Text und Fotos von Katharina Chavanne
Manchmal ist es wie Magie…du kommst an einen Ort, und in Windeseile fühlt es sich an, als wären alle Sorgen verschwunden. Ruhe kehrt ein und die Zeit scheint für einen Moment stillzustehen. Genau dieses Gefühl der Glückseligkeit überkommt mich seit mittlerweile fünf Jahren, wenn ich auf die Île de Ré fahre, um hier meinen Sommer zu verbringen.
Ré ist eine kleine französische Insel im Atlantik, nur 32 Kilometer lang und fünf Kilometer breit, etwa 18.000 Einwohner*innen zählt das Eiland. Hier treffen prachtvolle Natur und französischer Charme aufeinander. Idyllische Dörfer, weiße Dünen und kilometerlange Sandstrände, duftende Pinienwälder und die raue Meeresluft vom Atlantik machen diese Insel zu dem, was sie ist: ein kleines Paradies. Seit 1988 verbindet eine Brücke „le continent“, das französische Festland bei La Rochelle, mit „Ré, la Blanche“, der weißen Insel, wie sie auch liebevoll genannt wird.
Zehn pittoreske Dörfer verteilen sich über die Insel. Typisch sind die weißen Häuser mit pastellfarbenen Fensterläden in allen erdenklichen Grün-Nuancen, die engen Gässchen mit Kopfsteinpflaster und Stockrosen, die sich an den hellen Mauern hochranken. Erklärungen, woher der Spitzname „die Weiße” kommt, gibt es gleich mehrere, die wohl alle mehr oder weniger zutreffen. Ich habe mich auf die Suche begeben, die zwei plausibelsten zu erkunden.
It’s a kind of magic: das Licht!
Meistens wird vermutet, dass die weißen, kleinen Häuser, die hier wie kaum woanders in Frankreich aufzufinden sind, namensgebend waren. Dieses strahlende Weiß der Mauern reflektiert das sanfte Licht und taucht die Insel in zarte Farben.
Farben, die schon viele Künstler*innen angezogen haben. So auch Géraldine Papinot, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen BRYLINSKA. Die Malerin lebt seit 2007 auf der Insel. Dank ihres Mannes verliebte sie sich nach ihrem Kunststudium und Stationen in Genf, Paris und Hamburg in diese Insel und kam hierher, um zu bleiben. Ihre Inspiration war stets das Wasser. Ihre Farbe: Blau. Was sie hier aber verzaubert hat, war dieses besondere Licht, das alles in einen zarten, weißen Schleier hüllt. Seit sie auf der Insel ist, hat sie sich der Landschaftsmalerei verschrieben und bringt wie kaum eine andere die Stimmungen der Insel auf die Leinwand. Bei ihren Bildern verschmelzen Himmel und Ozean. Farbe und Transparenz. Die Tage hier sind lang und die Farbenspiele wundervoll. „Sollten Sie mal die Möglichkeit haben, außerhalb der Saison zu kommen, machen Sie es – die Ruhe und die Lichter im Winter sind magisch“, erzählt Géraldine und lächelt.
„Malen ist mein Leben“, erklärt die Künstlerin in ihrem Atelier in La Couarde. Der Name Brylinska ist übrigens eine Hommage an ihre Großmutter, die in den 1930er-Jahren Konzertpianistin war und gemeinsam mit ihrer Mutter ihre wohl wichtigste künstlerische Förderin war.
Salz - Das weiße Gold
Kommen wir zur zweiten Erklärung, woher der Name „Ré, la Blanche“ stammt. Manche munkeln, dass es das „weiße Gold“ war, das der Insel ihren Namen gab. Die Île de Ré ist bekannt für ihr Salz. Jährlich werden vor allem im nördlichen Teil der Insel bis zu 2000 Tonnen geerntet. Vom weißen Gold sprechen die etwa hundert Salzproduzent*innen, sogenannte „Sauniers“, aber heute längst nicht mehr. Vielmehr von einer Handwerkskunst – einem Savoir-faire, das sie stolz an die nächste Generation weitergeben. Noch heute wenden sie jahrhundertealte Techniken an, denn die Funktionsweise eines Salzgartens hat sich seit dem Mittelalter so gut wie nicht verändert: Tonbecken werden von den Sauniers mit Meerwasser gefüllt, dieses bahnt sich seinen Weg durch die Becken, und Wind, Sonne und Hitze erledigen den Rest – bis sich die Kristalle an der Oberfläche bilden und von den Salzarbeiter*innen abgeschöpft werden können. Tag für Tag. Die Saison ist von Mai bis September. „Mein einziger Chef ist das Wetter“, erzählt Michèle Jean-Bart mit einem Lächeln auf den Lippen.
Michèle Jean-Bart in ihrem „marais salants”, ihrem Salzgarten. Hier wird nach wie vor nach jahrhundertealter Tradition täglich um die 40 Kilogramm grobes Salz und – wenn der Wettergott mitspielt – am Abend das berühmte „Fleur de Sel“ geerntet. Die Salzfelder erstrecken sich vor allem über den nördlichen Teil der Insel, der zu 80 Prozent aus nicht-bebaubarem Land besteht.
Die 52-Jährige hat Geografie in La Rochelle studiert und im Laufe ihrer Diplomarbeit ihre Leidenschaft für den Salzanbau entdeckt. Nach fünf Jahren in Portugal kehrte die Halb-Réthaisin, so nennen sich die Inselbewohner*innen, zurück auf die Ré. „Es ist schon ein körperlich anstrengender Beruf, aber ich arbeite in der Natur und ganz nach meinem Rhythmus. Wir arbeiten eigentlich wie vor 900 Jahren. Das Einzige, was sich verändert hat, ist der Traktor“, erzählt die Naturliebhaberin Michèle. „Es gab schon vorher Frauen, die diesen Beruf ausübten – aber immer an der Seite ihres Mannes. Ich war die Erste, die sich ganz allein hier niederließ", erklärt sie mir im Gespräch. Ihr Salzgarten stammt aus dem 16. Jahrhundert und liegt kurz vor dem malerischen Dorf Ars-en-Ré. „Auch nach 20 Jahren freue ich mich jeden Tag über meinen Beruf und bin dankbar für die Magie, die mich umgibt. Manchmal passiert es, dass mich ein Naturschauspiel so fasziniert, sei es ein Sonnenaufgang oder ein Schatten auf dem Wasser, dass ich vergesse, die Wasserschleuse zu schließen. Ich liebe einfach diese komplette ,Osmose mit der Natur’, mit der ich tagtäglich arbeite“, so die Saunière, deren Gesicht strahlt, während sie mir ihre Geschichte erzählt.
„Wir sind ein bisschen wie Artisten. Wir versinken bei der Salzernte in Gedanken wie Philosophen. Wenn wir an den Beckenrändern mit den langen Rechen balancieren, gleichen wir Seiltänzern im Zirkus und wenn wir aus Wasser Salz machen, kommt es mir jedes Mal ein bisschen wie Zauberei vor“, schwärmt Michèle von ihrem Beruf.
Übrigens der beste Weg, diese Salzfelder zu entdecken, ist ein Besuch im Écomusée in Loix und eine Tour mit dem Rad vorbei an den zahlreichen Salzgärten – wobei wir auch gleich bei der nächsten Besonderheit dieser Insel wären: Fortbewegungsmittel Nummer 1 ist hier das Fahrrad. In jedem der Orte gibt es gleich mehrere Radverleihe. Mit Kindersitz oder Motor, die Auswahl ist groß und es ist für jede*n das Richtige dabei.
Einmal auf der Insel angekommen, tauschen auch wir das Auto gegen das Fahrrad, die Tasche gegen den Strohkorb und tauchen ein in die französische „Art de Vivre”. Das beste Gemüse gibt es am Markt – direkt von der Insel, versteht sich. Das frische Croissant holen die Kinder jeden Morgen aus der Boulangerie. Und falls wir mal keine Lust zum Kochen haben, gibt es zahlreiche nette Restaurants mit Spezialitäten der Insel.
Mehr als 130 Kilometer lang ist das Netz an Radwegen insgesamt und erstreckt sich über die ganze Insel. Und eines sei gesagt: Wer Urlaub mit Abwechslung liebt, wird auf dieser Insel sein Glück finden. Eine Radtour zu den belebten Märkten am Vormittag oder ein Ausflug zum Strand, Muschelsammeln bei Ebbe, ein Besuch des Leuchtturms der Wale, dem „Phare des Baleines“ mit einem fantastischen Blick über die Insel oder Wellenreiten an der Côte Sauvage, Bummeln durch die belebten Straßen von Saint Martin oder ein kulinarischer Halt bei einem der Austernheurigen.
Bei Wind und Wetter oder Sonnenschein – ja sogar, wenn es im Ferienmonat August mal zu Kolonnenverkehr auf dem Radweg kommt und die Radfahrerhorden an einem vorbei ziehen –, eines ist sicher: Ihre Magie verliert die Insel nie.
Und wer weiß, irgendwann bleib ich vielleicht dort…
Lieblingsadressen von Katharina
Marktbesuch und Mittagessen in Ars-en-Ré
Mein Lieblingslokal: La Tour du Sénéchal, 7 place Carnot, 17590 Ars-en-Ré
Ein Besuch des Leuchtturms „Phare des Baleines“
Hier gibt es auch das beste Eis der Insel und schon fast unmenschlich gute Waffeln: La Martiniere
Schwimmen bei La Conche
einem der schönsten Strände
Bummeln durch Saint Martin
Mein Lieblings-Shop: Magasin de la République. Bei der Rückfahrt ein Stopp beim Austernheurigen QG de la mer, Chemin les Salines, 17410 Saint-Martin-de-Ré
Facts zur Insel Ré
32 km lang, 5 km breit
138 km Radwege
100 km Küste
520 ha Austernparks
580 ha Weinreben
2700 Sonnenstunden im Jahr
jährlich werden ca. 2000 Tonnen Salz geerntet
Die Île de Ré ist die erste Insel, der im Juli 2012 das Label „Pays d’Art et d’Histoire” (Land der Kunst und Geschichte) verliehen wurde. Mit diesem Siegel zeichnet das französische Kulturministerium Gebiete aus, die sich aktiv um die Sensibilisierung für ihr Kulturerbe, ihre Architektur und ihr Lebensumfeld bemühen.
Anfahrt
Zug nach Paris – Zug nach La Rochelle – Bus Île de Ré
Flug nach Nantes oder Bordeaux und dann ca. 2 Std mit einem Mietauto bis auf die Île de Ré.
Die beste Reisezeit für die Insel ist zwischen Mai und Oktober, wobei der Juli der wärmste Monat ist. Die regenreichste Zeit ist zwischen November und Jänner.
Unsere Autorin
Katharina Chavanne begann nach einem Journalismusstudium in Wien als freie Mitarbeiterin beim ORF-Kulturradio Ö1. Frankophil seit Kindheitstagen verschlägt es sie 2009 nach Paris und in die PR. Als Expertin für den deutschsprachigen Raum betreut sie internationale Kunden in Green Beauty, Mode, Tourismus und Lifestyle. 2015 kehrt sie zurück nach Wien und gründet ihre eigene Kommunikationsagentur. Seit 2020 betreibt sie zudem den Blog PARVIE, der conscious Lifestyle, spannende Brands, Gründer*innen und die besten Adressen mit dem besonderen Etwas zwischen Paris und Wien aufspürt.