Text und Fotos: PAMELA RUSSMANN
Kürzlich habe ich auf meinem täglichen Spaziergang durch Instagram diese Kachel gesehen und sofort mit einem wissenden Lächeln gescreenshottet:
Ja, ich schreibe es hier nieder, schwarz auf weiß, klar und deutlich: Wer mich 2023 zu einem Treffen/einer Unternehmung/einem Event mit Beginnzeit 20.30 Uhr oder Gott bewahre noch später bittet, bekommt postwendend zur Antwort: „Leider, das ist mir zu spät!“ Und es ist mir nicht einmal peinlich, das zuzugeben.
Zum Glück sind meine Freundinnen ähnlich alt wie ich. Sprich: ähnlich müde.
Die wahren sozialen Parallelgesellschaften in einer Stadt entstehen entlang einer unvermeidbaren Trennlinie, und die heißt: „Ich bin ja keine 25 mehr!“ Eine ganze Welt an Aufregung, Funkenflug und Möglichkeiten steht mir ganz einfach aufgrund meiner alters- und alltagsbedingten Müdigkeit nicht mehr zur Verfügung. Man könnte – wenn man milde sein wollte – die Kategorie Müdigkeit gegen Lebenserfahrung austauschen. Aber Lebenserfahrung ist im Zusammenhang mit Nachtleben rasend unsexy, believe me.
„Gute Freunde kennen all deine Geschichten. Beste Freunde haben sie mit dir erlebt.“ – Sprichwort
Aus purem Zwang also umarmen wir das Tageslicht und suchen Lücken im Kalender, die synchron mit dem Biorhythmus und den Stundenplänen der Kids sind. Oh, ein Kleiderflohmarkt, schau, die Ausstellung gäbe es zu erobern, gehen wir frühstücken? Eines unserer Lieblingslokale öffnet seine glamouröse Pforte erst um 18 Uhr – die Belegschaft ist nicht immer amused, dass wir um 17.58 Uhr bereits megalocker an der Hauswand lungern, um auf jeden Fall unseren Stammplatz zu bekommen, wo man die beste Sicht auf das langsam sich aufwärmende, hochenergetische Partyvolk auf der Ausgehmeile gegenüber hat. Es ist ein kleines wehmütiges, sehnsüchtiges, mentales Hinüberstrecken auf die andere Straßenseite. Ja, wir waren auch mal dort drüben! Stellt´s euch das vor! Als wir so jung waren wie ihr jetzt, ihr kinderlose Meute! Auch wir konnten werktags, als gäb es kein Morgen und keinerlei Verpflichtungen, bis 4 Uhr früh feiern und nach wenigen Minuten Schlaf verkatert und sich die verrücktesten Momente der letzten Nacht entgegenschreiend arbeiten bis Büroschluss. Ohne Ibuprofen, ohne Gähnen, ohne innerlich zu Staub zu verfallen.
Das Zweitbeste an dieser Zeit war wohl, dass dieses Treibenlassen durch Clubs, Konzerthallen und durch die ganze Stadt en passant neue Bekanntschaften angespült hat. So als hätte man unsichtbaren Klebstoff am ganzen Körper, einmal mit ausgestreckten Armen in der Menge stehen und zack, irgendwer ist immer hängengeblieben und hat den Wahnsinn für wenige Stunden oder eventuell für einige Monate mit dir geteilt. So haben sich über die Jahre das Telefonbuch und das Buch der Erinnerungen gefüllt, mir nix, dir nix.
Wenn man ein Kind ist oder ein Teenager, und eben auch noch in seinen Zwanzigern, lernt man ohne viel Mühen, ohne viel Aufwand, ohne Krampf, beständig neue Menschen kennen. Im Kindergarten, in der Schule, beim Ausgehen, in Sportvereinen usw. Es ergibt sich wie von selbst, Gleichgesinnte zu treffen, um die unendlichen Weiten des Vergnügens auszuloten.
Ab einem gewissen Alter ist dieses spielerische Element der Freundeskreiserweiterung verschwunden. Viele haben sich eingerichtet auf ihrem Gleis des Lebens – und wollen da auch bleiben. In ihrem gewohnten Umfeld. In dem Job, den sie zielstrebig verfolgt haben und der Kraft und Aufmerksamkeit fordert. In dem Raum, den sie kennen. Unter den schweren Schichten des Alltags, mitunter begraben unter Mutterpflichten und Ansprüchen an eine romantische Beziehung, staubsaugend, biologisches Essen kochend und in ständiger Verfügbarkeit.
Umso mehr schätze ich die Frauenfreundschaften, die sich seit Jahrzehnten halten und die sich in ihrer Qualität und Tiefe zu einem Netz an Verlässlichkeit, Trost und Verbundenheit gesponnen haben. Wir haben Männer kommen und gehen sehen, gebrochene Herzen gemeinsam gekittet und gelacht, bis wir erschöpft umgefallen sind. Einige wurden schwanger, andere haben sich gegen Kinder entschieden, etliche haben geheiratet, manche sind Single, es macht keinen Unterschied. Wir haben die ersten Babies im Freundeskreis wie Weltwunder bestaunt und mittlerweile einige dieser Kinder groß werden sehen, die ersten sind schon ausgezogen und leben ihr eigenes junges Leben. Wir begleiten einander bei beruflichen Neuorientierungen, helfen bei Umzügen und Wohnungssuchen, federn das Unglück von Scheidungen, Trennungen und Todesfällen ab, so gut es geht, beäugen gemeinsam das Mysterium Dating-Apps, diskutieren über Feminismus und tauschen Styling- und Serientipps aus. Wir haben sogar eine Pandemie gemeinsam erlebt, na aber hallo haben wir das Daydrinking Game auf Parkbänken unabhängig vom Wetter gespielt, next level!
Wir haben die unterschiedlichen Lebenslinien mitverfolgt, abgeglichen mit den eigenen, und waren vor allem immer eines: immer füreinander da.
Die indisch-kanadische Schriftstellerin Rupi Kaur hat kürzlich geschrieben: „There´s something sacred and medicinal about being in the company of women. It´s the being understood without having to explain yourself. The laughter, the looks we give each other require no words.“
Im echten Leben. Analog. Von Herz zu Herz. Von Seele zu Seele. Das ist die Energie, die den täglichen Unterschied macht. Zusammen sind wir weniger allein.
Als ich ein Teenager war, war eine meiner liebsten Fernsehserien „Golden Girls“. Ewig weit weg und exotisch schien sie zu sein, diese Alters-WG von ergrauten Frauen in Florida, wo Sex, Sarkasmus und Sekt keine Fremdwörter waren. Nun denke ich mir, wie visionär diese Serie aus den 80er-Jahren eigentlich war und habe meinen Filter bei Immobilienseiten schon mal vorsorglich auf „barrierefrei“ eingestellt...
Usere Autorin
Pamela Rußmann ist Chefredakteurin bei myGiulia. Sie fotografiert seit ihrer Kindheit und parallel dazu schwingt stets die Liebe zu(m) Texten mit: Sie arbeitete beim ORF-Radiosender FM4, ist Gründungsmitglied der ORF-Late-Night-Show „Willkommen Österreich“. Für das Jahr 2020 hatte sie ein neues Lebenskapitel geplant, sie zog einen Schlussstrich unter ihre Fernsehtätigkeit, ab Mitte März war alles darauf ausgerichtet, den Fokus komplett auf die Fotografie zu legen. Doch dann kam der erste Lockdown und ihr bereits schön gefüllter Kalender war plötzlich leergefegt. Aber der Lockdown hat sie nicht blockiert, sondern sie hat in dieser Zeit ein kreatives Projekt entstehen lassen und im Lockdown Frauen auf der ganzen Welt zu einem Online-Shooting gerufen – deren Portraits und Gedanken zur Pandemie sind im bewegenden Buch: „Irgendwann geht auch das vorbei“ festgehalten.