Lebensrezept „Ich kann, ich will, ich werde.”
TEXT: CHRISTINE KLIMASCHKA
FOTOS: PAMELA RUSSMANN
Die erste Assoziation: Zwiebellook. Meine vorlaute innere Stimme, im lautlosen Dialog mit mir, grinst mich an und meint: „Naja, nicht mal so weit hergeholt für die Newcomer-Köchin 2023.” Besagte Köchin schält sich an dem kalten Aprilmorgen aus ihrem warmen, gelb-schwarzen Mantel und wird mich dann nach unserem Interview in ihrer schwarzen Köchinnen-Uniform ( „The Boss Bitch”, Copyright ihre Töchter) einen Blick in die Küche des Hotelrestaurants „&flora” am Wiener Spittelberg werfen lassen.
Im Gespräch davor enthüllt sich eine faszinierende Frau: 44 Jahre alt, zwei Töchter, eine steile selfmade Karriere, die seit November letzten Jahres mit 3 Gault Millau-Hauben gekrönt wird. Eine Frau, die genau weiß, wer sie ist und was sie will. Warmherzig, willensstark, klug, fordernd, vor allem sich selbst gegenüber. Wenn sie den Geruch von Heimat beschreibt, denkt sie an die Orangenblüten im Garten ihrer Großeltern am Kaspischen Meer. Sie ist Arbeitstier und Vollblutmutter, geboren im Iran, aufgewachsen in Österreich, die einzige Haubenköchin, die als Autodidaktin mit Migrationshintergrund auf der kulinarischen Bühne ganz vorne mitspielt.
Lust auf ein Kennenlernen mit Parvin Razavi, jenseits von Kochrezepten und Küchentalk?
Be my guest!
"Sehr viel Vorbereitungsarbeit passiert hauptsächlich im Kopf. Und ich habe leider nicht so viel Zeit, kreativ zu sein, wie ich es mir wünschen würde. Also die Idealform wäre, ich arbeite vier Tage in der Küche und einen Tag kreiere ich."
Kochen auf deinem Niveau ist ein Knochenjob. Du investierst da jeden Tag ganz viel Kraft. Wie schaut dein Arbeitstag eigentlich aus? Stehst du gleich mal um fünf Uhr auf, gehst auf den Markt und kaufst ein?
Ich wache schon manchmal mitten in der Nacht auf, weil mir noch etwas eingefallen ist, das ich vergessen habe zu bestellen. (grinst)
Aber nein, das mit den Bestellungen funktioniert alles Gott sei Dank digital. Wie schaut mein Tag aus? Also im Schnitt arbeite ich Minimum zehn Stunden am Tag. Normalerweise fange ich um 11:00 an und bin bis 21:00 da, manchmal auch bis 22:00. Ich versuche davor manchmal noch eine halbe Stunde Sport zu machen – das mache ich auch hier im Haus, mein Radius ist klein. Sehr viel Vorbereitungsarbeit passiert hauptsächlich im Kopf. Und ich habe leider nicht so viel Zeit, kreativ zu sein, wie ich es mir wünschen würde. Also die Idealform wäre, ich arbeite vier Tage in der Küche und einen Tag kreiere ich. Das schaffe ich aber nicht, weil natürlich immer wieder jemand krank ist im Team und weil wir so ausgelastet sind. Wir unterscheiden uns von den anderen Drei Hauben-Restaurants in Wien, die meistens sehr klein aufgebaut sind. Die arbeiten mit Menüs, mit 20 bis 30 Sitzplätzen und sehr stark auf den Gast hin. Sie wissen anhand ihrer Reservierungen ganz genau, was sie produzieren. Bei uns kann man das nicht so abschätzen, wir haben Frühstück, wir haben Lunch, wir haben Abendessen und da kann es schon sein, dass wir an einem Samstag mit 236 Reservierungen über den Tag verteilt starten. Und ich finde, da die Qualität zu halten, ist ein wesentlich höherer Aufwand als bei 30 Personen. Man darf nie vergessen: Wir sind ein Hotel, wir sind ein Sieben-Tage-Betrieb und die Gäste wollen zum Beispiel sieben Tage die Woche ein tolles Frühstück haben. Also das ist schon eine andere Dimension.
Und bleibt bei so viel Kraftanstrengungen noch Zeit und Liebe für Dinge neben dem Job? Hast du Hobbys? Ich habe gesehen, du hast daheim eine ziemlich coole Plattensammlung samt Plattenspieler.
Ja, ich höre viel Musik, wenn ich Zeit habe. Und wir hören auch hier in unserer Küche Musik. Die hat man immer wieder mal versucht abzudrehen. Aber es funktioniert nicht (lacht), weil wir sind unsere eigene Insel! Wir hören viel Jazz und Hip Hop. Vormittags mag ich philosophisches Radio oder Deutschlandfunk. Ich arbeite ganz gern ohne Musik, wenn es nur um Schneidearbeiten geht. Aber wenn wir ins Service gehen, also wenn die Show beginnt, dann hören wir Musik.
Apropos Show, also – ich gestehe – eine Liebe, die wir beide – wie ich auf deinem Insta-Account gesehen habe – teilen, sind High Heels. Aber wann kommst du denn überhaupt dazu, die mal zu tragen?
Ja (lacht), ich wünschte öfter! Als ich Anfang 20 war, da hatte ich mehr Gelegenheiten. Quasi jedes Wochenende. Jetzt suche ich mir die Gelegenheiten aus, wann ich die Schuhe trage. Stell dir vor, letztens habe ich doch tatsächlich ein Paar Balenciaga in einem Taxi liegen lassen und ich bin auch erst zwei Monate später draufgekommen.
Aber dann musst du eine große Sammlung haben?
Nein, leider, aber ich trage sie eben nie! Es war Weihnachtsgeschäft und ich hatte so viel gearbeitet. Im Februar hatte ich dann ein Event, da wollte ich die Schuhe anziehen. Als ich sie nicht fand, dachte ich mir, meine Tochter hat sich sicher die Schuhe genommen. Ich habe gesagt: Rück meine Balenciaga raus! Aber sie hatte sie nicht, und dann hat das noch einmal eine Woche gedauert, bis mir eingefallen ist, wann und wo ich sie das letzte Mal gesehen habe. (seufzt) Also, im Ernst, ich würde natürlich gerne öfter solche Schuhe tragen, aber ich hatte letztes Jahr im Juni einen Bandscheibenvorfall und da ist das natürlich auch nicht so gesund.
"Die Kinder nehmen das schon wahr, dass die Mama unabhängig ist, dass die Mama the Boss Bitch ist. Das finden sie cool und darauf sind sie stolz."
Jetzt kamen wir über das Thema Schuhe auf deine Töchter, wie alt sind die beiden?
Anahita ist 17 Jahre und Anais ist 13.
Du bist Alleinerzieherin, mit Familie, mit einer unglaublichen Karriere. Wie kriegt man das alles unter einen Hut? Bist du super organisiert, helfen die Kinder mit? Wie hat sich das entwickelt?
Wir haben uns ganz gut eingespielt und die Kinder kommen damit halbwegs klar, dass ich eben nicht immer da bin. Meine Mutter kommt, wenn wirklich Not am Mann ist und die Kinder eigentlich mich bräuchten, ich aber nicht kann.
Sie ist der Fels in der Brandung?
Ja, sie ist eine Ikone für meine Kinder. Wenn sie da ist, ist es quasi so, wie wenn ich da bin, aber noch besser.
"Beruflich mache ich das, wozu ich mich berufen fühle. Ich mache nichts nur des Geldes wegen, sondern ich mache den Job, weil ich den Job machen will – machen muss, fast schon. Es erfüllt mich."
Ich habe das auch in einem deiner Interviews gelesen, dass du den klaren Standpunkt vertrittst, dass man nicht nur eine gute Mutter ist, wenn man ausschließlich bei den Kindern ist, sondern ein Job, der einen erfüllt, der gehört für dich dazu.
Schon, ja, das muss man vorleben! Ich muss arbeiten, weil ich für unser Leben sorge. Nach der Scheidung habe ich auf Unterhalt verzichtet und die Alimente sind wirklich nicht der Rede wert. Mein oberstes Ziel nach der Scheidung war ganz klar: Ich will unabhängig sein. Und ich will vor allem die Familienwohnung behalten. Das war mir ganz wichtig, dass die Kinder in der Wohnung, in der sie groß geworden sind, weiterhin bleiben können, auch wenn sie teuer ist. Beruflich mache ich das, wozu ich mich berufen fühle. Ich mache nichts nur des Geldes wegen, sondern ich mache den Job, weil ich den Job machen will – machen muss, fast schon. Es erfüllt mich. Und das sehen die Kinder. Sie sehen das bei mir, aber auch bei ihrem Vater, dass wir beide dem Beruf nachgehen, für den wir uns berufen fühlen als Künstler. Und ich finde, Kochen ist ja auch eine Form von Kunst, es ist ein schöpferischer Akt für mich, es kommt aus mir heraus. Deswegen würde ich mir wünschen, dass ich stärker in den kreativen Prozess gehen kann. Aber jetzt in meiner Position hier in einem Hotel als Abteilungsleiterin, bin ich verantwortlich für mehr als den kreativen Prozess. Ich habe zwölf Mitarbeiterinnen, ich kann mich nicht zurückziehen und sagen, ich koche nur. Das geht leider nicht. Und die Kinder nehmen das schon wahr, dass die Mama unabhängig ist, dass die Mama the Boss Bitch ist. (lacht)
Das finden sie cool und darauf sind sie stolz. Und natürlich freuen sie sich.
Manchmal ist es ihnen – und auch mir – zu viel, was passiert. Also, diese enorme Aufmerksamkeit, die ich seit einem Jahr erlebe, ist kaum zu verarbeiten.
"Jeder kann sich bei mir entfalten. Ich finde das schön und ich fördere das. Aber es gibt neben denen, die kreativ sind und sein wollen, auch den Typ Umsetzer. Man braucht beide im Team. Kochen ist ein kreativer Prozess und manchmal funktionieren die Dinge erst richtig gut, wenn wir miteinander in den Prozess gehen."
Ich möchte nochmal zurückkommen auf das Thema Familie. Du hast einmal rund um den Muttertag den Begriff Wertschätzung gepostet. Findest du, dass man als Frau und Mutter davon genug bekommt? Bekommst du sie zu Hause, in deinem Umfeld? Kriegst du sie im Job?
Wertschätzung im Job? Mittlerweile ja. Anerkennung auch im Mutterdasein? Also für uns hört ja der Tag nicht auf, wenn wir nach der Arbeit nach Hause gehen, sondern ich schaue, was mich dort erwartet. Eine volle Küche zum Beispiel, ich hatte nämlich jetzt zwei Monate keinen Geschirrspüler. Ich habe am Wochenende einen neuen gekauft und bin so glücklich darüber, dass der jetzt endlich geliefert wird.
Meine jüngere Tochter, die will Thai Box-Profi werden, trainiert extrem viel, hat immer wieder Turniere und muss dann kurz vor den Turnieren auf ein bestimmtes Gewicht runter. Da mache ich dann zum Beispiel Ernährungspläne für sie und manchmal muss ich sie am Abend massieren. Wir haben eine sehr offene Beziehung miteinander. Wir sprechen eigentlich über fast alles. Und das ist wirklich schön, da ist ganz viel Vertrauen und ich weiß, was in ihrem Leben passiert. Und auch wenn ich wenig anwesend bin, weiß ich trotzdem viel besser über meine Kinder Bescheid, als manche andere Eltern über ihre Kinder.
Gibt es gewisse Grundpfeiler in der Erziehung deiner Töchter, die du eingeschlagen hast?
Vertrauen ist schon ein richtig wichtiger Aspekt. Aber ich denke mir auch, wenn mal etwas nicht klappt, hat es überhaupt keinen Sinn, weiter Druck auszuüben, weil ich will sie ja nicht demotivieren. Sie sollen auch wissen, dass wir sie, egal was sie machen, natürlich immer, immer lieben. Ich tendiere dazu zu sagen, die Menschen müssen ihre Stärken herausholen können. Man muss den Stärken Raum geben und nicht in alles eingreifen.
Im Kindergarten und in der Volksschule waren die Kinder auf einem alternativen Bildungsweg, erst danach wollten sie von sich aus auf eine Regelschule gehen. Auch da haben wir die Kinder sehr stark unterstützt, um die Wissenslücken zu füllen, die sie aufgrund der freien Schule hatten, zum Beispiel in der dritten Klasse Volksschule noch nicht ordentlich lesen und schreiben und kein Einmaleins zu können. Und natürlich denkt man sich schon: Mein Gott, werden die das je lernen? Aber ja, der Knopf geht auf, und er geht rechtzeitig auf. Und sie haben es dann begriffen. Das ist einfach der Unterschied, Wissen wirklich zu begreifen. Denn wenn man Wissen nur reinpumpt, das ist dann irgendwann verloren. Die Kinder sind übrigens der Meinung, dass der Start auf einem alternativen Bildungsweg verschwendetes Geld war. (lacht) Aber ich bin nicht dieser Meinung. Ich bin der Meinung, dass dieser Prozess, also auch dieser basisdemokratische Prozess, den sie gelernt haben, sie zu den Menschen gemacht hat, die sie heute sind. Sie können sich ausdrücken, sie können ihre Gefühle mitteilen, sie können in den Diskurs gehen. Das ist mir wichtig. Manchmal sind sie so klar in ihren Formulierungen, dass es mich fast schon schockiert. Ich denke, dass wir dann doch einiges richtig gemacht haben.
Und auch beim Arbeiten sehe ich das so: Hier im &flora wurde meiner Entfaltung Freiraum gegeben, ohne in meine Ideen einzugreifen. Und man sieht, dass das funktioniert. Und dasselbe mache ich gegenüber meinen Mitarbeiter*innen, wenn sie Ideen haben. Jeder kann sich bei mir entfalten. Ich finde das schön und ich fördere das. Aber es gibt neben denen, die kreativ sind und sein wollen, auch den Typ Umsetzer. Man braucht beide im Team. Kochen ist ein kreativer Prozess und manchmal funktionieren die Dinge erst richtig gut, wenn wir miteinander in den Prozess gehen.
Noch eine weitere Frage zum Thema Töchter. Wenn du irgendwann in ganz ferner Zukunft vielleicht einmal selber Großmutter wirst, was würdest du deinen Töchtern als Tipp mit auf den Weg geben? Liebe?
Sich zu lieben und viel Nähe zu den eigenen Kindern aufbauen. Ich habe von meinen Eltern sicherlich als Kind auch viel Liebe bekommen, aber ganz wenig körperliche Nähe, es wurde nie gekuschelt bei uns. Persische Eltern sind nicht so.
Das habe ich mit meinen Kindern ganz anders gemacht. Wir haben ein extrem nahes Verhältnis
und kuscheln bis heute noch immer wieder miteinander und ich liebe es sehr!
Wenn ich mir vorstelle, ich wäre Großmutter, in hoffentlich sehr, sehr ferner Zukunft, da wäre ich gerne wie meine Mutter und hätte gerne so eine Rolle, die sie im Leben meiner Kinder eingenommen hat. Dann möchte ich ganz klassisch die persische Großmutter sein, die für sie kocht, sie umsorgt und immer für sie da ist.
"Ich bin das Kind politischer Flüchtlinge. Die Revolution im Iran hat einen signifikanten Einschnitt in das Leben meines Vaters und meiner Mutter gebracht. Wir alle wünschen uns, dass das zu Ende geht."
Eine Frage zur aktuellen politischen Situation im Iran, wo du ja geboren wurdest. Deine Töchter werden das ja sicher auch mitverfolgen. Diskutiert ihr die aktuelle Situation?
Wir kriegen das schon sehr stark mit und das ist auch immer in der Familie ein Thema. Die Kinder waren ja auch mit mir im Iran ( Anmerkung: 2017 zur Recherche für das Kochbuch „Teheran“). Meine ältere Tochter musste dort schon ein Kopftuch tragen. Also da war der Unterschied schon zu spüren. Was bedeutet es, wenn ein Mädchen zur Frau wird und wie kleidet man sich und wie einengend ist das in deiner Freiheit, in deiner Ausdrucksform? Ich bin das Kind politischer Flüchtlinge. Die Revolution im Iran hat einen signifikanten Einschnitt in das Leben meines Vaters und meiner Mutter gebracht. Wir alle wünschen uns, dass das zu Ende geht. Wir wissen aber auch, dass die alles daran setzen, dass es nicht dazu kommt. Auch darüber kann man sehr viel reden. Aber die islamische Regierung ist nach wie vor ein wichtiger Handelspartner für den Westen. Und solange das so ist, wird das Geld entscheiden. Und solange der Westen nicht auf diesen Handelsdeal verzichten will und kann, wird diese Regierung auch bleiben. Das wissen die Menschen im Iran. Sie wissen, dass auf Hilfe von außen nicht zu zählen ist, außer Plattitüden, Worthülsen. Sie wissen, dass das nur von innen passieren kann. In islamisch regierten Ländern gibt es eine Gender Apartheid.
Die Unterdrückung der Frau ist ein Instrument der Machterhaltung. Im Unterschied zu anderen islamischen Ländern, gerade im arabischen Raum, sind die Frauen im Iran aber extrem gebildet. Der Iran ist ein sehr junges Land (Anm.: Der Altersdurchschnitt liegt 2022 bei 32,4 Jahren, Quelle de.statista.com) und die iranischen Männer sind weitaus feministischer, als man denken möchte. Man kann diese Entwicklung nicht aufhalten, aber es kann nur mit Gewalt passieren. Ich habe mir immer gedacht, so unterdrückt wie die Frauen sind – sie werden gesellschaftlich unterdrückt, sie werden politisch unterdrückt, sie werden körperlich in ihrer Ausdrucksform unterdrückt, sie bestimmen nicht über ihr Leben —, wenn also eine Revolution losgeht, dann werden es die Frauen machen. Diese Frauen sind extrem starke Frauen. Sie wissen, was sie wollen, sie wissen, wohin sie wollen. Und sie sind auch bereit, alles dafür zu geben.
Ich habe den Iran immer so beschrieben: Das ist ein kochender Topf, auf den die Regierung mit aller Gewalt den Deckel draufhält, aber das wird ihnen um die Ohren fliegen. Revolutionen passieren nicht von heute auf morgen. Revolutionen sind ein Prozess. Alles, was die Machthaber nun machen, ist, das komplette Vermögen außer Landes zu bringen. Sie sichern sich ab. Sie haben schon ihre Deals mit Venezuela, mit der Schweiz. Plan B und C. Und bis dahin wird das Land ausgeblutet.
"Grundsätzlich ist der Duft von Reis etwas, das ein Gefühl von zu Hause für mich ist."
Gibt es irgendeinen Geruch oder einen Geschmack, von dem du sagst, das riecht nach Heimat, nach der alten Heimat?
Lustigerweise sind es die Orangenblüten in unserem Garten, weil ich bin ja am Kaspischen Meer aufgewachsen, habe meine ersten Lebensjahre dort verbracht. Also das ist definitiv ein Geruch von Heimat, aber auch der Geruch von Reis in der Luft. Im Norden des Irans wird traditionell Reis angebaut, das ist ein sehr spezielles Mikroklima, eine spezielle Vegetation. Grundsätzlich ist der Duft von Reis etwas, das ein Gefühl von zu Hause für mich ist. Ich habe am Wochenende Reis für die Kinder gekocht, da gibt es mehrere Etappen des Prozesses. Wenn er in den Reiskocher kommt und dann aufquillt, das dauert schon mal eine Stunde, und erst wenn der Raum erfüllt ist vom Reisduft, ist er fertig. Man muss den Dingen Zeit geben. Bis ich erwachsen war, war meine Kulinarik immer persisch. Meine Mutter hat keine Ausnahmen gemacht.
"Wir haben sehr viel Angst in uns getragen als Kinder. Wir sind aus dem Krieg in Teheran nach Österreich gekommen. In Wien wurde gerade Silvester gefeiert, als wir ankamen. Wir Kinder dachten damals, der Krieg ist auch hier, weil wir wussten ja nicht, dass das Böller sind und ein Feuerwerk."
Erinnerst du dich noch wie das war, damals, 1985, als du mit deiner Familie nach Österreich gekommen bist? Wie ist das, wenn man in ein Land kommt, wo man kein Wort versteht, wo alles anders ist?
Ich bin im Jahr von Tschernobyl nach Österreich gekommen und mein erster Eindruck war, dass die Spielplätze alle abgesperrt waren. Wir waren also auf einmal mit dieser Atomkatastrophe konfrontiert. Gleichzeitig wusste ich, dass drei meiner Onkel an der Front im Irak kämpfen, im Iran-Irak-Krieg. Wir haben sehr viel Angst in uns getragen als Kinder. Wir sind aus dem Krieg in Teheran nach Österreich gekommen. In Wien wurde gerade Silvester gefeiert, als wir ankamen. Wir Kinder dachten damals, der Krieg ist auch hier, weil wir wussten ja nicht, dass das Böller sind und ein Feuerwerk.
Deutsch habe ich extrem schnell gelernt, weil meine Onkel haben ja schon vor der Revolution hier in Österreich studiert. Ich habe drei Onkel, zwei haben hier studiert und einer in Großbritannien. Die Familie meines Vaters ist auf der ganzen Welt verteilt. Der eine Onkel, zu dem ich auch das engste Verhältnis habe, hat nur Deutsch mit uns gesprochen. Das hat aber auch dazu geführt, dass ich mit meinen Onkeln bis heute nur Deutsch spreche, mit meinen Brüdern nur Deutsch spreche und nur noch mit meinen Eltern Farsi.
Aber deine Kinder hast du zweisprachig erzogen?
Ja, das war eine Grundsatzentscheidung, aber es war gar nicht so leicht, ich bin dann auch an meine Grenzen gekommen. Mein aktiver Wortschatz ist auf Farsi nicht so flüssig wie in der deutschen Sprache. Ich denke auf deutsch, ich fluche auf deutsch, ich träume auf deutsch.
"Es wird nicht geschrien in dieser Küche. Ich schreie niemanden an, ich werde von niemandem angeschrien. Das ist ein Grundprinzip. Wir gehen respektvoll miteinander um. Wenn es etwas gibt, dann sprechen wir miteinander. Viele haben mir das, was ich jetzt mache, nicht zugetraut. Einer meiner alten Arbeitgeber hat gesagt: Haha, die ist in drei Monaten wieder da. Nein, ist sie nicht. Schau, schau!"
Wer ist eigentlich diese Flora und wie hat dich dein Weg hierher geführt?
Ich war bei der Namensgebung nicht dabei! (lacht) Tatsächlich dachte ich mir am Anfang &flora, was ist das für ein Name? Wird das jemals ein Begriff werden? Das Hotel heißt Gilbert, das ist ein Wortspiel auf Spittelberg. Und dann war es eben der Gilbert und die Flora, also &flora. Man hat hier ganz gezielt nach einer weiblichen Leitung gesucht und man hat mich eingeladen und ich habe es mir angehört. Ich habe mich anfangs auch wirklich eine Weile geziert, weil ich mir nicht sicher war, ob ich in einem Hotel landen möchte.
Du hast beim Teambuilding hier auch stark auf Frauen gesetzt. Was zeichnet deine Unternehmenskultur aus? Wie führst du als Frau? Kommunizieren Frauen anders?
Ja, Frauen kommunizieren anders. Manchmal ist es auch ein Hindernis, aber ich möchte mal sagen, dass es eher etwas Schönes ist. Dass wir Emotionen mehr Raum lassen.
Mir geht das sehr nahe, wenn ich Ungerechtigkeiten sehe, ich möchte, dass es gerecht zugeht, dass alles fair ist. Worauf ich aber auch Wert lege in meinem Team, ist Loyalität und Zuverlässigkeit. Ich möchte mich verlassen können auf mein Team und auch dass sich innerhalb des Teams jeder auf den anderen verlassen kann. Was ich nicht akzeptiere, ist, wenn jemand laut ist. Es wird nicht geschrien in dieser Küche. Ich schreie niemanden an, ich werde von niemandem angeschrien. Das ist ein Grundprinzip. Wir gehen respektvoll miteinander um. Wenn es etwas gibt, dann sprechen wir miteinander. Viele haben mir das, was ich jetzt mache, nicht zugetraut. Einer meiner alten Arbeitgeber hat gesagt: Haha, die ist in drei Monaten wieder da. Nein, ist sie nicht. Schau, schau! Und die meisten Männer, von denen ich mich beruflich getrennt habe, packen es nicht. Ich muss wirklich sagen, das spüre ich auch. Manche konnten mir nicht einmal gratulieren zu den drei Hauben.
"Ich gehe meinen Weg und da mache ich überhaupt keine Kompromisse. Das habe ich gelernt. Ich habe ein Ziel und ich will mein Ziel erreichen. Aber ich gehe über keine Leichen."
Du bist als Köchin in einer Männerdomäne, hast wortwörtlich die Hosen an, aber hast nicht gleichzeitig auch die Ellbogen ausgepackt?
Überhaupt nicht. Ich weiß schon ganz klar, was ich will. Ich gehe meinen Weg und da mache ich überhaupt keine Kompromisse. Das habe ich gelernt. Ich habe ein Ziel und ich will mein Ziel erreichen. Aber ich gehe über keine Leichen. Ich brauche Harmonie. Und das klingt auch wieder blöd, weil Frauen sind ja sooooo harmoniebedürftig. Ich brauche ein festes Fundament, auf das man baut. Und wenn das Fundament da ist, dann kann es Krisen geben. Ich habe hier auch schon arge Krisen gehabt. Ich habe das komplette Team ausgetauscht mit Anfang des Jahres. Das war ein extrem mutiger Schritt zu sagen: Okay, Leute, bis hierher haben wir es gemacht, es war fantastisch, aber ab hier geht es mit euch nicht weiter.
Das klingt jetzt hart, aber sie wollten sich auch trennen, es war ein beidseitiger Prozess. Wir haben die drei Hauben erreicht, wir haben dieses Restaurant aufgebaut, aber ab da geht es mit ihnen nicht mehr weiter. Sie sind an ihren Grenzen und das muss man auch akzeptieren, wenn Menschen an ihre Grenzen kommen. Aber ich erwarte dann weiterhin viel, und wenn die Menschen nicht mitkönnen, führt das zu Enttäuschungen. Ich bin Perfektionistin und ich will Ziele erreichen. Mein Bauchgefühl sagte mir, es werden die richtigen Leute kommen, und mein Bauchgefühl enttäuscht mich nie. Und es war genau so: Ich habe binnen zwei Wochen alle ersetzt.
Mein Ziel hier waren auch nicht die drei Hauben, mein Ziel war es, Erfolg zu haben, im Sinne von, dass Gäste gerne kommen und hier essen. Die wenigsten checken, dass sie hier in einem Drei-Hauben-Restaurant sind. Foodies vielleicht, die das extra googeln. Rückblickend habe ich bisher alles erreicht, was ich erreichen wollte. Ich wollte im Fernsehen auftreten, habe ich gemacht. Ich wollte Kochbücher schreiben, habe ich erreicht. Ich wollte eine Küche leiten, habe ich gemacht, und hier im &flora habe ich mir das erste Mal gedacht: Ich hoffe, ich werde bewertet, ich bin soweit.
Ich glaube, ich bin mit meinem Ansatz im &flora in ein Vakuum hineingegangen, das einfach da war, um gefüllt zu werden. Ich habe deutlich gesagt, ich will mit Frauen arbeiten. Dann bin ich noch dazu die migrantische Köchin, von denen es ganz wenige gibt, und dann kann ich mich auch noch ausdrücken. Und, so dumm es klingt, ich habe auch schon gehört: Parvin kocht nicht nur gut, sie sieht auch gut aus. Das sagt man bei Männern nicht. Nein, man wird auch nie einen Lukas Mraz fragen, wie machst du das übrigens? Du bist doch auch junger Vater. Wer kümmert sich denn um dein Kind? Aber mich fragt man das natürlich, weil ich bin die Frau. Also wir sind schon immer wieder auf unser Geschlecht zurückgeworfen. Aber das kann man ja dann auch durchaus ansprechen und thematisieren. Ich fühle mich hier wie das letzte Puzzlestück an diesem Ort. Dieser Ort hat mich gebraucht, und ich habe diesen Ort auch gebraucht.
"Das Schöne am Kochen ist, dass es so ein sinnlicher Beruf ist. Essen ist etwas Sinnliches."
Bitte lass uns über deine Art zu kochen reden. Darf ich deinen Ansatz so zusammenfassen, als dass es dir weniger um das Erscheinungsbild oder um die Inszenierung geht, sondern dass bei dir wirklich der Inhalt im Mittelpunkt steht?
Absolut richtig. Natürlich, das Auge isst schon mit. Das Schöne am Kochen ist, dass es so ein sinnlicher Beruf ist. Essen ist etwas Sinnliches. Das Auge sieht zuerst. Dann ist es der Geruch. Der Geschmack hängt damit auch zusammen. Aber es ist auch etwas Haptisches. Wie fühlt sich etwas im Mund an, in der Hand? Wie hört es sich an, wenn ich reinbeiße? Es spricht so viele Sinne an, es ist so umfassend, dass es einfach wirklich zu einem Erlebnis werden kann. Und dann ist es auch noch so, dass ich Essen als einen sozialen Akt empfinde, also etwas, das uns über Kulturen und über Sprache hinweg vereint. Essen werden wir immer. Und wenn man an einem Tisch sitzt und das Essen ist da, dann verbindet es uns. Die Kommunikation ändert sich, die Energie am Tisch ändert sich. Ich möchte, dass meine Art zu kochen einfach aussieht. Natürlich steckt sehr viel Arbeit drin. Ich will, dass es gut schmeckt. Ich will, dass die Qualität passt. Aber mich hat es genervt, die Dinge am Teller quasi mit dem Lineal aufzuzeichnen.
Du bist offensichtlich sehr freiheitsliebend, kreativ und selbstbestimmt. Darf man das so sagen?
Ja, schon, aber so war ich immer schon, also gerade in Sachen Selbstbestimmtheit. Meine Eltern haben uns schon so erzogen. Ich bin in einem religionsfreien Haus aufgewachsen, in dem es keinen Gott gab, an den wir zu glauben hatten. Es ist alles in dir und um dich. Wir brauchen keinen König, keine Kirche, eine Moschee schon gar nicht. Den kompletten Haushalt macht eigentlich mein Vater. Er spült das Geschirr, er wäscht die Wäsche. Ich bin in keinem klassisch patriarchalischen System aufgewachsen. Ich war immer schon selbstbestimmt. Mir wurde auch immer gesagt, ich kann alles. Erfolgsdruck war allerdings schon immer da. Und das merke ich auch in meiner Arbeit. Ich mache mir viel Druck, den sehen die anderen nicht. Aber meine Mitarbeiter*innen kriegen ihn manchmal mit. Ich versuche daran zu arbeiten, dass ich von ihnen nicht dasselbe abverlange wie von mir.
Information zur Auswahl unserer Interviewpartner*innen
Wir lieben es, Frauen medial sichtbar zu machen und wählen unsere Interviewpartner*innen immer aus Überzeugung, unabhängig und in Absprache mit unseren Journalistinnen aus. Unsere Interviews und Artikel sind niemals bezahlt, keine der Marken hat uns dazu beauftragt.
Im Gespräch mit
Küchenchefin Parvin Razavi gibt ihre Liebe zum Kochen und zu verführerischen Aromen gerne auf dem Teller weiter. Die Gäste bekommen so nicht nur aufregende Speisen, sondern gleichzeitig eine große Portion positive Energie serviert. Kombiniert mit österreichischen sowie nordischen Einflüssen, verbindet sich alles zu einer fantastischen Weltreise am Gaumen, die auch Parvins persönliche Vergangenheit und Gegenwart widerspiegelt. Persönlich wird es auch, wenn von „hausgemacht“ die Rede ist – das bedeutet bei &flora nämlich immer „handgemacht“. Die lebenslustige, weltoffene Philosophie des Hauses kennt nur eine Ausnahme: Streng wird darauf geachtet, dass möglichst viele Zutaten regional und alle ethisch korrekt sind.