TEXT: JULIA PÜHRINGER
Schauspielstar Kate Winslet hat als Produzentin dafür gekämpft, dass die Story der legendären Kriegsfotografin Lee Miller auf die große Leinwand kommt. „Die Fotografin“ startet nun am 19.9.2024 in den Kinos. Lee Miller war Surrealistin, Supermodel, Freigeist, Dachau-Dokumentaristin – und dann ist da noch die Sache mit Hitlers Badewanne.
Die Unangepasste
Das Leben von Elizabeth „Lee“ Miller, geboren am 23. April 1907 in Poughkeepsie, New York, verstorben am 21. Juli 1977 in Chiddingly, East Sussex, England, in ein paar Sätze zu packen, ist im Grunde unmöglich – ein ausführliches Porträt gibt es in unserem Magazin hier nachzulesen. „Unangepasst“ zu sein, war wohl eine von Lee Millers prägendsten Eigenschaften (und dass man Männern dieses Etikett nicht ständig draufpappt, ist Teil dieser Geschichte). Miller wurde per Zufall auf der Straße von Verleger Condé Nast als Model entdeckt, und modelte u. a. für die Vogue, die Zeitschrift, für die sie später als Fotografin tätig sein sollte. Der Weg dahin führte über Frankreich – wie viele Amerikaner*innen ging Miller Ende der 1920er-Jahre nach Paris, um Kunst zu studieren, und schloss sich dort der künstlerisch und weltanschaulich progressiven Szene an. Sie wurde Lebensgefährtin und enge Kollaborateurin von Man Ray (der für Künstlerinnen so gefährliche Begriff „Muse“ verschleiert das) und arbeitete auch selbst als Mode- und Porträtfotografin in Frankreich – zu Beginn der 1930er-Jahre auch in New York. Eine kurze Ehe lang (sechs Jahre) lebte sie in Kairo, wo sie weiterhin fotografisch tätig war.
Ein Tisch als Inspiration
Ende der 1930er-Jahre ging Miller nach London. Es ist die darauffolgende berufliche Phase, die Kate Winslet besonders interessiert. Winslet war durch den Erwerb eines Tisches von Lee Miller, gegen Ende ihres Lebens als begnadete wie verrückte Köchin bekannt, auf ihren bemerkenswerten Lebensweg gestoßen und stellte sich jene Frage, die wir alle kennen, wenn wir auf einen der zahlreichen Lebensläufe von bahnbrechenden Frauen stoßen: Wieso gibt es verdammt noch einmal keinen Film über diese aberwitzige Frau und ihr wildes Leben? Millers Sohn Antony Penrose und sein Buch „Immer lieber woandershin – Die Leben der Lee Miller“ sowie ihr gewaltiges Bildarchiv wurden zur Quelle. Auch Penrose selbst wusste wenig vom abenteuerlichen Leben seiner Mutter als junge Frau – erst Jahre nach ihrem Tod fand er über 60,000 Negative, Fotos, Dokumente und Texte am Dachboden.
Doch auch nachdem Kate Winslet als Produzentin und Hauptdarstellerin an Bord war, dauerte es, bis das Projekt Fahrt aufnahm. Noch immer ist es trotz gegenteiliger Beteuerungen der Filmbranche nicht einfach, Porträts über Frauen finanziert zu bekommen. „Die Fotografin” ist zudem das Regiedebüt von Kamerafrau Ellen Kuras („Coffee and Cigarettes“, „Block Party“, „Away We Go – Auf nach Irgendwo“), gedreht wurde in Kroatien (statt in Frankreich), Ungarn und London, vermutlich auch das eine Frage des Budgets.
Ein solidarisches Netzwerk an furchtlosen Frauen
Ein klassisches Biopic wollte Winslet vermeiden, geworden ist es auf gute Weise nun doch eines. Die Rahmenhandlung: Die junge Lee Miller lebt ein freies Leben mit ihren widerständigen künstlerischen Freund*innen an der Küste Frankreichs. Hier lernt sie neben namhaften Vertreter*innen der künstlerischen Elite auch Kunsthändler Roland Penrose (Alexander Skarsgård) kennen, der ihr rasch verfällt – eine gut geschriebene Romanze, sweet und sexy mit viel Dialogwitz. Zehn Jahre später wird Miller die Überlebenden und die Toten in den KZs Dachau und Buchenwald fotografieren. In einer Kammer interviewt ein junger Mann die alte Lee Miller am Ende ihres Lebens. Bei zahlreichen Drinks erzählt sie, wie ihr Leben in diesen Jahren verlief.
„Die Fotografin“ ist nicht nur ein Film über eine Ausnahmefotografin, sondern auch über ihr solidarisches Netzwerk an furchtlosen Frauen. Wenn nach Trumps Wahlsieg 2016 in den USA lächelnd moniert wurde, dass nun auch die „Vogue“ politisch sei, weil sie über Frauenrechte und den Kampf dafür berichtete, zeigt „Die Fotografin“: Die Vogue war schon früher politisch. Im Zweiten Weltkrieg lag es in England an Vogue-Herausgeberin Audrey Withers (gespielt von Andrea Riseborough), dass Lee Miller ihre Fotos über das Frauenleben im Krieg samt Mode, Arbeit und Alltag nach eigenem Dafürhalten künstlerisch inszenieren und veröffentlichen konnte. Auch Millers Freundinnen sind radikal politisch, weil sie es angesichts des Faschismus sein müssen. Mode-Expertin und Herzogin Solange D’Ayen (Marion Cotillard) überlebte das KZ, ihr Mann wurde hingerichtet, auch Lees Freundin Nusch Eluard (Noemie Merlant) war in der Résistance. Mode und Widerstand – das Leben von Frauen hat mehr Gleichzeitigkeiten und Nuancen, als ihnen in Filmen oft zugestanden wird.
Mit dem amerikanischen Fotografen David E. Sherman (sanft gegen den Strich besetzt mit „Brooklyn Nine-Nine“-Comedy-Star Andy Samberg) geht Miller an die Front. Die Beziehung zwischen den beiden ist eng, solidarisch, voller Kampfgeist. Akkreditieren lässt sich Miller für die USA, denn in Europa sind Frauen an der Front als Fotografinnen nicht zugelassen. Sie ist es, die nicht nur aus der Not, sondern aus Überzeugung hinschaut, welche Erfahrungen Frauen im Kriegsgeschehen machen. Sie fotografiert nicht nur die Kampfhandlungen, den ersten Einsatz von Napalm, sondern auch die „Kollaborateurinnen“, die mit rasiertem Kopf durchs Dorf getrieben werden. Und sie beginnt zu schreiben, schließlich braucht es auch Texte zu ihren Bildern.
Hinschauen, um das Grauen zu dokumentieren
„Die Fotografin“ zeigt die Hürden, die Miller überwinden musste, um die Gräuel des Krieges zu zeigen. Als sie sich dazu entschied, hinzuschauen und mit ihrer Kamera als Waffe gegen den Faschismus alles festzuhalten, gab es keinen Weg mehr zurück. Es ist ein mutiger Akt, aber auch ein Abenteuer. Während des Krieges geschützt zuhause dessen Ende abzuwarten, wie ihr Mann es sich gewünscht hätte, erschien Miller völlig absurd. Ein Graben tat sich auf zwischen denen, die nur über die Dinge sprachen, und denen, die sie erlebten: „Die Fotografin“ zeigt sehr deutlich, dass es unmöglich ist, das Geschehene, Gesehene ungesehen zu machen. Es sind Bilder, die auch jene verwundet zurücklassen, die sie gemacht haben, um die Welt wissen zu lassen, was geschehen war. Das Hinschauen hat seinen Preis. Winslet und Regisseurin Kuras zeigen auch, wie schwierig es war, die unfassbaren Bilder des Grauens aus den KZs in den Tagen nach Ende des Krieges in Magazinen unterzubringen, während alle auf freudvolle Fotos von der Befreiung von Paris hofften. Ein anderer Kriegsschauplatz, sozusagen.
Ungeschminkte Wahrheit
Gerade die idyllischen Szenen aus Frankreich zu Beginn sind es, die die Wirkmächtigkeit des letzten Drittels von „Die Fotografin“ begründen – es ist nicht nur die Geschichte einer Fotografin, sondern von einer ganzen Generation im Aufbruch, die beraubt wurde. Ein Zurückfinden in den von der Welt so gewünschten Normalzustand ist für einige der Beteiligten nicht mehr möglich. Gleichzeitig entscheidet sich Winslet mit ganzem Körpereinsatz für die Rolle. Sie ist ganz selbstverständlich nackt, zeigt ihren Körper ungefiltert, lässt sich nicht jünger schminken. Es ist im Grunde ärgerlich, dass es auffällt, aber es muss auffallen, in einer Filmwelt, in der die Schönheit auch bei den faszinierendsten Frauenfiguren noch immer im Zentrum stehen muss, auch oder gerade, weil die Hauptdarstellerin und ihre Filmgeschichte („Heavenly Creatures“, 1994; „Titanic“, 1997, und auch „Mare of Easttown“, 2021) Teil der Ikonographie mehrerer Generationen wurde.
Es sind die Zwischentöne, die schönen und die fürchterlichen, die diesen Film ausmachen, in seinen zärtlichen Teilen wie in den kaum erträglichen und der Blick dafür, dass es für Frauen im Krieg manchmal egal ist, wer sie bedroht, die Besetzer oder die Befreier (das Drehbuch schrieb u. a. Liz Hannah, „Die Verlegerin“).
Male vs. Female Gaze
Warum dann auch beim Fokus auf den weiblichen Blick ein Mann hinter der Kamera stand? Es scheint, als hätten sich Produzentin Kate Winslet und Regisseurin Ellen Kuras davon leiten lassen, mit wem sie bereits gut zusammengearbeitet haben. Die Wahl fiel auf Paweł Edelman, oftmaliger Kameramann von Roman Polański. Auch das eine Frage der Finanzierung? Es ist kein Einzelfall, dass auch bei einem Film mit dezidiert weiblicher Perspektive dann doch, aus welchen Gründen auch immer, Männer hinter der Kamera stehen. Die Revolution ist wie immer noch nicht abgeschlossen.
Und was war jetzt die Geschichte mit Hitlers Badewanne? In derselben Nacht, in der sich Hitler umbrachte, landeten Lee Miller und David Sherman (ohne von diesem Umstand zu wissen) in seiner von den Alliierten konfiszierten Luxus-Wohnung, eine bizarre Situation nach den Monaten der Entbehrungen und dem Unbeschreiblichen, das sie in den KZs vorfanden und gemeinsam bebilderten, mit Schal vor dem Mund wegen des Leichengeruchs – keine Zeit für Ehrfurcht vor einem Diktator. Miller wollte nicht nur ein Bad nehmen, sondern auch einen Akt des Widerstandes setzen, und sie wusste: Die Situation und das Foto werden eine Sensation. Im Film stellt sie ihre vom KZ verdreckten Schuhe vor die Wanne, knallt Hitlers Porträt auf den Wannenrand, nachdem sie das Glas aus dem Rahmen herausbricht, die Spiegelung könnte das Bild stören, steigt nackt in die Wanne und lässt sich von Sherman so ablichten (Vorsicht, ohne Nippel, sonst wird das Bild nicht gedruckt) – ein Bild gewordenes ICHSCHEISSMIRNIX. „Die Fotografin“ ist das Porträt einer Frau, die sich um Regeln nicht scherte und von einem „Nein“ nicht aufhalten ließ – und das gilt letztlich auch für die Frauen, die ihr mit diesem Film ein Denkmal gesetzt haben.
„Nur ein Biopic“ also? Von wegen. „Die vielen Leben der Lee Miller als ,hollywoodreif` zu beschreiben, wäre nicht richtig. Denn es ist genau umgekehrt: Erst jetzt […] ist Hollywood endlich reif für die Verfilmung dieser unglaublichen Story“, wie Lisa Reinisch so schön in ihrem Porträt von Lee Miller geschrieben hat. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Lee Millers Arbeiten zum Ansehen:
Unsere Autorin
Julia Pühringer beschäftigt sich besonders gern und intensiv mit der Frage, wie Frauen Kunst, Literatur und Kino prägten und prägen und inwieweit das im Kanon abgebildet wird. Sie ko-kuratiert die Reihe „Werkstattgespräche mit Filmpionierinnen“, liebt Leoparden-Muster und – hey, das ist nicht nichts – sie hat Platz 2 in der Kategorie „Fenster und Balkon“ beim Wettbewerb „Blühendes Linz" gewonnen.