kommentar wünscht. Und zwar optimalerweise von der Person, die ihm in die Augen schaut. Wir können uns der Liebe von verschiedenen Blickwinkeln nähern, wie Fischer schreibt. Sei es psychologisch, neurobiologisch, anthropologisch, evolutionstheoretisch and so on. Am Ende scheint es aber so, als hätte sich das meistverbreitete Bild der Liebe von „Romeo&Julia“ über „Pretty Woman“ bis zu „Holidate“ & Co. kaum verändert. „Es ist, als würden wir in einer historischen Pferdedroschke auf die Autobahn fahren“, schreibt Fischer. Nicht nur hinsichtlich unserer heutigen permanent schwankenden Rollenbilder ist es absurd, dass die Ehe als Institution immer noch die meistgelebte Form der Liebesbeziehung ist. Oder zumindest die als gesellschaftlich am „erfolgreichsten“ bewertete, wenn sie denn bis zum Tod ausgehalten wurde. Amen!

 

Eine Modernisierung unseres Blicks auf die Liebe ist dringend notwendig. Und damit vielleicht auch unser Blick auf Trennungen. Wenn ich mir überlege, was Liebe alles sein soll – romantisch, erotisch, sicher, aufregend, erfrischend, aber doch immer vertraut –, dann verspüre ich einen enormen Druck. Diese riesengroße Erwartungshaltung an das große Glück, das bitte das ganze Leben andauern soll. Wie oft verwechseln wir wohl Liebe mit dem „Verliebtsein“? Diesem besonders aufregenden Gefühlszustand, der laut Fischer (oder der modernen Wissenschaft in Form von Hirnscans und Hormontests) übrigens die gleichen Auffälligkeiten zeigt wie Zwangsstörung oder Suchterkrankungen. Um sich einem absolut fremden Menschen zu nähern und dann auch noch zu öffnen, braucht es nicht nur Mut, sondern eher ein „ausgeschaltetes Gehirn“. Wie könnten wir sonst auf unser Herz allein hören, das ganz ohne Grund schneller schlägt? Ist es also nicht absolut verständlich, dass sobald das Gehirn wieder einsatzfähig ist, es anfängt, diese Gefühle zu hinterfragen? Ist mein Liebes- oder wohl eher Trennungsverhalten am Ende einfach nur normal?

 


Foto © Womanizer Toys I Frauenhände I Zusammenhalt I Beziehungen I myGiulia
© Womanizer Toys

 

Auf der Suche nach Antworten


Um weitere Antworten zu finden, suche ich das Gespräch mit zwei ehemals verheirateten Menschen. Ich möchte realistische Antworten. Keinen verklärten Blick. Spannend dabei ist für mich die unterschiedliche Schilderung des Trennungsprozesses bei Mann und Frau. Vor allem hinsichtlich der Kinder, die beim Trennungsprozess keine kleine Rolle spielen. Mir fällt auf, dass zumindest die finanzielle Abhängigkeit nur die eine, und zwar die weibliche, Partei betrifft. Dass die Angst vor „der bösen“ Mutter, die ihre Kinder verlässt, ebenfalls nur auf die Frau übertragen wird. Und es in dem einen mir geschilderten Fall über 12 Jahre dauerte, sich endlich „zu befreien“.

„Wie eine Blumenzwiebel, die über die Jahre aus sich herauswächst und erblüht”, beschreibt meine Interviewpartnerin Silke, 55 Jahre alt, ihren Trennungsprozess. Gleichzeitig sehr reflektiert darüber, dass die Rolle als Mutter in einer Ehe mit Kindern selbst gewählt war. Wie weit diese Rolle erwartet oder einfach vorgelebt wurde, diese Frage schwingt stets in der Luft, oder in meinem Kopf, mit.

 

Ich hole auch eine männliche Perspektive ein. Ich spreche mit Peter. Er ist 58 Jahre alt, zwar nicht ganz so redselig, dafür aber unglaublich stolz, trotz Trennung, den Kontakt zu Kindern und Enkeln nie verloren zu haben. Dennoch glaube ich, auch viel Enttäuschung über die Trennung, oder vielmehr die von der Frau „abgenommene“ Entscheidung rauszuhören. Was wohl passiert wäre, wenn man früher das Gespräch gesucht hätte? Oder dem Gegenüber früher richtig zugehört hätte? Dieses Rätsel bleibt in dem Fall ungelöst.

 


Wem spiele ich was vor?


Rosenkrieg gab es in beiden Fällen nicht. „Das ist nicht notwendig, wenn man die eigene Verletzung außen vorlässt“, meint Silke. Das klingt erwachsen. Es passiert nicht selten, dass Kinder plötzlich zum einzigen Grund fürs Bleiben oder Gehen werden. Es scheint mir auch leichter, sich als der oder die „Gute“ in einer „bösen Scheidung oder Trennung“ zu positionieren, wenn ich ein junges Publikum habe, dem ich diese Rolle vorspielen kann. Neben mir selbst. 



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© Hà Nguyễn

 

Wenn sich das „Trennen“ – ob nun mit oder ohne Kinder – also aktiv gestalten lässt, lässt es sich dann auch das „Lieben“? Wenn Liebe nach dem „sich verlieben“ kommt, scheint es ein Zusammenspiel von Herz und Verstand zu sein. Damit ist es nicht mehr nur ein passives Gefühl allein, was uns „umhaut“, sondern eine aktive Entscheidung, die wir „stärken“ können. Auch laut Fischer ist Liebe eine „Aktivität, die erlernbar, ausbaufähig und entwickelbar ist“. Das beruhigt und beunruhigt mich zugleich. Denn noch immer bin ich mir nicht sicher, ob Liebe allein immer ausreicht. Und wann es der Selbstliebe geschuldet ist, zu gehen.

 


Bleib ich oder geh ich?


Laufe ich nun etwa permanent vor etwas weg oder auf etwas zu, frage ich Conny Habbel, die Coachin. 

„Hier muss man erstmal fragen: Welches wäre denn im jeweiligen Fall das ,Weglaufen’?”, stellt sie die Gegenfrage. „In manchen Beziehungen kann es ein Weglaufen sein, wenn man bleibt, weil man Angst hat vor der Veränderung, vor dem Alleinsein. Das wäre ein Weglaufen vor der inneren Wahrheit, die nicht mehr mit dem äußeren Arrangement übereinstimmt. Wenn jemand umgekehrt dazu neigt, alles hinzuwerfen, sobald man Herausforderungen gegenübersteht, dann kann es sinnvoll sein, etwas länger zu bleiben, anstatt gleich die Beziehung zu beenden. Das heißt: erstmal zu prüfen, wovor man denn eigentlich ,weglaufen’ möchte. Eventuell gibt es Dynamiken in der Beziehung, die man beenden möchte, ohne dafür die gesamte Beziehung beenden zu müssen? Hier braucht es den Mut, wirklich hinzufühlen, was man will und was nicht, offen miteinander zu kommunizieren, darüber, was einem fehlt, was einen verbindet, und darüber, was vielleicht inzwischen nicht mehr stimmig ist, obwohl es einmal genau das Richtige war.“

 


Jede Beziehung ist individuell


Wenn die funktionierende Liebesbeziehung ein Gemälde wäre, frage ich Conny Habbel, wie würde es denn dann aussehen?

„Jedes Paar malt sein eigenes Bild. So wie jeder Mensch individuell ist, ist es jede Beziehung. Und das Gemälde entsteht auf dem Weg, es ist nie abgeschlossen, wird immer neu gestaltet und trocknet im besten Fall nie ein. Manchmal wäscht man auch wieder Farbe runter. Vielleicht holt man sich sogar eine neue Leinwand und startet neu. In solchen Umbruchsphasen kann es sich anfühlen, als würde alles einstürzen, was man aufgebaut hat. Solche Krisen können produktiv sein, denn Dinge sortieren sich dabei ganz neu.“

 


Foto © Lance Reis I Bunte Tabletten I XOXO I Pillen I Beziehungen und Nähe I myGiulia
© Lance Reis

 

Die Farben der Liebe


Die Antwort von Conny Habbel zaubert mir ein kleines Lächeln ins Gesicht, denn sie gibt mir eine dynamische Definition von Liebesbeziehungen. Eine Definition mit Weite. Es gibt mir Freiraum, in dem Fall sogar Gestaltungsfreiraum. Ob nun allein oder gemeinsam. Starr in etwas zu verharren, wird auf Dauer nie gesund sein. Mein Freigeist in mir fühlt sich damit abgeholt oder zumindest interessiert. Denn ich scheine selbst entscheiden zu können, mit welchen Farben, Materialien und in welchem Tempo ich die Beziehungs-Leinwand bemale. Und vor allem wird mir klar, dass – egal mit welchem Co-Creator – jeder seinen eigenen Pinsel braucht. Und vielleicht sogar seine eigenen Farbeimer. Und neben der gemeinsamen Leinwand, auch eine eigene. Liebe entsteht im Miteinander. Aber es bedarf Eigenarbeit. Und zwar bei beiden Parteien. Jemandem in einer (Liebes-)Beziehung zu begegnen, bedeutet immer auch sich selbst zu begegnen. Und das ist und bleibt beängstigend und irgendwie anstrengend. Und endet weiß Gott nicht bei der Entscheidung, sich „einfach zu lieben“. Auch wenn es für mich persönlich ein erster Anfang wäre. 

 


Im Interview


Portraitfoto Conny Habbel I Coach Beziehungen, Paare, Krisen I Foto von Julian Schulz I myGiulia
© Julian Schulz

Conny Habbel, 1979 geboren, begleitet als Coach Einzelpersonen und Paare. Sie unterstützt Menschen, die neue Wege suchen und Herausforderungen oder Krisen überwinden wollen. Als systemische Beraterin betrachtet sie den Menschen im System seiner Beziehungen. Hauptsächlich arbeitet sie dabei mit dem IFS-Modell (dem „System der inneren Familie“), einem evidenzbasierten und integrativen Ansatz, der den systemischen Blick auf die inneren Persönlichkeitsanteile richtet, um diese in Balance zu bringen und zu mehr Selbstführung zu gelangen. Conny Habbel ist Mutter zweier Kinder und lebt mit ihrer Familie in München und Wien.

 

 

 


 

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Britische Dramedy-Serie, die - eingebettet in ein Familienportrait - die Lebens- und Liebesgeschichte der Scheidungsanwältin Hannah Stern erzählt, die mit dem Scheitern ihrer eigenen Ehe konfrontiert ist. Bittersüß, warmherzig und vielschichtig. Drehbuch von Abi Morgan, Autorin von The Hour und River.

 



 

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Unsere Autorin


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© Hannes Thun

Lisa Aschenbrenner ist leidenschaftliche Alltagsphilosophin mit Talent für wilde Farbkombinationen, und systemische Coachin, die das Wort Coach ganz schrecklich findet, Fragen aber liebt. Mit Leidenschaft und gerne ehrlich schreibt sie über ihre täglichen Struggles auf der Suche nach dem Glück. Sie lebt irgendwo zwischen München und Berlin, schreibt im Kopf bereits ihr erstes Buch in NYC und arbeitet als Texterin & Concepterin. Ihr Credo? „Worte sind meine Kunst. Meine Poesie. Mein Wegweiser. Ich bin davon überzeugt, dass Worte die Welt verändern. Und deshalb teile ich meine.“

Ihre wöchentliche Substack-Kolumne „The weekly {B}LA” gibt es hier.

 

 

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