top of page

Kleinvieh macht auch Mist

TEXT und FOTOGRAFIE: PAMELA RUSSMANN


Ja kann denn das wahr sein, dass der Jänner sich anfühlt, als würde er schon sechs Monate dauern?



Lachende Frau auf dem Sofa I Foto von Pamela Rußmann I Kolumne Neujahrsvorsätze I myGiulia


Dabei war doch gerade erst Weihnachten und wir lagen komatös mit Gehirnen aus Zuckerwatte, Zimt und Zaudern auf der Couch und haben uns stöhnend durch das geistig betäubende Feiertagsfernsehprogramm und die unendliche Streamingfadesse geklickt, als gäbe es keinen ersten Arbeitstag im neuen Jahr. Wie war das noch mal mit dem Sand und dem Vogel und dem Kopf...naja, ihr wisst schon, was ich meine. Aber irgendwann ist auch der letzte Lebkuchen gegessen, die letzte Nadel vom Christbaum in den Staubsauger gesaugt und der letzte schulfreie Tag zu Ende.


On y va!


In der Physik versteht man unter Bewegung, dass ein Körper in einem Bezugssystem seine Lage ändert. Ich glaube, dieses naturwissenschaftliche Gesetz ist auch die emotionale Grundlage für Neujahrsvorsätze. Allerdings wissen wir auch, je schwerer der Körper, desto…nun ja…


Du spürst, du solltest oder könntest was ändern in deinem Leben, in deinem Alltag, mehr von diesem, weniger von jenem, aber: dafür müsstest du dich in Bewegung setzen. Entweder geistig oder körperlich. Oder im schlimmsten Fall: sowohl als auch. An umfassenden, ambitionierten Neujahrsvorsätzen sind schon willensstärkere Zeitgenossen und -genossinnen gescheitert, daher nehme ich 2024 Anleihe bei einem kleinteiligeren, sympathischen System, das die beiden Comedians und Podcaster Till Reiners und Moritz Neumeier in ihrem Podcast Talk ohne Gast · Podcast in der ARD Audiothek im Dezember dem Publikum erläutert haben.



Das Jahr der Bescheidenheit


Nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“ haben die beiden für die kommenden 12 Monate durchdekliniert, was man sich an bewältigbaren, übersichtlichen Aufgaben pro Monat vornehmen könnte, ohne katastrophal zu scheitern, weil der Plan, täglich 7 km zu laufen, drei Mal pro Woche ins Fitnessstudio zu gehen, eine Kleidergröße downzusizen, zwei neue Fremdsprachen zu lernen und jeden Tag mit den Kindern Latein-Vokabeln zu lernen spätestens um 13.30 Uhr am 3. Jänner zu purem Selbsthass führt. Eine Sache pro Monat – reicht doch!


Ladies and Gentlemen, zückt eure Bleistifte, macht euch Notizen und lasst mutig eurer Fantasie freien Lauf. Willkommen im Jahr der Bescheidenheit!



Vorsätzchen für 2024 (frei nach Reiners und Neumeier)


1. Im Januar verbringt man erfahrungsgemäß viel Zeit in der eigenen Behausung. Wir denken die Minusgrade neu und nehmen sie als Einladung an, uns mit dem zu beschäftigen, was in der schönen Jahreszeit gern hinten runter fällt. Daher lautet die Aufgabe für den Jänner: Zettelwirtschaft aufräumen! Alles, was mit Buchhaltung, Rechnungen, Belegen, Dokumenten, Sortieren, Ordnen, Versicherungen checken etc. zu tun hat: Das wird nun geklärt und abgeheftet. (Nebeneffekt: Die Prokrastinierer*innen finden eine Gelegenheit, Frischluft zu schnappen und in das nächste Schreibwarenfachgeschäft zu gehen, weil einen hübsch gestalteten Ordner, einen edlen Bleistift oder ein neues Mousepad, nun ja, braucht man.)



Mädchen mit Luftballons I Foto und Kolumne von Pamela Rußmann I Neujahrsvorsätze I myGiulia

 

2. Im Februar werden die Tage wieder länger, die Stimmung beginnt sich aufzurichten, die Sonnenstrahlen werden spürbar ausgiebiger, und weil man die Vitamin D-Produktion am besten ganz nebenbei und in Gesellschaft ankurbelt, verabreden wir uns im Februar mit einer Freundin, mit der wir uns schon ewig treffen wollten, aber stets die Zeit gefehlt hat, auf einen Spaziergang. Am besten zwischen 11 und 15 Uhr, da ist die Aussicht auf blauen Himmel am größten, idealerweise wählt man eine Strecke, die in freie Natur führt, weg von gepflasterten oder geteerten Straßen, schließlich ist der abwechslungsreiche, unvorhersehbare Wald- und Wiesenboden eine herrliche Übung für unser Gleichgewichtsgefühl. (Notiz: Passendes Schuhwerk anziehen! Keine Ausreden!)

 

3. Im März widmen wir uns dem Essen. Jede von uns hat garantiert das EINE Gericht, das sie gern und seit Jahren zubereitet, wenn liebe Menschen zum Essen kommen. Die Aufgabe für dieses Monat besteht darin, sich hinzusetzen mit allen ungelesenen, verstaubten Kochbüchern, die in dem einen Fach im Bücherregal vergammeln, und ein neues Gericht zu suchen und auszuprobieren, mit dem man für die kommenden drei Jahre den Freundeskreis bei fallweise stattfindenden Zusammenkünften bewirten kann. (Nebeneffekt: Wenn man dieses eine weitere Gericht beherrscht, ist schon wieder ganz viel Denkarbeit weg. Schlimmste Gedankenschleife zwischen Montag und Sonntag: „Was soll ich kochen?“ Wer kennt´s nicht…)

 

4. Wenn der Frühling dann so richtig in die Blüte kommt und die dicken Strumpfhosen in der Lade verschwinden dürfen – Stopp! Die Lade. Genau davor bleiben wir stehen. Im April drehen wir die Läden, Fächer oder Kastln mit der Leibwäsche um und schauen jeden einzelnen (vor allem die einzelnen) Socken an, checken alle Strumpfhosen, begutachten jede Unterhose, die sexyen und jene für die Menstruationstage, kontrollieren alles auf Löcher, Gummizugfestigkeit und Abnutzung, und alles, was eindeutig jenseits von Gut und Böse ist, wird entsorgt.

 

5. Im Mai – ach, man könnte Bäume ausreißen! Alles neu macht der Mai, besagt ein altes Sprichwort, und dann nehmen wir das doch einfach wörtlich: Eine Sache lernen wir neu. Etwas, was du immer schon mal ausprobieren wolltest. Wovor du vielleicht ein wenig Schiss hast. Oder du denkst dir, mah, dafür bin ich zu alt. Oder: Ach, das brauch ich ja doch nicht. Doch! Genau das brauchen wir jetzt. Etwas Neues lernen! Oder zumindest: ausprobieren. Das kann ein Töpferworkshop sein, eine Schnupperstunde klassische Gitarre, ein Schwimmkurs, um endlich mal richtig kraulen zu lernen, tatsächlich ein Sprachkurs (vier Wochen Italienisch für Anfänger!) oder sich mit Kalligraphie beschäftigen. Gar nicht groß nachdenken, einfach tun!



Verena Altenberger spielt Gitarre auf dem Sofa I Kolumne und Foto von Pamela Rußmann I Neujahrsvorsätze I myGiulia


6. Schwer vorstellbar im Moment, aber im Juni könnte es durchaus sein, dass wir wieder Tagestemperaturen um die 30 Grad bekommen. Die Freibäder sind geöffnet, die Parkanlagen laden zum Verweilen ein, und weil wir schon fast die Hälfte des Jahres wieder vorbei haben und garantiert bei der einen oder anderen der Schuljahresendstress mit den lieben Kindern voll einschlägt, nehmen wir uns kontrazyklisch vor, im Monat Juni die Beine hochzulegen und ein Buch zu lesen. Egal, welches, ohne sich Stress zu machen, dass es unbedingt ein „gutes” Buch sein müsse, ach was, einfach das Buch, das dich anspricht in dem Moment. Entweder eines vom Stapel der Ungelesenen daheim, oder eines, das du von einer Freundin empfohlen bekommen hast, oder du gehst zur Buchhandlung in der Nachbarschaft und lässt dich beraten. Einzige Aufgabe lautet: Jeden Tag 30 Minuten lesen, ohne Wenn und Aber. Gutes Gefühl garantiert.


7. Oh, der Juli! Der Sommer ist nun so richtig im Saft, auch wir safteln in unserem eigenen Schweiß vor uns hin, was machen wir also folgerichtig? Genau, wir gehen ins Kino. Kinos sind herrlich kühle Räume im Sommer, und weil wir die lauen Sommerabende genießen möchten – schließlich gibt es nicht unendlich viele davon – suchen wir uns eine Filmvorstellung tagsüber aus. Am besten mit einer Beginnzeit zwischen 13 und 14 Uhr, dann, wenn es am heißesten unter der Sonne ist, und kombiniert mit der Aufgabe, alleine ins Kino zu gehen. Was für ein Genuss das sein kann, mit nur ganz wenigen anderen Leuten tagsüber an einem Sommertag einen Film im dunklen, herrlich entspannenden, untrubeligen Kinosaal anzusehen, mit niemandem reden zu müssen danach, wie einem der Film gefallen hat, sondern einfach zu genießen. Und ein kleines Geheimnis zu haben. (Auch keine Instastories oder dergleichen abfeuern mit grässlichen Hashtags wie #metime oder #selfcare! Nada!)



Baby- und Kinderfüsse barfuss im Sommer I Kolumne und Foto von Pamela Rußmann I Neujahrsvorsätze I myGiulia


8. Der August ist ein sehr brauchbarer Monat, um Ausflüge zu machen. Das Wetter ist stabil, die Tage sind lang, die Seen sind warm. Auch du hast bestimmt in deinem Handy Screenshots oder Notizen von Orten in der Nähe, die du immer schon mal besuchen wolltest, aber noch immer nicht geschafft hast. Sei es der eine Badeteich, von dem so viele schwärmen, oder ein Schloss mit einem besonderen botanischen Garten, das du immer schon mal besuchen wolltest, oder der Berg, der dich schon seit Jahren ruft. Now is the time! (Protipp: Jede Gelegenheit nutzen, um im Gras zu liegen und in den blauen Himmel zu schauen. Tagträumen inklusive!)

 

9. Die Sommerpause der Kunst- und Kulturstätten ist vorbei, im September locken uns die Theater dieser Welt mit spannenden Premieren, neuen Ensembles, es gibt Kabarettlokale, die sich überschlagen mit Neuentdeckungen, und Lesungen gibt es sowieso flächendeckend im ganzen Land. Im September also lautet deine Aufgabe: einen Abend der Kultur widmen. Denk nach, wer aus deinem Freundeskreis sich über eine Einladung zu einem Konzert oder einem Theaterstück freuen könnte – und dann rein in die schönen Klamotten. Keine Scheu vor Unbekanntem – man muss nicht alles verstehen, was einem vorgesetzt wird und es ist kein Studium der Musikwissenschaften notwendig, um sich in eine Opernaufführung zu verlieben. Es ist das Erlebnis, das zählt. Die Energie, die man spürt, wenn kein Bildschirm zwischen dir und der Geschichte ist. Die Kraft, die von einer Band ausgeht, die sich auf der Bühne verausgabt für dich. Die Nähe, die eine Schriftstellerin zulässt, wenn sie aus ihrem eigenen Buch liest. Human to human-Experience, that´s the spirit!


10. Im Oktober schreiben wir eine Liste. Und zwar eine Liste mit allen Personen, denen wir eventuell zu Weihnachten etwas schenken möchten. Im besten Fall kommt neben den Namen auch schon die Geschenkidee.



Frau lachend bei Party I Freude am Leben I Neujahresvorsätze I Kolumne und Foto von Pamela Rußmann I myGiulia


11. Der November, leider, ich muss das so drastisch sagen, ist für mich der nervigste Monat von allen. Der grad noch so schöne, farbenfrohe Herbst ist zack vorbei und die Natur zieht sich auf ein Minimum an Lebenskraft zurück. Die Nächte werden länger, die Heizungsluft bringt Jahr für Jahr meine Haut zum Jucken und Schuppen, die Infektionskrankheiten nehmen zu, ganz schön schwer, hier gut gelaunt zu bleiben. Daher lautet die Aufgabe für den November: Gönnung! Im November brauchen wir etwas, das die Stimmung hebt, das Freude macht, etwas, das Wärme bringt. Sei es eine wohltuende Massage, mit dem Liebsten eine verschmuste Fotosession in einem Fotoautomaten machen, ein ausgiebiger Friseurbesuch, eine verrückte Gesichtsbehandlung oder ein Daydrinking-Date mit einer Freundin (es wird eh früh finster!). Hauptsache, die Endorphine fluten das Gehirn.

 

12. Im letzten Monat des Jahres ziehen wir noch einmal alle Kräfte der Handwerkerkompanie zusammen. Wir alle haben es nämlich garantiert zu Hause. Das eine Ding, das schon längst repariert oder ausgetauscht werden müsste. Ein verkalkter Duschkopf, die eine Schublade, die seit Ewigkeiten und einem Tag klemmt und jedes Mal Aggressionen verursacht, wenn man fluchend an ihr reißt, oder die eine Lampe, die seit dem Einzug leider den Weg vom Umzugskarton an die Decke nicht geschafft hat. Im Dezember wird diese eine Sache erledigt. Damit das Jahr positiv abgeschlossen wird und wir mit einem Augenzwinkern in den Rückspiegel des Lebens schauen können: „Das hast du echt gut gemacht. Was für ein tolles Jahr, dieses 24er! Hätt ich mir im Jänner nicht gedacht…“



Check Liste 2024

Du hast dich in Pamelas Liste verliebt und hast Lust darauf ihre Vorschläge umzusetzen? Hier kannst du die Checkliste gerne herunterladen und auf dem Kühlschrank, am Schreibtisch oder auch am WC anbringen. Viel Spaß beim Ausprobieren!



 


 

Unsere Autorin


Chefredakteurin und Fotografin Pamela Rußmann I Kolumne Neujahresvorsätze I myGiulia

Pamela Rußmann ist Chefredakteurin bei myGiulia.

Sie fotografiert seit ihrer Kindheit und parallel dazu schwingt stets die Liebe zu(m) Texten mit: Sie arbeitete beim ORF-Radiosender FM4, ist Gründungsmitglied der ORF-Late-Night-Show „Willkommen Österreich“. Für das Jahr 2020 hatte sie ein neues Lebenskapitel geplant, sie zog einen Schlussstrich unter ihre Fernsehtätigkeit, ab Mitte März war alles darauf ausgerichtet, den Fokus komplett auf die Fotografie zu legen.



Doch dann kam der erste Lockdown und ihr bereits schön gefüllter Kalender war plötzlich leergefegt. Aber der Lockdown hat sie nicht blockiert, sondern sie hat in dieser Zeit ein kreatives Projekt entstehen lassen und im Lockdown Frauen auf der ganzen Welt zu einem Online-Shooting gerufen – deren Portraits und Gedanken zur Pandemie sind im bewegenden Buch: „Irgendwann geht auch das vorbei“ festgehalten.

Unterstütze unser Magazin!

Das myGiulia Magazin ist unabhängig und werbefrei. Wir glauben an wertvolle journalistische Arbeit und möchten unsere Inhalte weiterhin allen frei zugänglich machen. Dafür brauchen wir deine Unterstützung. Hilf uns gemeinsam nach einer gleichberechtigten Welt zu streben, in der weibliche Bedürfnisse keine Tabus mehr sind, wertvolle Inhalte geschätzt werden und wir uns solidarisch verbinden. Mehr Infos

bottom of page