Text & Fotos von Pamela Rußmann
Als Mutter kann man es niemandem recht machen, scheint´s. Bist du nicht sofort nach dem Mutterschutz am Arbeitsplatz, passt es den einen nicht. Willst du dein Kind die ersten zwei Jahre daheim betreuen, schreien die anderen. Mutterschaft, der echte, der einzige Mangelberuf, meint unsere Autorin Pamela Rußmann, die eigentlich mit ihrer 18jährigen Tochter einen Dialog führen wollte, aber es kam anders.
Weißt du noch, wie wir letztens am Tisch zusammengesessen sind, Omi, du und ich, und wir über Familien gesprochen haben und wie man den Alltag schmeißt, sodass dabei nichts untergeht und alle Bedürfnisse erfüllt werden, und ich dich gefragt hab, ob du mit mir als Mutter eigentlich zufrieden bist? Da hat der Opa, also mein Papa, von der Couch aus mit seiner unvergleichlichen Art sich eingeschaltet: „Naja, sie hat ja nur eine Mutter, was bleibt ihr anderes übrig als zufrieden zu sein.“
Wie zufrieden bin ich mit mir als Mutter für dich?
Ich denke, die Frage habe ich eigentlich nicht dir gestellt, sondern mir selbst. Wie zufrieden bin ich mit mir als Mutter für dich. Weil darüber denke ich seit nun fast 19 Jahren immer wieder nach. Und mit jedem Jahr sind es andere Dinge, über die es nachzudenken gilt. Ein Baby, das vollumfänglich abhängig ist von einer Person, in dem Fall: mir, um zu überleben, fordert anders als ein Teenager, für den die Mutter grad die nervigste, peinlichste, dümmste Person der Welt ist. Ein unbeschwertes vierjähriges Kind, das stundenlang mit strahlender Energie den Spielplatz auskostet mit der Kindergartengang, braucht andere Aufmerksamkeit als eine junge Erwachsene, die ihren Weg in die Welt hinaus und ihren Platz darin sucht. Ich beschäftige mich dann mit so Fragen wie: Was kann ich anders machen, was brauchst du im Moment wirklich, soll ich dich fragen, was ich kochen soll zu Mittag oder nervt es dich, wenn ich dich zu sehr „bemuttere“? Soll ich neben dir sitzen, wenn ich spüre, dass du grad unglücklich bist oder soll ich weggehen und dich alleine mit der Problemlösung zurecht kommen lassen, weil du jetzt schon „groß“ bist?
Das Gute am Kinderhaben ist, dass nicht alles auf einmal daherkommt, auch wenn sich das mitunter so anfühlen kann. Es ist ein Prozess, der sich Stück für Stück aufbaut, mal schneller, mal langsamer wächst, immer mehr Raum einnimmt, aber sich in Gestalt und Form ändert. Mal lauter, mal leiser ist. Ich hätte mich verrückt gemacht, wenn ich mir über den drögen Schulalltag Gedanken gemacht und Szenarien überlegt hätte, als du zwei Monate alt warst. Man lernt, im Jetzt zu sein. Ein Baby zwingt dich in die Gegenwart, würde ich sagen.
Nichts hat mir mehr beigebracht über die Welt und mich selbst als du, liebe Tochter.
Ich würde sowieso sagen, dass mir nichts mehr beigebracht hat über die Welt und mich selbst als du. Deine Anwesenheit in meinem Leben. Weil ich wegen dir mit dir über dich durch dich mit der Welt in Kontakt gekommen bin. Kommen musste. Eine erwachsene Frau kann sich in der Regel aussuchen, mit wem sie ihre Zeit verbringt. Kann Situationen und Dingen aus dem Weg gehen, wenn sie nichts damit zu tun haben will. In dem Moment, wo ein kleiner Mensch in dieses unser System eingeschleift wird, sich einklinken muss in den Zeitstrahl der Geschichte, kommt die Mutter nicht drumherum, sich mit dem Gesundheitssystem, dem Patriarchat, dem Arbeitsmarkt, dem Bildungssystem, dem Sozialstaat, dem Konsum, dem Medienwesen, den neuen Technologien, Zucker, Drogen, Tieren, Gefahren aller Art auseinanderzusetzen. Ich musste mich wegen dir zum Glück mit allen Erscheinungen, die dieser Planet so mitbringt, auseinandersetzen. Auch weil viele Fragen von dir gekommen sind. Ich weiß noch, wie wir auf dem Weg zur Kindergruppe waren, da warst du etwa vier Jahre alt, es war in der Früh, an der Kreuzung Reinprechtsdorfer Straße und Arbeitergasse, und du fragst mich, wo das erste Huhn hergekommen ist. Du hast so viele, so unglaublich lustige, weise, seelenvolle Sätze schon in deinem Leben gesagt, wie sehr ärgere ich mich, dass ich nicht mehr davon aufgeschrieben habe. Aber die Sätze sind in mir drin, sie haben mich mitverändert. Weil sie mich berührt haben. Oder erstaunt haben. Oder auch geärgert haben.
Als du noch kleiner warst und abends nicht alleine einschlafen wolltest und ich jeden Abend neben dir im Bett gelegen bin und deine Hand gehalten habe (erschöpft und genervt, weil das so lange gedauert hat, bis du eingeschlafen bist), da hast du oft verlangt: „Erzähl mir was von dir, wo du klein warst.“ Hui, und ich hab mir dann überlegen müssen, was ich dir von mir als Kind erzählen kann, und das war tatsächlich auch eine schöne Übung für die Erinnerungsfunktion des Gehirns. An welche Menschen erinnert man sich aus der Kindheit, welche Begebenheiten bleiben hängen, welche Situationen prägen sich ein? Welche Gefühle hat man im Nachhinein für Menschen, wie betrachtet man jene, mit denen man aufgewachsen ist?
Ich erinnere mich wahnsinnig gerne an alle Reisen, die wir zwei gemacht haben. Das sind wahrscheinlich die wertvollsten Tage und Wochen in meinem erwachsenen Leben, um ehrlich zu sein. Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich bin enorm froh, dass ich niemals mit dir in einem klassischen Familienhotel war in den Ferien. Oder einen kindertauglichen Urlaubsort gewählt habe. Ich denke, das habe ich deswegen nicht gemacht, weil ich als Alleinerzieherin nicht an einen Ort wollte, wo mir täglich eine Art Mangel aufgezeigt wird. Ich bin mit dir in große Städte gefahren. Wo eine Frau mit Kind nicht auffällt. Wir haben uns in fremden, gemieteten Wohnungen einquartiert, ich habe im lokalen Supermarkt eingekauft, Wäsche gewaschen und gekocht wie daheim, und wir haben eine Zeitlang so getan, als würden wir dort halt leben. In Paris, in Berlin, in Stockholm, in Oslo, in Verona… Wir waren auf Spielplätzen am Prenzlberg, wir haben bei 43 Grad im großen Brunnen beim Trocadero mit Blick auf den Eiffelturm spontan gebadet, du bist mit 12 Jahren allein in Oslo mit dem Bus gefahren, weil du dich schon so gut ausgekannt hast in der Stadt und dir das zugetraut hat. Weißt du noch, als wir das erste Mal in Stockholm waren, da warst du glaub ich 7, da hattest du eine komplette Garnitur Spielfiguren dabei, diese Polly Pockets, und Malsachen, und Bücher, und jeden Abend habe ich dir aus „Dirk und ich“ vorgelesen und wir haben beide geschrien vor Lachen, weil es einfach das lustigste Kinderbuch der Welt ist.
Mangel oder Defizit, das sind schon Worte, die mir immer wieder in den Sinn kommen. Hab ich dir immer alles geben können, was du gebraucht hast. Genug Zeit, genug Aufmerksamkeit, genug Spiel, genug Geld, genug Geborgenheit, genug gute Laune, genug Sicherheit. Man wird es nie wissen. Oder man wird es erst später wissen. Kindererziehung ist eine zeitversetzte Erfahrung. Man kann nie in der Sekunde sagen, so, das ist jetzt gut für ein Kind, das schlecht, weil man selten bis nie eine direkte Konsequenz sieht. Ok, außer das Kind fällt vom Klettergerüst und bricht sich einen Arm, dann schon. Aber das ist dir zum Glück nie passiert. Wobei ich lustigerweise genau über sowas, nämlich den Mut, irgendwo raufzuklettern, auf so ganz hohe Spielgerüste, immer wieder mit deiner Oma, meiner Mama, gestritten habe: Sie war dagegen, ich war immer dafür. Sie war dafür pro Eis vor dem Frühstück, ich contra. Das hast du natürlich gut für dich zu nutzen gewusst, also beides.
Und nun kommst du zur Wohnungstür rein - zurück von der Arbeit! Zwei Drittel deines Outfits sind aus meinem Kleiderschrank. Zeug, das du dir heute in der Früh genommen hast, während ich schlief. Du bist selbstständig um 5.30 Uhr aufgestanden, hast dich für deinen Studentinnenjob fertig gemacht, hast dir von meinen Sachen was ausgesucht zum Anziehen. Und ich habe geschlafen und nix mitbekommen. Hättest du mir das vor 17, 18 Jahren gesagt, ich hätte es mir nicht vorstellen können…man sagt ja, bereits die Geburt ist der erste Trennungsprozess von deinem Kind, aber ich empfinde es als Wellenbewegung. Manchmal wagst du dich weiter raus ins Ungewisse, manchmal suchst du bestimmten Schrittes die Nestwärme. Go with the flow, learning from the young generation, denk ich mir, nur kein Stillstand.
“Mama, du ich hab einen Plan gemacht. Ich weiß jetzt, was ich als nächstes machen will.”
Ah, cool, was denn?
“Ich hab beschlossen, ich geh als Au-pair für ein Jahr nach Frankreich.”
Schluck.
Unsere Autorin
Pamela Rußmann ist Chefredakteurin bei myGiulia. Sie fotografiert seit ihrer Kindheit und parallel dazu schwingt stets die Liebe zu(m) Texten mit: Sie arbeitete beim ORF-Radiosender FM4, ist Gründungsmitglied der ORF-Late-Night-Show „Willkommen Österreich“. Für das Jahr 2020 hatte sie ein neues Lebenskapitel geplant, sie zog einen Schlussstrich unter ihre Fernsehtätigkeit, ab Mitte März war alles darauf ausgerichtet, den Fokus komplett auf die Fotografie zu legen. Doch dann kam der erste Lockdown und ihr bereits schön gefüllter Kalender war plötzlich leergefegt. Aber der Lockdown hat sie nicht blockiert, sondern sie hat in dieser Zeit ein kreatives Projekt entstehen lassen und im Lockdown Frauen auf der ganzen Welt zu einem Online-Shooting gerufen – deren Portraits und Gedanken zur Pandemie sind im bewegenden Buch: „Irgendwann geht auch das vorbei“ festgehalten.