„Mutig für mich selbst aufzustehen hat meine Existenz gerettet.“
TEXT: CHRISTINE KLIMASCHKA
FOTOS: PAMELA RUSSMANN
„The only person I ever lost and needed back was myself.”
„Portrait of a Lady“ ist der wohl berühmteste Roman von Henry James, erschienen im Jahr 1881. Am Ende der Geschichte einer Frau, die an den betrügerischen Machenschaften ihres Ehemannes fast zerbricht, steht der Satz: „Sie hatte nicht gewusst, wohin sie sich wenden sollte; jetzt aber wusste sie es. Es gab einen sehr geraden Weg.“ Knapp 150 Jahre später folgt hier die Geschichte einer Frau, die dabei war, alles zu verlieren und die beschlossen hat, aufzustehen und zu kämpfen. Es ist auch eine Geschichte über Macht und Ohnmacht, über Schmerzgrenzen, Resilienz und das einsame Aufstehen für sich selbst. Denn in der österreichischen Musikbranche gab es für Anne Eck, während sie mit ihrem Fall um Hilfe bat, nur ohrenbetäubendes Schweigen. Erst nachdem sie sich entschlossen hatte, den Fall öffentlich zu machen und vor Gericht gezogen war, um ihr künstlerisches und finanzielles Überleben zu retten und dort in zwei Instanzen Recht bekam, begannen sich langsam Türen zu öffnen. Wir möchten euch heute Anne Eck als Frau, Mensch und Künstlerin in einem großen Portrait vorstellen. Portrait of a Lady.
Liebe Anne, du bist Deutsche, in Nürnberg aufgewachsen. Was hat dich nach Wien verschlagen?
Das Studium. Ich habe vier Wochen vor Studienbeginn in meiner Heimat Nürnberg gesehen, dass der Studiengang, den ich sehr, sehr gerne machen wollte, auch in Wien möglich ist. Ich hatte tatsächlich schon den Studienplatz in Erlangen, hatte eine Wohnung, einen Job. Aber jeder, der Erlangen kennt, weiß: Das ist Medizin und Siemens, aber es ist halt keine Theater- oder Medienstadt. Und dann fing das bei mir an zu rattern und ich kenne diese Momente, dieses Kurz-mal-im-Kopf-Klarkommen mit der Absurdität einer Idee. Aber wenn dieses Gefühl dann in mir hochkommt, dann weiß ich: Okay, das mache ich jetzt. Keine Ahnung wie, aber dann findet man einen Weg. Und so habe ich mich dann tatsächlich vier Wochen vor Start entschieden, 2008 nach Wien zu gehen.
Und für welches Studium?
Theater- und Medienwissenschaften mit Schwerpunkt Musikwissenschaften.
Mein Studium ist auch schon längst abgeschlossen (lacht), ich bin 36 und
fertige Magistra.
Du bist für mich so eine künstlerische, vielseitige Persönlichkeit. Warum hast du das studiert oder was treibt dich an?
Ich habe Abitur gemacht und mein Plan war eigentlich ein anderer. Ich wollte Musical-Darstellerin werden und habe mich auch sehr intensiv darauf vorbereitet, mit Ballettunterricht, Schauspielunterricht, Gesangsunterricht. Ich habe Musik immer sehr geliebt und bin dann nach Hamburg, habe dort eine Aufnahmeprüfung gemacht und sogar einen Platz bekommen, aber mich dann dagegen entschieden. Ich habe bei diesen Aufnahmeprüfungen gemerkt, du kriegst eine Nummer umgeschnallt und dann musst du vor die Jury treten und singen und performen. Und da gab es einen ganz kurzen Moment der Irritation, wo ich ganz unnatürlich die Jury angelächelt habe. Und irgendwas in mir hat sich gedacht: Willst du das jetzt wirklich machen? Es hat sich nicht stimmig angefühlt und es war gleichzeitig total absurd, weil ich ja die ganze Zeit auf diesen Moment hin trainiert habe.
Wie hat dich denn Wien aufgenommen? Wien führt schon seit vielen Jahren das Ranking der lebenswertesten Städte der Welt an, ist aber gleichzeitig auch ganz vorne dabei, wenn es um die Bewertung als unfreundlichste Stadt der Welt geht. Wie war das für dich?
Das erste Jahr hier war ganz, ganz seltsam. Das war ein Zustand der Heimatlosigkeit neben dem Geschmack der Freiheit. Ich war in so einem komischen Zwischenstadium, ich kannte niemanden. Und ich fand das erste Jahr auch sehr befremdlich, weil es immer wieder diese Spitzen gab, dass ich als Deutsche natürlich auch eine von den Numerus Clausus-Flüchtlingen sei. Dann lacht man fünf Mal und beim sechsten Mal findet man es halt nur noch bedingt lustig. Genauso wie ständig an der Supermarktkassa in Sachen Sackl ausgebessert zu werden. Solange du hier als Touristin eine Apfelschorle bestellst, ist alles gut, aber im Alltag sieht das anders aus.
Du hast also dann deinen Frieden mit dem goldenen Wiener Herz gemacht, dein Studium abgeschlossen und bist in Wien geblieben. Und wann hast du entdeckt, dass du Musikerin sein möchtest?
Das war ein sehr arger Moment. Ich hatte während des Studiums die Musik ein bisschen ausgeklammert. Und dann gab es ein Projekt eines Künstlerinnenduos, das deutschsprachige Popmusik gemacht und mich für ihr Musikvideo gefragt hat: „Mensch, Anne, könntest du denn die Produktionsleitung für das Musikvideo machen?“ Das habe ich dann auch tatsächlich gemacht, das war ein wirklich sehr aufwändiges Video. Während der letzten drei Stunden Drehzeit gab es einen Moment – ich stand da mit meinem Klemmbrett und hatte 1000 Sachen im Kopf und während ich zuschaue, wie die Kamera hinfährt und die auf ihr Playback singen –, da habe ich mir gedacht: Eigentlich würde ich da voll gerne stehen. Und irgendwas in mir hat sich in dem Moment geändert. Ich hätte dann in Folge in einer Agentur in Düsseldorf Karriere im Bereich Filmproduktion machen können. Ich wusste, ich bin sicher sehr gut darin, aber ich weiß nicht, ob ich mich da nicht auf einen Weg begebe, der nichts mit dem Herzen zu tun hat.
Und dann kam etwas total Abgefahrenes, ich bin auf ein Event in Wien aufmerksam geworden, das heißt Kino Dynamique, bei dem Kurzfilme produziert und gleich nach Ende der 48 Stunden Fertigungszeit dem Kinopublikum gezeigt werden. Da kannst du dich anmelden, als Regisseurin, als Produktionsleitung, als was auch immer und es kommen Leute aus unterschiedlichen Ebenen zusammen, vom Profi bis zum Amateur.
Jeder präsentiert dort seine Kurzfilmidee und sagt dann, welches Team er zur Realisierung braucht. Ich bin dorthin mit meinem E-Piano, das absolut schwer war, riesengroß, und ohne Lautsprecher. Ich wusste nicht mal, wie man damit aufnehmen kann. Ich wollte aber auf keinen Fall im Bereich Produktionsleitung mitarbeiten, sondern bin aufgestanden, als es um Filmmusik ging. Ich hatte aber zu dem Zeitpunkt noch nie Filmmusik gemacht, aber ich habe mir gedacht: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und ich hatte das ganz große Glück, dass da noch jemand war, der gesagt hat: Ich mache Filmmusik. Und der war noch dazu der volle Technikprofi, hatte schon länger Filmmusik gemacht und wusste, wie man aufnimmt. Mit ihm habe ich dann tatsächlich für fünf Kurzfilme die Musik geschrieben. Am nächsten Tag habe ich die Filme mit meiner Musik im Filmcasino gesehen.
Mir sind wirklich die Tränen gekommen, weil mich das so gefreut hat und weil es mir gezeigt hat: Mut zahlt sich aus.
Und wie hat sich das angefühlt?
Mega. Das war so schön. Ich saß dort, dann ging das Licht aus und ich wusste, bei fünf Filmen ist meine Musik dabei. Und dann fing dieser, mein, Klavierklang an, das hat mich so berührt und so stolz gemacht. Mir sind wirklich die Tränen gekommen, weil mich das so gefreut hat und weil es mir gezeigt hat: Mut zahlt sich aus. Und das war für mich die Zündung! In dem Moment dachte ich mir, wenn ich jetzt darüber singe, dann ist es eigentlich ein Song. Dann habe ich so weitergemacht, habe mich vom Bewegtbild gelöst, mein Klavier genommen und angefangen, darüber zu singen. Und dann wurde aus einem Song viele, viele Songs, bis sich irgendwann die Frage stellte: Soll ich ein Album machen? Ich habe mich dann für sechs Songs entschieden und natürlich auch erstmal schauen müssen, wie man das überhaupt realisiert. Ich habe dann ein Crowdfunding gestartet, weil ich gemerkt habe so, da sprechen wir einfach von mehreren tausend Euro Produktionskosten und ich habe es geschafft, innerhalb von 30 Tagen 10.000 € aufstellen zu können mit über 100 Unterstützer*innen. Damit konnte ich ins Studio gehen und die EP „RISE” aufnehmen.
Ich liebe Risiko und einen gewissen Druck, Existenzangst aber gar nicht. Das sind oft sehr, sehr feine Grenzen.
Kann man in Österreich als Musikerin von dem, was man macht, leben?
Also ich bin eine freischaffende Künstlerin. Ob ich davon leben kann im Moment?
Nein, noch nicht. Für mich geht das aktuell nur mit Nebenjob. Und für mich ist das immer eine Mischung aus voll okay und trotzdem tut es immer ein bisschen weh. Als würde man versagen in dem, was man tut. Natürlich ist es auch eine Persönlichkeitssache. Ich liebe Risiko sehr und ich liebe es aber auch sehr, wenn ich die Dinge kalkulieren kann. Ich liebe einen gewissen Druck total, Existenzangst aber gar nicht. Das sind oft sehr, sehr feine Grenzen. Ich will mir die Unabhängigkeit in meinem Schaffen unbedingt behalten. Und natürlich bewege ich mich oft in einem Spannungsfeld zwischen dem, was fürs Business vielleicht gerade gut ist und meiner Intuition.
Aber du hast ja da offensichtlich ein sehr verlässliches inneres Radar, das dir dann, wenn es drauf ankommt, sagt, was sein muss und was nicht. Oder?
Ich finde, das trifft es voll auf den Punkt.
Lass uns bitte nochmal auf das Thema Druck zurückkommen. Darüber hast du in den letzten ein, zwei Jahren leider wahnsinnig viel erfahren. Du hast darüber geschrieben: „The only person I ever lost and needed back was myself.” Wann ist der Leidensdruck so groß, dass du eine Grenze ziehst?
Zu sehen wie Systeme, Institutionen, Menschen, die möglicherweise aufgrund ihrer Position die Möglichkeit gehabt hätten, eine gewisse Vorbildwirkung auszuüben, etwas zu sagen oder aufzuzeigen, gar nicht reagierten, das war für mich das Allerschlimmste. Dieses Gefühl, alleine dazustehen. Und das zu sehen, hat mein komplettes Verständnis von Menschsein erschüttert. Das war so schlimm und hat sich angefühlt, als wäre man wie in einer Welle, wo du aber nie Luft holen kannst. Und dann kommt die nächste und die nächste und die nächste, wenn du versuchst, dich verzweifelt an Personen oder Institutionen oder Vereine zu wenden, die aber nicht helfen. Wenn ein Unfall passiert und ich stehe daneben, dann renne ich hin und helfe. Aber das zu sehen, dass Menschen nicht helfen, obwohl du schreist, obwohl du fragst und bittest und verzweifelt bist und alles um dich herum zerbricht, und Leute dich anschauen und nix sagen. Das hat mir damals den Boden unter den Füßen weggezogen, muss ich sagen.
(Anm. der Red.: Mehr über den Fall Anne Eck und den Konflikt mit ihrem ehemaligen Musikproduzenten sowie ein Statement des Vereins „MuFA - Musik für Alle” findet ihr nach dem Interview am Ende des Artikels.)
Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.
Wie hast du im wahrsten Sinne des Wortes deine Stimme wiedergefunden und es geschafft, dich als Mensch, als Frau, als Künstlerin nochmals neu aufzusetzen?
Für mich war das eine Reise, als ich aus der ersten Schockstarre raus war. Meine Situation war folgende: Ich hatte ein fast fertiges zweites Album, an dem ich sehr lange gearbeitet hatte. Ich habe alles von mir, alles von meinem Ersparten hineingegeben. Es war einfach alles in diesem Projekt. Das war mein Masterpiece. Ich habe nur langsam angefangen zu realisieren: Was ist eigentlich, wenn das Album jetzt nie rauskommt? Was ist, wenn ich das gerade alles verliere? Doch ich habe auch sehr stark das Prinzip in mir: Ich kämpfe für Dinge. Wo ich weiß, hier passiert Unrecht, großes Unrecht, kann ich kämpferisch sein. So kämpferisch, wie ich zum Beispiel im Tierschutz sein kann, genauso kämpferisch kann ich für mich sein. Natürlich bin ich im Hintergrund jede erdenkliche Lösungsmöglichkeit durchgegangen, um die Situation im Guten und im Frieden zu beschließen. Aber eine Einigung war nicht möglich. Die Mahnungen haben nicht aufgehört, ich wurde weiter unter massiven Druck gesetzt. Zusätzlich wurde mir auf der letzten Mahnung mitgeteilt, ich dürfe meine Songs weder bearbeiten, noch veröffentlichen. Ich hatte nichts mehr zu verlieren, bin vor Gericht und habe geklagt auf Feststellung der Unrechtmäßigkeit der Rechnung.
Hattest du Hilfe in dieser Phase?
Meine Freund*innen, meinen Inner Circle, meinen Anwalt. Ich habe einen guten inneren Kreis gehabt, der mich sehr aufgefangen und mich sehr unterstützt hat. Und ich habe mir alles an therapeutischer Unterstützung organisiert, was ich auffahren konnte. Das ist natürlich auch einerseits Privileg, aber hat mich andererseits finanziell extrem belastet. Meine Ersparnisse sind mehr als draufgegangen. Aber was ist, wenn jemand diese Ressourcen nicht hat? Ich konnte während dieser Phase als Künstlerin nicht mehr arbeiten. Ich konnte einfach nicht mehr auf die Bühne gehen. Ich hatte kein Bedürfnis danach, keine Freude mehr daran.
Und jetzt ist die Freude wieder da, ist die Liebe wieder da?
Jetzt ist sie wieder da, aber die letzten zweieinhalb Jahre war da gar nichts. Es gab einen ganz argen Moment, da stand ich zu Hause vor meinem E-Piano und habe mir gedacht: Ich glaube, es ist Zeit, dass wir uns mal trennen. Und dann habe ich es in die große Transporttasche gelegt, den Reißverschluss zugemacht, traurig und voller Liebe. Weil ich wusste, dass wir gerade keine Verbindung haben und dass es eigentlich nicht okay ist, wenn ich jetzt da auf dem Klavier so herumhacke. Wenn ich mich dort hinsetze, dann mache ich es vom Herzen her. Und irgendwie lag auf dem Klavier so viel Enttäuschung und Druck und Kränkung und Verletztheit und Wut und Traurigkeit. Und ich habe mir gedacht: Komm, ich gebe dich mal weg und vielleicht trennen wir uns auf Zeit. Und das habe ich gemacht und habe alles in der Wohnung, was mit Musik zu tun hatte, abgebaut und weggegeben. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, ob ich es jemals wieder auspacken würde. Ich brauchte mal eine Pause und habe sie mir genommen. Dann kam die Malerei, denn ich hatte überhaupt keinen Bezug mehr zur Bühne oder zur Musik mehr.
Dieses Jahr, als ich beim Women's Hub in München mit allen Frauen Mantras gesungen habe und gerade auch bei euch, beim myGiulia-Open House im Oktober, als ich da so am Klavier saß, habe ich gemerkt: Oh Gott, ich vermisse das so sehr. Jetzt habe ich auch wieder mehr gespielt und merke, dass diese Lust und diese Freude am Musikmachen – und damit auch wieder am Sichtbarsein – zurückkommen. Ich habe auch richtig Lust, wieder neue Songs rauszubringen. Also da ist gerade sehr viel an Freude und Sehnsucht da. Und das freut mich voll.
Glaubst du, dass Herr Hanisch sich dessen bewusst ist, was er dir angetan hat mit seinem Verhalten?
Ich glaube: Nein. Ich befürchte sogar, dass er der Meinung ist, dass sein Handeln gerechtfertigt ist und in Ordnung war.
Glaubst du, er hätte einen jungen Mann auch so behandelt?
Ja, weil es meiner Meinung nach hier nicht um das Geschlecht, sondern um die
Machtposition gegangen ist.
Wenn du auch nach diesem Kapitel einen Blick auf die österreichische Musikszene wirfst, wie würdest du sie beschreiben?
Sehr starr und engmaschig und gleichzeitig divers und vielfältig. Und ich glaube, dass es gerade einen Generationswechsel gibt. Aber auch aufgrund der Größe des Landes gibt es zentrale Vereine und Institutionen, wo wenige Personen teilweise sehr viel Macht haben und wo häufig, wenn man ein bisschen näher hinschaut, gewisse Personen mehrere Positionen in unterschiedlichen Gremien einnehmen. Also Macht verteilt sich nicht großflächig, sondern eher kleinmaschig. Das finde ich schwierig. Und dass es Personen gibt, die vor 20 Jahren mega Erfolg hatten, aber in dieser Zeit von vor 20 Jahren hängengeblieben sind und dieses Narrativ immer wieder abspulen, aber sich nicht mehr weiterentwickelt haben und dadurch auch ein Bild vom Musikbusiness haben, das total veraltet ist.
Wenn man sich Line-ups bei Konzerten anschaut, ist es oft nicht nur nicht ausgewogen, sondern es ist unterirdisch schlecht von der Quote her.
Haben es Frauen im Musikbusiness schwerer als Männer?
Ja, das zeigen auch die Zahlen. Ich habe auch ein eigenes Label und habe sieben Künstlerinnen betreut, die auf meinem Label erschienen sind. Und es ist häufig so, dass erstens viel weniger Frauen Plattenlabel-Deals bekommen. Aber um eine gewisse Reichweite zu haben, musst du auch sichtbar sein. Und Sichtbarkeit ergibt sich in der Popmusik über Airplay, über Booking, also Live-Geschäft und auch über die Produktion. Wenn man sich Line-ups bei Live-Events anschaut, ist es oft nicht nur nicht ausgewogen, sondern es ist unterirdisch schlecht von der Quote her.
Um jetzt abschließend noch einen anderen Aspekt in deinem Leben anzusprechen: Du bist ja eben nicht nur Sängerin, du bist auch Malerin. Formwandlerin, wie du so schön sagst. Was treibt dich dort an?
Das Kreieren und die Intuition. Im Sinne von: Ich mach das, was ich mache, auf allen mir zur Verfügung stehenden Kanälen. Was raus muss, muss raus (lacht). Ich bin sehr intuitiv in meinem Schaffen. Ich mache ja auch gerade noch eine Sprecherinnenausbildung, weil ich total gerne Hörbücher vertonen möchte. Und irgendwann würde ich gerne eine Disney-Figur singen und sprechen wollen.
Ich liebe es, mich auszudrücken, das kann heute das sein und morgen das. Vielleicht ist es jetzt für immer die Musik und für immer die Malerei und für immer das Sprechen. Und vielleicht kommen noch fünf andere Sachen dazu. Oder vielleicht ist es in fünf Jahren ganz anders und deswegen habe ich mich auch so gelöst von diesen festen Begriffen. Warum eigentlich diese Einordnung? Eigentlich bedienen wir dann nur das Bedürfnis von jemand anderem. Meine Daseinsform ist der stetige Wandel und ich bin mutig, also bin ich eine mutige Formwandlerin.
Auf eines deiner Bilder hast du ganz oft Mut geschrieben. Wie definierst du Mut?
Mut ist für mich, etwas zu tun und nicht zu wissen, ob es sich ausgeht oder nicht. Also, es zu wagen. Es zu wagen und auf sich zu vertrauen. Zu springen. Und der eigenen Intuition zu folgen.
Anne Eck und ihre Mut-Bilderserie: „Mut ist für mich, etwas zu tun und nicht zu wissen, ob es sich ausgeht oder nicht. Es zu wagen.”
Wenn du anderen Frauen etwas mitgeben möchtest, die vielleicht in vergleichbaren Situationen stecken, was wäre deine Message?
Hilfe suchen und ganz aktiv um Hilfe bitten. Man weiß oft schon, dass man die braucht, aber man tut sich nicht so leicht damit, danach zu fragen oder denkt lange, das geht schon noch, irgendwie… Es ist total wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein. Sich Hilfe zu suchen und um Hilfe zu fragen, das ist ein großer Akt der Selbstfürsorge, finde ich. Und sich trauen, anders zu sein, als es von einem erwartet wird. Weil im Endeffekt geht es um die Freude, und ich glaube, die Freude fühlt sich am wohlsten, wenn sie authentisch gelebt werden kann.
Abschlussfrage zum Thema Sichtbarkeit: Findest du, es gibt durchaus auch ein Gefälle und auch eine Ungerechtigkeit in diesem ganzen Themenkreis Sichtbarkeit, weil die, die am lautesten schreien oder die Mittel dazu zur Verfügung stehen, dann auch die meiste Sichtbarkeit bekommen. Aber nicht allen (Frauen) stehen diese Mittel zur Verfügung, des Ausdrucks, der Kontakte, des Sich-auch-öffnen-Könnens.
Ich finde, Sichtbarkeit hat auch viel mit Privilegien zu tun. Das Privileg, einen Raum zur Verfügung gestellt zu bekommen, zum Beispiel, um seine Meinung kundzutun. Oder dass es einem mental so gut geht, dass man einfach auch in einer gewissen Stabilität sichtbar sein kann. Vielleicht sind Frauen deshalb auch immer noch nicht so sichtbar. Da gibt es unterschiedliche Startbedingungen in unserer Gesellschaft. Anders als beim Monopoly ist es eben nicht so, dass jeder und jede am Anfang über Los geht und seine 1000 Euro Startkapital kriegt. Und eine Person, die vielleicht oft Diskriminierung erfahren hat, weil sie zum Beispiel keine sogenannte normschöne Frau ist, die muss sich die Sichtbarkeit ganz anders erkämpfen. Und vielleicht will sie sich die gar nicht erkämpfen.
Allerletzte Frage (lacht). So wie ich dich kennengelernt habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass du nicht schon irgendwas für deine Zukunft planst. Was ist das nächste Projekt oder was sind die nächsten Projekte?
Also auf jeden Fall wird es nächstes Jahr eine Ausstellung meiner Bilder geben. Und dann wird es neue Musik geben. Es wird neue Konzerte geben. Ich habe auch total Lust, ein Buch zu schreiben, aber noch keine Ahnung, ob daraus was wird. Vielleicht. Ich werde jetzt mit Ende des Jahres oder Anfang nächsten Jahres meine Sprecher*innenausbildung beenden. Und dann hätte ich total Lust, ein Hörbuch aufzunehmen.
Im Gespräch mit Anne Eck
Die gebürtige Nürnbergerin zieht des Studiums wegen nach Wien, entdeckt hier ihre Leidenschaft für Musik neu und gründet 2018 mit Silvertree Records das erste österreichische „female only” Plattenlabel. Anne veröffentlicht auf diesem Label auch ihre eigene EP „Rise”. Mit der bestärkenden Hymne „Hello my heart” gelingt ihr ein erster kleiner Indie-Hit.
2019 beginnt sie die Zusammenarbeit an ihrem zweiten Album mit dem erfahrenen Musikproduzenten Harald Hanisch, der zu diesem Zeitpunkt noch Präsident der Austrian Composers Asssociation sowie Lehrbeauftragter an der mdw Universität für Musik und darstellende Kunst Wien ist.
Aufgrund unüberwindbarer Diskrepanzen kommt es 2021 zum Stillstand der Zusammenarbeit.
Wenig später erhält Anne Eck von Hanisch eine Rechnung über 320.000 Euro netto für dessen Arbeit am Album. Sie geht in die Offensive und beschließt, nach der Empfehlung ihres Rechtsanwalts auf Feststellung zu klagen, dass die Rechnung nicht zu Recht besteht. Sie gewinnt die Feststellungsklage in erster und zweiter Instanz. Trotzdem bleibt ein enormer Schaden: „Alles, wofür ich gearbeitet hatte, war mit einem Schlag weg. Ich hatte Existenzängste und habe über ein Jahr lang gekämpft für meine Arbeit und für mich als Künstlerin. Mein Album ist natürlich als Konsequenz nie erschienen und ich musste neue Wege finden.“
Einen ausführlichen Artikel zum Rechtsstreit inklusive der Stellungnahmen von Harald Hanisch findet man zum Nachlesen unter:
Mit 13. November 2023 ist Herr Prof. Harald Hanisch von seiner Funktion als Präsident der Austrian Composers (ACOM) zurückgetreten.
Rückblickend sagt Anne nach gewonnenem Rechtsstreit: „Ich bin dankbar, dass meine Geschichte gehört wird. Ich habe mich entschieden, mit meiner Geschichte und mit meinem Namen für mich auf- und einzustehen. Ich habe mich entschieden, mich zu wehren, mich sichtbar zu machen und aufzuzeigen. Das war wichtig für mich als Frau, als Künstlerin, als Mensch.“ Inzwischen ist Anne auch als bildende Künstlerin erfolgreich, sie präsentiert ihre farbenfrohen, kraftvollen Werke in diversen Ausstellungen und ist auch als Musikerin und Songwriterin wieder aktiv und auf der Bühne live zu hören.
Musik und Kunst von Anne Eck findest du auf ihrer Homepage.
Der Verein MuFA – Musik für Alle setzt sich für Geschlechtergerechtigkeit in der österreichischen Musikbranche ein. Wir haben bei Barbara Stilke, Promotion- und Produktmanagerin und einer der Gründerinnen des Vereins, nachgefragt, wie es um die Situation von Frauen im österreichischen Musikbusiness aktuell steht.
Barbara Stilke: Es ist notwendig, hier etwas zu verändern. Frauen sind in der österreichischen Musiklandschaft in allen Bereichen stark unterrepräsentiert. Wir haben dazu unter anderem Airplaycharts und Verkaufscharts analysiert, den Jahresreport der AKM über mehrere Jahre und uns auch die Mitglieder der Wiener Philharmoniker angesehen. In manchen Bereichen gibt es durchaus auch Frauen – auf den Führungsetagen der Labels und bei den technischen Berufen im Umfeld Musik dafür sehr, sehr wenige.
Euer Mission-Statement lautet: „Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen sichtbar zu machen, zu unterstützen, ihre Karrieren voranzutreiben und eine gleichberechtigte Teilhabe am musikalischen Schaffen zu ermöglichen.” Wie setzt ihr das konkret um?
Im Moment machen wir alles in unserer Freizeit. Das Ziel ist aber, Förderstellen von der Qualität und Dringlichkeit unserer Tätigkeiten zu überzeugen. Unser erster Schritt soll dann ein Mentoring Programm sein, das Frauen im Business unterstützt und vernetzt und eine Gala im November 2024, die genre- und geschlechterübergreifend konzipiert ist. Unbekannte Künstler*innen (auch aus dem Mentoring Programm) sollen dabei mit bekannten Künstler*innen auf die Bühne gehen.
Anne Eck ist mit ihrem Fall vor Gericht gezogen, hat Recht bekommen und ihre wirtschaftliche und künstlerische Existenz damit gerechnet. Ein Akt des Mutes, der jetzt auch eine gewisse Öffentlichkeit und Sichtbarkeit erhält. Ist sie ein Einzelfall oder ist das nur die Spitze des Eisberges?
Dass Frauen im Business mit Hindernissen und Schwierigkeiten zu kämpfen haben, ist sicher kein Einzelfall, wir selbst haben ja in unserer Laufbahn auch einiges gesehen und erlebt. Wir wollen dazu beitragen, solche Fälle wie Annes öffentlich und sichtbar zu machen, wir wollen als Anlaufstelle fungieren. Das mica (music information center austria) leistet hier schon großartige Arbeit, die wir gerne zusätzlich unterstützen wollen. Es geht hier auch darum, alte Strukturen aufzuzeigen und für mehr Awareness und Konsequenz bei den Institutionen zu sorgen. Uns fällt auf, dass auch viele Männer nicht mehr mit diesen veralteten Strukturen und Machtgefällen einverstanden sind und die Solidarität hier aus den eigenen Reihen schwindet. Das macht mich persönlich sehr froh – gleiche Chancen für alle, das ist unser Ziel!
Information zur Auswahl unserer Interviewpartner*innen
Wir lieben es, Frauen medial sichtbar zu machen und wählen unsere Interviewpartner*innen immer aus Überzeugung, unabhängig und in Absprache mit unseren Journalistinnen aus. Unsere Interviews und Artikel sind niemals bezahlt, keine der Marken hat uns dazu beauftragt.
Unsere Autorin
Co-Herausgeberin Christine Klimaschka steht Christina Kaiser seit 2020 als journalistische Beraterin zur Seite. Begeistert von der Idee, eine moderne journalistische Online-Plattform für Frauen aufzubauen, bot die Kommunikationsexpertin an, am inhaltlichen Konzept von myGiulia mitzuarbeiten. Seit Sommer 2022 ist Christine Klimaschka als Co-Herausgeberin unter anderem für Netzwerkaufbau, externe Kommunikation, Quality Management und Kooperationen verantwortlich. Christine ist Mutter von drei Kindern und ein absoluter Medienprofi mit langjähriger Erfahrung sowohl auf Redaktionsseite als auch im Medienmanagement und in der Öffentlichkeitsarbeit. So leitete sie vor ihrem Auslandsaufenthalt in Berlin die Öffentlichkeitsarbeit von Hitradio Ö3 und danach auch der gesamten ORF Radios. Bevor sie wertvolle Erfahrungen als Pressereferentin & Pressesprecherin, unter anderem für Erhard Busek und LH Dr. Christof Zernatto, sammelte, arbeitete sie als freischaffende Journalistin bei der Kleine Zeitung, APA und Antenne Austria Süd.