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PERSPEKTIVEN: Was heißt hier alt?!


PROTOKOLLE: VIKTÓRIA KERY-ERDÉLYI & PAMELA RUSSMANN


Hattest du ihn auch schon? Den einen Moment, wo du dir dachtest: Ui, jetzt werde ich alt? Aber was genau lässt uns spüren, dass wir nicht mehr jung sind bzw. wer lässt uns spüren, dass wir nun „alt werden”? Es ist ein Thema, mit dem wir Frauen uns immer wieder auseinandersetzen (müssen), sei es, weil wir mit Werbung für Anti-Aging-Produkte zugemüllt werden oder in der Früh beim Aufstehen der eine oder andere Ächzer unwillkürlich unseren Lippen entfährt. Älterwerden kann sich für Frauen sehr unterschiedlich anfühlen und hängt oft von persönlichen Erfahrungen, kulturellem Hintergrund und individuellen Einstellungen ab. Einige Frauen empfinden das Älterwerden als eine positive Phase im Leben, die mit mehr Selbstvertrauen, Erfahrung und Gelassenheit verbunden ist. Andere haben unter Umständen Sorgen in Bezug auf den körperlichen Alterungsprozess oder hadern mit dem Druck, ein bestimmtes jugendliches Ideal vermeintlich erfüllen zu müssen.


Generationen | Perspektiven | Collage | Frauen | myGiulia
Foto Bearbeitung myGiulia

Wir haben Frauen zwischen 25 und 84 Jahren zur Selbstreflexion gebeten. Welche Visionen haben sie für die sogenannte zweite Lebenshälfte, wie sorgen sie vor und welche Ängste begleiten sie? Und was denkt wiederum die nachkommende GenZ über die Mütter- und Großmüttergeneration? Wie schauen die Jungen in ihre Zukunft? Hier die spannenden Antworten von Rebecca Horner, Mirjam Unger, Biftu Abduljelil, Christl Clear, Stephanie Dettmann, Dr. Yael Adler, Anastasia Barner und Ilse Krüger



Portrait | Biftu | Frau | Generationen | Perspektiven | myGiulia
Foto: © Zoe Opratko | Bearbeitung myGiulia

Biftu Abduljelil

26 Jahre, Sales Managerin und freie Journalistin, studiert Kommunikationswissenschaft im Master in Wien, kommt aus München.


Als ich 25 wurde, dachte ich mir: „Wow, ich bin jetzt ein Vierteljahrhundert alt. Was mache ich denn nun? Wie soll es weitergehen? Sollte ich nicht schon weiter sein?“ Es war wohl eine Quarterlife Crisis… Jetzt in diesem Moment habe ich zwar keine Zukunftsängste (vor allem im Vergleich zum letzten Jahr), aber mich beschäftigt schon, in welche Richtung ich mich entwickeln werde. Wo werde ich leben? In welcher Branche werde ich arbeiten? Aber es ist nicht mit Angst verbunden. Im Moment geht's mir grad ganz gut eigentlich! Wenn ich an das Altern denke, fürchte ich mich davor, dass der Körper nicht mehr so fit sein wird wie heute und ich vielleicht irgendwann auf Unterstützung angewiesen bin, was ich nicht möchte. Am meisten freue ich mich über mehr finanzielle Stabilität, Wissen und Erkenntnisse. Zufrieden auf die eigene Entwicklung zurückschauen zu können ohne große Reue und ein Teil von Communities zu sein, damit man noch verbunden bleibt, gehört meiner Meinung nach zu einem gelingenden Älterwerden dazu. Wenn ich eines Tages in der Pension bin, lebe ich hoffentlich in der Nähe von einem Strand und kann den von meiner Terrasse aus sehen, wo ich frühstücke. Dann würde ich gern mit meiner Familie rumalbern und mich um meine Angelegenheiten kümmern. Vielleicht habe ich dann Gemüse gepflanzt und freue mich darauf, es zu ernten. Mit Freundinnen tratsche ich natürlich auch. Und gegen späten Nachmittag oder Abend setzen wir uns an den Strand und genießen unser Leben. Konkret vorsorgen für das Alter tu ich (noch) nicht, das ist eine Sorge für das „Future Me“! Finanziell sollte ich aber wohl irgendwann mit dem Investieren anfangen, da Frauen öfter von Altersarmut betroffen sind. Was mich manchmal verzweifeln lässt, wenn ich älteren Menschen zuhöre, ist, wieso man keinen Raum für andere Ansichten mehr hat und überhaupt nicht mehr offen für verschiedene Lebensweisen, Menschen, Glauben etc. sein kann. Auch diese selbstgerechte Art, die manche ältere Kolleg*innen haben und die so tun, als ob man als jüngerer Mensch/Frau keine Ahnung hätte, ist mir manchmal unsympathisch. Meinem 18-jährigen Ich würde ich gern im Nachhinein ausrichten: „Beruhig dich, dein Abi macht nicht das ganze Leben aus und ziehe niemals mit einem Typen in eine WG!“



Portrait | Rebecca Horner | Perspektiven | Generationen | Frau | myGiulia
Foto: Privat | Bearbeitung myGiulia

Rebecca Horner

geboren 1989, Tänzerin, drei Kinder, lebt in Wien. 


Mir und den Leuten in meinem engen Umfeld passiert ständig, dass wir vergessen, wie alt wir sind. Ich habe 2007 maturiert, das ist nun also etwa 10 Jahre her…LOL… Natürlich sind Social Media und die Kosmetikindustrie Faktoren, die für manche relevant sind und ohne die sie sich nicht zu identifizieren wissen. Ich sehe das gelassen, ich stehe nicht sonderlich auf Trends, im Gegenteil: Ich bleibe mir gerne selbst treu. Ich habe während meiner dritten Schwangerschaft so viele graue Haare dazubekommen, und ich hab mir nur gedacht: Vielleicht nimmt man mich jetzt bald mal ernst! Vor dem Älterwerden an sich fürchte ich mich nicht, solange ich so viel lieben und lachen kann wie jetzt! Etwas, das ich mir für später, so mit 50, vorstellen kann: dass ich gemeinsam mit meinem Mann eine zeitgenössische Tanzkompanie in Wien etabliert habe und dass wir die Kulturszene aufmischen. Und zeitweise würde ich dann gern selbst auch noch auf der Bühne stehen. Ich möchte auf jeden Fall so alt werden, dass ich meine Enkelkinder noch aufwachsen sehen kann. Zu einem gelungenen Älterwerden gehört meiner Meinung nach Selbstliebe dazu. Ich mache gerne Yoga, und da das Tanzen mein Beruf ist, bewege ich mich gerne und viel. Und um im Alltagswahnsinn nicht durchzudrehen, führe ich ausführliche Gespräche mit meiner Familie und engen Freunden.



Portrait | Mirjam Unger | Frau | Generationen | Perspektiven | myGiulia
Foto: ©Pamela Rußmann | Bearbeitung myGiulia

Mirjam Unger

Jahrgang 1970, Film- und TV-Regisseurin, zwei Kinder, ein Enkelkind, lebt in Niederösterreich.


Wenn du jung bist, hast du nicht das Gefühl der Endlichkeit, das kommt erst später und hat eine ganz eigene Qualität. Irgendwann spürst du, es wäre auch okay zu gehen, weil du schon viel erleben durftest und viel geschafft hast und weil du begreifst, dass die Welt sich auch ohne dich weiterdreht. Aber die Lebensfreude treibt einen weiter an und du bist dankbar über jeden gesunden, friedlichen, kreativen Tag, an dem du nach wie vor da sein und teilnehmen darfst am Weltgeschehen. Feig darf man jedenfalls nicht sein beim Älterwerden. Trotzdem habe ich, wie jede*r, Verlustängste oder Angst vor Krankheiten, aber ich versuche Ängste als solche zu erkennen und sie nicht groß werden zu lassen. Ich bin von Natur aus neugierig und optimistisch, insofern freue ich mich, wenn ich erleben darf, wie sich die Zukunft gestaltet oder wir die Zukunft gestalten. Das wird noch aufregend und herausfordernd. Ich bin bereit dafür. Da wird es erfahrene, kompetente, gesunde, ältere, weise Frauen mit Führungsqualitäten brauchen, die mithelfen, gute Lösungen zu finden.

Mein Blick darauf, eine Frau zu sein, hat sich im Laufe meines Lebens massiv verändert. Schönheit und Jugend kannst du nicht halten. Irgendwann musst du das alles gehen lassen und dann steht dir im Spiegel plötzlich eine Frau gegenüber, die gelebt hat und überall siehst du die Zeichen der Zeit und des Lebens. Und es ist okay, weil hinter jedem Zeichen eine Erfahrung steckt, sei sie dumm oder gescheit gewesen – alles, was war, hat dich dahin gebracht, wo du jetzt bist. Manchmal sehne ich mich zurück in die Unbeschwertheit der Jugend. Mit allem, womit ich sie verschwendet habe: Amour Fou, Ausgehen, Sex, Drugs and Rock’n’Roll, Liebeskummer, wenig Schlaf und viel Euphorie. Aber ich fühle mich seit dem Wechsel auch irgendwie angekommen. Ich darf meinen Traumberuf ausüben, auf den ich mich lange vorbereitet habe, ich muss nicht mehr darum kämpfen, ernst genommen zu werden, ich habe zwei erwachsene Kinder, die ich über alles liebe und sogar schon ein wunderschönes Enkelkind. Ich lebe frei und unabhängig und in tiefer Überzeugung, dass Frauen weltweit unterschätzt werden und immer noch zu wenig Macht haben. Das war mir in jungen Jahren so nicht bewusst, und das gehört geändert.



Portrait | Christl Clear | Frau | Generationen | Perspektiven | myGiulia
Foto: ©Ina Aydogan | Bearbeitung myGiulia

Christl Clear

41 Jahre, Digital Creator & Autorin, lebt in Wien. 


Wenn du mich vor ein paar Jahren gefragt hättest, ob das Alter für mich eine Rolle spielt, hätte ich nein gesagt, aber mittlerweile sehe ich das anders. Prinzipiell finde ich es wichtig, das Alter der Menschen anzuerkennen, um Altersdiskriminierung entgegenzuwirken und zu realisieren, dass die Generationen nach und vor uns komplett anders ticken als wir Millennials oder die Babyboomer. Das ist zwar eine Kategorisierung und somit auch etwas fragwürdig, aber es hilft, Verständnis und Geduld zu haben. Und aus einer persönlichen Perspektive habe ich gar keine Wahl als mich mit meinem Alter auseinanderzusetzen. Ich werde heuer 42, mein Körper verändert sich und mir bleibt nicht mehr viel Zeit, um meinen Kinderwunsch zu erfüllen. Auf der anderen Seite bin ich so viel entspannter als vor ein paar Jahren, ich nehme mich selbst nicht mehr so ernst, habe meine Prioritäten anders gesetzt und weiß mein Leben und die Leute, die es so wunderbar machen, echt auf einem anderen Level zu schätzen. 

Wie meine Vision von der Pension aussieht? Mein Mann werkelt im Garten herum und beschwert sich, dass sein Rücken zwickt, die Kids sind happy, mein Prosecco hat die perfekte Temperatur und ich snacke gleich Wassermelone. Meiner Familie und meinen Freund*innen geht’s gut. Alle haben sich durchgebissen und sind halbwegs gesund, wir lachen über früher und sind froh, dass wir uns noch haben.

„Carpe diem“ ist für mich ein Spruch, den wir in den letzten Jahren etwas ausgereizt haben. Das Leben ist kurz und Altern ist ein Privileg, aber manchmal will man auch einfach nur auf der Couch liegen und nichts machen und das muss auch okay sein. 

Ich habe die Vision, dass ich in der Pension auf ein Leben voller Ups & Downs zurückblicke und extrem stolz auf das bin, was ich mir aufgebaut habe. Beruflich und privat. Ich habe vor einiger Zeit eine Altersvorsorge abgeschlossen, weil Altersarmut besonders Frauen betrifft und ich im Alter gern mit einem finanziellen Polster abgesichert wäre. Wenn ich jungen Menschen – allen voran Frauen – einen Tipp geben könnte diesbezüglich, dann, dass sie so jung wie möglich beginnen sollen, vorzusorgen. Das funktioniert schon mit einem geringen monatlichen Betrag und man wird es sich im höheren Alter selbst danken. 



Portrait | Anastasia Barner | Frau | Generationen | Perspektiven | myGiulia
Foto: ©Eric Köckeritz | Bearbeitung myGiulia

Anastasia Barner

Jahrgang 1998, Gründerin von FeMentor, Autorin & Speakerin, lebt in Berlin. 


Als ich mein Start-up gegründet habe, bin ich auch auf viel negative Stimmung gestoßen. Nicht aufgrund der Ziele, die ich verfolge, sondern aufgrund der Art, wie ich mich kleide, wie ich aussehe. Ich habe Haare bis zum Po, trage gerne körperbetont und bauchfrei. Dass ich mich nicht in Businessanzüge zwänge, ist keine Rebellion, ich fühle mich mit meinem Stil wohl. Meine Expertise ist nicht an mir, sondern in mir – mit dieser Aussage werde ich oft zitiert. Ich kann den kürzesten Minirock tragen, das sagt nichts über meine Intelligenz aus. Es gibt noch immer Menschen, die es nicht verstanden haben, dass sich die Dinge ändern. Die sind oft über 60, sie müssen sich nicht mehr anpassen, und wer weiß, wo ich mit 60 bin. Ich versuche, ihnen Verständnis entgegenzubringen, aber ich wünsche mir auch Verständnis von ihnen für meine Generation. Ich selbst möchte am liebsten mit 36 Mama von einer Tochter werden, damit sie in die Pubertät kommt, wenn ich in den Wechseljahren bin (lacht). So war es bei meiner Mama und mir, manches haben wir gehasst – ich war ein kleines Monsterchen –, aber wir haben uns auch sehr gut verstanden.

Im Alter zwischen 14 und 20 Jahren hatte ich um die 50 Mentorinnen – dank meiner Mama, die erfolgreich eine PR-Agentur leitet. Für mich war immer klar, dass ein solches Netzwerk ein Vorteil und teilweise sogar wertvoller ist als alles Geld, das du erben kannst. Ich wollte mich für diesen Vorteil nicht schämen, sondern ihn nutzen. Da hatte ich die Idee, einen solchen Zugang möglichst vielen Frauen zu ermöglichen. Ich habe 2020 mit 19 Jahren FeMentor gegründet: Ich habe mit rund 50 Mentorinnen gestartet, heute haben wir 5.000 Mentorinnen und das Doppelte an Mentees. Mein Hauptstandort ist in Berlin, aber wir agieren mittlerweile weltweit.

Wir bieten Reverse Mentoring: Die Frauen unterstützen einander nicht nur komplett branchenübergreifend, sondern auch generationenübergreifend. Mir ist Mentoring auf Augenhöhe wichtig und ich fand es immer ungerecht, dass die Älteren geben und die Jüngeren nehmen. Bei FeMentor geben die Frauen einander Wissen in dem Feld, in dem sie Expertinnen sind, unabhängig vom Alter. Eine junge Frau kann beispielsweise eine gute Social Media-Expertin sein. Wir werden immer älter und werden auch länger arbeiten müssen. Ich arbeite gerne, aber wie lange ich mein aktuelles Pensum halten kann, weiß ich natürlich nicht. Ich habe das große Glück, dass meine Mama sehr früh mit mir über meine Finanzen gesprochen hat. Ich habe privat vorgesorgt, weil ich weiß, dass meine Generation eine geringe Rente bekommen wird. 



Portrait | Ilse Krüger | Frau | Generationen | Perspektiven | myGiulia
Foto: ©Hannah Mayr | Bearbeitung myGiulia

Ilse Krüger

84 Jahre, Autorin, Waldbesitzerin & Waldretterin, lebt in Wien und in Litzelsdorf, Südburgenland.


Möglicherweise vergeht die Zeit, wenn man älter wird, umso schneller, je gleichförmiger das Leben abläuft. Die Berufstätigkeit mit immer neuen Anforderungen und Kontakten fällt weg, der Freundeskreis lichtet sich, vor großen Reisen schreckt man zurück. Ich unterlaufe den Prozess allein schon dadurch, dass ich in Wien ein völlig anderes Leben führe als in Litzelsdorf. In Wien sein heißt nicht nur, Konzerte, Museen, Veranstaltungen zu besuchen und Besuche zu machen, sondern sich auch ein wenig – wie man auf Wienerisch sagt – zamzuschwanzen, also etwas hübscher anzuziehen. Im Südburgenland überwiegt die Arbeit im Garten und im Wald in Arbeitskleidung, aber ich schreibe auch an beiden Orten.

Ich finde, ich habe schon als junger Mensch nach den für mich wichtigen Prinzipien gelebt: liebevolle Fürsorge für alle mir Anvertraute. Die Verantwortung zu übernehmen, nicht nur für sein eigenes Leben, sondern auch – soweit wie möglich – für die, die meine Hilfe brauchen. Dass ich jetzt auch noch genügend Zeit und Energie habe, um längere Texte zu schreiben, dafür bin ich dankbar. Schön finde ich, dass mein Selbstbewusstsein in den langen Jahren meines Lebens wachsen konnte und dass einem eine gewisse „Narrenfreiheit“ zugestanden wird. Wenn ein neu dazugekommener Partner einer Enkelin anerkennend sagt: „Deine Oma ist verrückt, was sie alles leistet“ – dann freue ich mich. Außerdem positiv: Nach dem Wechsel lässt die hormonelle „Fremdsteuerung“ nach und man kommt stimmungsmäßig in ruhigere Fahrwasser. Das Negative ist: Völlig ohne chronische Wehwehchen wird man nicht alt. Der italienische Film „La vita é bella“ erzählt davon, dass das Leben trotz widrigster Bedingungen schön ist. Dieses Gefühl stellt sich auch ein, wenn man aus einer schweren Krankheit genest. 

Ich hatte das Glück, dass mir schon in meiner Kindheit Kunst, Musik, Literatur, Natur und viele soziale Kontakte angeboten wurden. Ein niemals versiegender Born, aus dem ich Kraft und Freude schöpfen konnte und noch immer kann. Außerdem hat mir eine besonders nette Fee bei meiner Geburt die Gabe geschenkt, andere Menschen zu mögen und von ihnen gemocht zu werden. Eine zweite ebenso nette Fee hat mir dazu meine nie zu befriedigende Neugier auf neues Wissen und neue Eindrücke geschenkt.



Portrait | Dr. Yael Adler| Frau | Generationen | Perspektiven | myGiulia
Foto: ©Marcus Hoehn | Bearbeitung myGiulia

Dr. Yael Adler

51, Dermatologin und Autorin, Mama von zwei Kindern, lebt in Berlin. 


Man denkt ja, dass die Wissenschaft in 20 Jahren so weit sein wird, dass wir sogar 200 Jahre alt werden könnten. Ich würde mich schon aus jetziger Sicht freuen, 120 Jahre alt werden zu können: gesund, fit, vital, glücklich, umgeben von den Menschen, die ich liebe – und so, dass ich mich mit schönen Dingen beschäftigen kann. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?

Ich habe das Gefühl, dass die Menschen heute nicht nur vor Falten, sondern auch vor anderen vermeintlichen Makeln und Asymmetrien Angst haben; sie orientieren sich an Vorbildern, die oft durch Filter gelaufen sind. Ich höre mir als Ärztin die Sorgen der Menschen an, sage ihnen, dass sie genauso richtig sind, wie sie sind und frage sie: Was stört Sie denn? Natürlich gibt es Dinge, die man verstehen kann. Eine 25-jährige Surferin kam, weil sie durch das starke Anspannen ihrer Muskeln in der grellen Sonne auf dem Wasser Zornesfalten entwickelt hatte, die bereits stehen blieben. So etwas kann man mit Botulinumtoxin abmildern. Aber generell versuche ich immer zu sagen: Sie sind schön, fragen Sie doch mal die Menschen, die Sie lieben, wie schön Sie sind! Wir sollten uns Gedanken über Gesellschaft, Politik und Soziales machen, darüber, wie wir die Welt zu einem besseren Ort machen, anstatt uns zu sehr auf unser Äußeres zu fokussieren. Natürlich muss man diese Dinge mit viel Feingefühl besprechen. Die große Angst vor dem Alter und dem Verfall wird durch die sozialen Medien sicher gefördert; man sieht, was alles gemacht werden kann, es gibt einen richtigen Machbarkeitswahn. Vieles wird als selbstverständlich dargestellt und Risiken werden leider häufig negiert.

Das Älterwerden ist durchaus auch mit schönen Dingen verbunden: Man ist schon einen Weg gegangen und weiß, dass einiges geklappt hat, und dass man in der Lage ist, auch Krisen zu überwinden. Man erfreut sich an Familie, Freunden, Beruf, an den Dingen, die man geschaffen hat und an Erlebnissen und Reisen. 

Natürlich gehen auch Eigenschaften und Fähigkeiten verloren, die körperliche Fitness beispielsweise, und das Immunsystem altert. Man kann viel machen, um das zu verlangsamen und einiges aufzuhalten, aber irgendwann werden Krankheiten kommen. Damit umzugehen fällt manchen mehr, manchen weniger schwer. Man sollte versuchen, sich zu arrangieren, das Leben darf in jeder Generation genutzt werden. Auch für die Prävention ist es nie zu spät. Man weiß zum Beispiel, dass wenn man Menschen, die nie Sport gemacht haben, zwischen 86 und 96 trainieren lässt, sie ihre Muskelkraft über 170 Prozent steigern können. Ich selbst bin Hypochonderin und habe große Angst vor Krankheit und Tod. Trotzdem bin ich dankbar, bin froh, wenn es meinen Lieben gut geht, bin sehr happy, dass ich noch da bin. Nicht jedem ist das vergönnt. Ich versuche, jeden Tag etwas sehr Schönes zu tun und zu erleben. Ich habe meine Inseln, wie in den Wald, joggen, wandern, schwimmen gehen, vor allem viele schöne Momente mit der Familie zu genießen.

Es gibt in jeder Lebensphase etwas Positives, das man teilen kann. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, ist es gut, den Austausch mit anderen Generationen zu nutzen. Der Respekt vor der Lebensleistung von älteren Menschen wächst, was man von ihnen lernen kann, ist ein wertvoller Schatz. 



Portrait | Stephanie Dettmann | Frau | Generationen | Perspektiven | myGiulia
Foto: privat | Bearbeitung myGiulia

Stephanie Dettmann

52 Jahre, Mitbegründerin des Naturkosmetik-Labels UND GRETEL, Mama von zwei Kindern, lebt in Berlin.


Das Alter spielt in meinem Leben keine große Rolle, schon gar nicht so, wie es oft in unserer Gesellschaft dargestellt wird. Ich liebe das Leben und konzentriere mich viel lieber auf Selbstakzeptanz, mein Wohlbefinden und die eigene Weiterentwicklung. Ich genieße zunehmend das Gefühl der Gelassenheit, einer angenehmen Altersmilde, einem wohligen Selbstvertrauen und schätze die natürliche Schönheit und Authentizität, die mit dem Älterwerden einhergeht. Ich lasse mich weniger durch äußere Erwartungen, wie den Druck, jugendlich auszusehen, beeinflussen. Mein Fokus liegt darauf, ein gesundes und glückliches Leben zu führen, unabhängig von der Zahl auf dem Papier. Bei der Entwicklung von Beauty- und Hautpflegeprodukten betrachte ich das Alter aus einer holistischen Perspektive. Natürlich hat es einen gewissen Einfluss auf die Bedürfnisse der Haut, das ist aber nicht der alleinige Faktor bei der Produktentwicklung. Haut kann so viele Eigenschaften haben. Sie kann trocken, empfindlich, ölig oder reif sein, es gibt die sogenannte normale Haut und natürlich Mischhaut. Was allerdings jeder möchte, ist eine Haut, die straff, gepflegt und strahlend ist, die jugendlich frisch aussieht und dank optimaler Pflege Hautalterungsprozesse vorbeugen kann. 

Da ich selbstständig bin, wird es für mich keine klassische Pension geben. Allerdings hat sich meine Perspektive bereits verändert, seitdem ich 2023 aus dem operativen Geschäft ausgestiegen bin und mein Unternehmen seitdem als Gesellschafterin nur noch von der Außenlinie begleite. Der Übergang in eine weniger verpflichtende Rolle und somit deutlich reduzierterem beruflichen Druck hat mir bereits ermöglicht, mehr Freiraum für Dinge zu haben, die ich lange aufschieben musste, wie zum Beispiel mehr Zeit mit der Familie, Reisen oder auch neue Projekte anzugehen. Ich genieße die Freiheit sehr, mein Leben gelassener gestalten zu können und mich ganz auf das fokussieren zu dürfen, was mir Freude bereitet.

Da mein Ehemann DJ ist, werden Party und Tanzen immer Bestandteil meines Lebens sein, egal, wie alt ich bin. Dinge, die ich mir ebenfalls nicht nehmen lasse, sind meine Liebe zur Natur und mein Engagement für Nachhaltigkeit. Ich werde mit genauso viel Elan wie mit 18 für die Idee einstehen, dass Schönheit und Gesundheit Hand in Hand mit Respekt vor der Natur gehen sollten. Auch meine kreative Ader und mein Sinn für Ästhetik sind Dinge, die ich nie aufgeben werde. Nach wie vor bin ich sehr leidenschaftlich bei der Entwicklung von Ideen und neuen Projekten. Meine Freude an Bewegung, sei es durch Sport oder andere Aktivitäten, werde ich mir ebenfalls bewahren. Auch wenn die Art der Bewegung sich über die Jahre verändert haben mag, bleibt die Energie und das Bedürfnis nach körperlicher Aktivität ein fester Bestandteil meines Lebens. Ehrlich gesagt möchte ich mir durch das Altern nichts nehmen lassen.



 

Buchtipps


Buch | Buchtipp | Christl Clear | myGiulia

(Kremayr & Scheriau)


Christl räumt in ihrem Buch mit Klischees auf, die mit dem Frausein assoziiert werden und schreibt sehr persönlich und einer herzhaften Portion Humor über Erfahrungen mit diversen Erwartungshaltungen an uns Frauen. 









Buch | Buchtipp | Dr. Yael Adler | myGiulia

(Droemer)


Gesundes Älterwerden ist die Mission von Yael Adler. Spannend erklärt sie, wie und warum wir von der einzelnen Zelle bis zu den Organen altern und was wir ganz konkret dagegen tun können, und zwar durch teils ganz einfache Umstellungen von Ernährung oder Lebensstil.






Buch | Buchtipp | Ilse Krueger | myGiulia

1995 im Frauenverlag erstmals erschienen, ist „Faltenkatzen” nach wie vor erschreckend aktuell. Die etwas betagteren Damen, die sie zu Hauptfiguren ihrer Erzählungen gemacht hat, sind Heldinnen (oder auch Antiheldinnen), die sich in den Spannungsfeldern zwischen zugeschriebenen Rollen und Selbstverwirklichung bewegen, zwischen Lebenshunger und Lebensumständen, oder sie liegen überhaupt schon im Bett und warten auf den Tod.



Buch | Buchtipp | Bill Gifford | Peter Attia | myGiulia

Es gilt bereits knapp eineinhalb Jahre nach seinem Erscheinen als DAS neue Standardwerk zum Thema Langlebigkeit. Longevity, wie der Begriff auf Englisch heißt, wird seit einiger Zeit als Trendschlagwort gehypet. Dr. Peter Attia serviert die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse für innovative Ernährungsmaßnahmen und Techniken zur Bewegungs- und Schlafoptimierung und gibt gibt Tipps für eine ausgeglichene emotionale und geistige Gesundheit. Denn trotz all ihrer Erfolge ist es der Schulmedizin bislang nicht gelungen, die zentralen Krankheiten des Alterns zu bekämpfen, an denen die meisten Menschen sterben: Herzkrankheiten, Krebs, Alzheimer und Typ-2-Diabetes. Dr. Attia fordert in seinem Buch: „Wir alle müssen jetzt handeln und aktiv werden – und nicht warten.”




Gail Sheehy: Passages (Bantam)


50, there is a new warmth and mellowing. Friends become more important than ever, but so does privacy. Since it is so often proclaimed by people past midlife, the motto of this stage might be “No more bullshit.” So kraftvoll bringt Gail Sheehy (1937 – 2020) in ihrem 1976 erschienen Buch „Passages: Predictable Crises of Adult Life“ auf den Punkt, was uns in der zweiten Lebenshälfte erwartet. „Passages“ ist wie eine Straßenkarte, die uns durch das Erwachsenenleben lenkt und sich mit den unvermeidbaren Veränderungen und Entwicklungen der 20er, 30er, 40er, 50er und darüber hinaus beschäftigt. Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, brillant formuliert von einer ikonischen Autorin, Journalistin und Dozentin. Von der „Library of Congress“ wurde „Passages“ als eines der zehn einflussreichsten Bücher unserer Zeit bezeichnet.




Arthur C. Brooks: Der beste Rat für ein gutes Leben (Finanzbuch Verlag)


Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, im Alter von 50 Jahren, begibt sich Arthur Brooks, gefeierter Bestsellerautor, renommierter Harvard-Professor, erfolgreicher Glückskolumnist und Podcaster („The Art of Happiness with Arthur Brooks“) auf eine siebenjährige Reise. Er hat scheinbar alles erreicht, was sich ein Mensch nur wünschen kann, doch auch für ihn bricht die zweite Hälfte des Lebens an. Alles Mühen und Streben führt auf einmal nicht mehr zu mehr Erfolg, sondern zu der immer stärkeren Gewissheit, all das nicht ewig durchhalten zu können, auch wenn er es noch so sehr versucht. Doch Brooks findet einen Weg. Er steigt aus dem Hamsterrad des Erfolgs aus, findet vielmehr eine neue Art von Erfolg und noch mehr: eine tiefere Form von Glück. Im Lauf seiner Reise sogar einen wahren Sinn im Leben. Dieses Buch ist die Essenz seiner Transformationsreise.



 

Unsere Autorinnen




Autorin | Portrait | Foto | VIKTÓRIA KERY-ERDÉLYI | myGiulia
© Vanessa Hartmann

Viktória Kery-Erdélyi wurde in Ungarn geboren und kam mit zehn Jahren nach Österreich. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft (Diplomarbeit: „Sie sagen, Sie sind nur eine Frau, was wollen Sie denn Besseres sein? – Geschlechterverhältnisse bei Marivaux). Nach 10 Jahren als Redakteurin beim KURIER wechselte sie als freiberufliche Journalistin in die Magazinbranche. Sie schreibt vorwiegend für die Wienerin, Burgenländerin und Niederösterreicherin.

Wie ich meinen Beruf verstehe: Jede Begegnung mit Menschen, die mir über ihr Leben erzählen und beschreiben, wofür sie brennen, ist ein Geschenk. Ich bemühe mich, mit viel Feingefühl und Demut vor dem geschriebenen Wort ihre Geschichten festzuhalten.




Portrait | Selbstportrait | Autorin | Pamela Rußmann | myGiulia
© Pamela Rußmann

Pamela Rußmann fotografiert seit ihrer Jugend, hat die Fotografie zum Beruf gemacht und lässt parallel dazu stets die Liebe zu(m) Texten mitschwingen. Sie arbeitete ab 1996 als Kulturredakteurin und Moderatorin beim ORF-Radiosender FM4, rief dort den Literaturwettbewerb „Wortlaut” ins Leben, war 2007 Gründungsmitglied der ORF-Late-Night-Show „Willkommen Österreich“ und fast eineinhalb Jahrzehnte Redakteurin der Sendung. In ihrem Buch „Irgendwann geht auch das vorbei“ (Leykam) fotografierte und interviewte sie Frauen auf der ganzen Welt während der Corona-Pandemie via Videotelefonie. Seit 2022 ist Pamela Rußmann Chefredakteurin von myGiulia. Sie lebt und arbeitet als Fotografin, Autorin und Journalistin in Wien.


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