von Elisabeth Oberndorfer
Was tut man, wenn man plötzlich Geld hat? Vor dieser Frage stand ich vor einigen Jahren. Es war nicht so, dass ich plötzlich einen Haufen Geld geerbt hatte. Vielmehr kam das Vermögen schleichend, weil ich endlich gut verdient hatte und am Ende des Monats noch Geld übrig war. Da ich in einem Umfeld aufgewachsen bin, in dem das kaum der Fall war, stand ich vor ebendieser Herausforderung, mein Geld sinnvoll einzusetzen und daraus mehr zu machen. Und diese Herausforderung nehme ich unter den Frauen in meinem Umfeld immer mehr war. Wir arbeiten mehr als die Generationen vor uns, wir verdienen mehr, wir sprechen offener als je zuvor – trotzdem ist das Thema Finanzen noch immer ein schwieriges. Was mir geholfen hat, offen darüber zu sprechen und Geld aufregend zu finden, war die Suche nach weiblichen Vorbildern. Eine davon ist Sallie Krawcheck, die in den USA daran arbeitet, das Einkommensgefälle zwischen Männern und Frauen zu schließen. Aber nicht nur deshalb ist ihr beruflicher Werdegang für mich der einer Pionierin.
Als Frau in die Führungsebenen der Wall Street zu kommen, ist eine Seltenheit. Erst einmal, dann ein zweites Mal öffentlich gefeuert zu werden, und dann noch eine Karriere zu haben, noch viel mehr. Sallie Krawcheck nimmt die Tiefen ihres Berufslebens heute gelassen: “Wer kann schon sagen, gleich zwei mal mit einer Kündigung in den Schlagzeilen des Wall Street Journals zu stehen”, scherzt die Investmentbankerin heute bei öffentlichen Auftritten.
Wer in einer männerdominierten Branche so prominent scheitert und dann nicht von der Bildfläche verschwindet, ist widerstandsfähig.
Ihre Eltern rechneten damit, dass Krawcheck als Sekretärin in der Heimat arbeiten werde. Die 1964 geborene US-Amerikanerin nutzte jedoch nach dem Studium die Gelegenheit, an der Wall Street Berufserfahrungen zu sammeln. Dort kam sie so schnell nicht mehr weg. “In den 20ern war ich im Investmentbanking, und darin nicht unbedingt gut”, erinnert sie sich. So viel hatte Krawcheck wohl trotzdem nicht falsch gemacht, denn sie nahm erste Führungsrollen an – und weil manche Männer nicht eine junge Frau als Vorgesetzte haben wollten, verließen sie das Unternehmen.
Ich wusste, dass ich dafür gefeuert werde
Ihre Ausdauer brachte Krawcheck vor der Finanzkrise in die oberste Ebene der Bankengruppe Citigroup, wo sie unter anderem als CFO und CEO die Vermögensverwaltung verantwortete. Als dann 2008 der große Crash kam, wollte Krawcheck den Kunden Verluste zurückzahlen – weil die Finanzprodukte doch nicht so risikoarm wie beworben waren. Diese Moral kam bei der Vorstandsebene nicht gut an, und deshalb musste die “prominenteste Frau der Wall Street” gehen. “Ich habe das Richtige gemacht, und ich wusste, dass ich dafür gefeuert werde”, erklärt die Managerin, warum sie mit dem öffentlichen Jobverlust einigermaßen cool umgehen konnte.
Drei Jahre später kam dann der nächste Jobverlust: Krawcheck leitete die Vermögensverwaltung der Bank of America, als sie bei einer Restrukturierung weggekürzt wurde. “Ich wurde gefeuert, weil ich eine Frau war”, sagte die Wall-Street-Veteranin einmal rückblickend über diese zwei Kündigungen. Denn die Branche sei ein männliches System mit männlichen Regeln, zu oft habe sie als Vorwurf gehört, ehrgeizig zu sein. Dass sie in ihrer beruflichen Laufbahn natürlich auch sexuell belästigt worden sei, erwähnt sie nebenbei.
Für beide Abgänge erhielt Krawcheck Abfertigungen in Millionen-Höhe. Warum schreibe ich hier also über eine privilegierte, weiße, gebildete Frau mit beachtlichem Vermögen als Ikone? Sallie Krawcheck hat auf mehreren Ebenen Glasdecken durchbrochen und ihre eigenen Regeln geschrieben. Ihre Karriere als Frau in der Finanzbranche hätte hier enden können – an einem Punkt, wo nicht viele Frauen vor ihr überhaupt waren. Sie hat sich das öffentliche Scheitern jedoch zunutze gemacht und einen neuen Weg eingeschlagen.
Von der Bankerin zur Tech-Gründerin
Mit 50 Jahren startete Krawcheck nämlich ihre unternehmerische Karriere. In einer Zeit, wo Unternehmertum von jungen männlichen Studienabbrechern im Silicon Valley geprägt ist, sind weibliche Gründerinnen rar und das Risikokapital für ihre Geschäftsideen noch rarer.
Und so ist Krawcheck mit ihrem Alter und ihrer Geschäftsidee einmal mehr eine Seltenheit – denn sie gründete nicht ein traditionelles Unternehmen, sondern ein Tech-Startup. Ellevest nennt sie ihr Unternehmen, eine Anspielung auf das weibliche Investieren.
Von der alten Schule der Wall Street zu einer innovativen Finanzberatung für Frauen, könnte man diesen Schritt beschreiben. Ellevest ist ein Roboadvisor, also ein digitaler Finanzberater, der das Vermögen nach Wunsch der Kundin veranlagt. Denn wenn Krawcheck etwas aus ihrem bisherigen Leben gelernt hat, dann das: “Das Symbol der Wall Street ist ein Bulle, männlicher könnte es nicht sein.” Außerhalb von Manhattan sieht es jedoch kaum anders aus: “Die meisten Finanzberater sind männlich und über 50.” Da diese nicht auf die Lebensphasen und Bedürfnisse von Frauen eingehen können, hat Krawcheck eine “Gender Investing Gap” identifiziert. Ellevest fragt deshalb Kundinnen, welche finanziellen und persönlichen Ziele – wie etwa Hauskauf oder frühzeitiger Ruhestand – sie erreichen möchten und entwickelt auf Basis dieser Angaben individuelle Anlagepakete.
Damit greift Krawcheck ein Thema auf, vor dem noch zu viele Frauen zurückschrecken: finanzielle Vorsorge, finanzielle Freiheit. “Geld ist Macht”, betont die Unternehmerin gerne. Ich selbst wiederhole diesen Satz mittlerweile oft, doch lange war ich unsicher, ob andere mich deshalb für gierig halten würden. Wie viele Mädchen und junge Frauen bekam ich immer wieder zu spüren, dass man nicht über Geld reden sollte.
Doch Geld bedeutet nicht immer gleich Gier, besonders Frauen haben eine sehr bewusste Einstellung zum Vermögen. Wer mitentscheiden und die Zukunft mitgestalten will, braucht Macht – und diese Macht kommt durch Geld, weiß Krawcheck.
Passt diese Einstellung mit Feminismus zusammen, der oft links und sozialistisch ist? Krawcheck steht für den “finanziellen Feminismus”, einer Bewegung, die konservative und progressive Ansichten vereint.
Seit der Gründung von Ellevest predigt Krawcheck diese Ansichten, und schön langsam finden sie Anklang in der Masse. Gerade die Pandemie hat dazu geführt, dass Menschen sich viel mehr mit den eigenen Finanzen beschäftigen und erste Schritte beim Investieren machen. Der Aufstieg von Online-Brokern und Trading-Apps wie Robinhood hat in den vergangenen Monaten zu einer richtigen Goldgräberstimmung am Aktienmarkt geführt, die einmal mehr männlich angetrieben ist. Ellevest soll dabei eine vernünftige Alternative für Frauen sein, denn immerhin sind diese von der Wirtschaftskrise besonders betroffen.
Weibliche Rezession
“Wir befinden uns in einer She-cession”, meinte Sallie Krawcheck vor einigen Monaten im Hinblick auf die Rezession in den USA. Die hohe Arbeitslosigkeit treffe vor allem Frauen und werde die ungleiche Verteilung des Vermögens noch weiter vorantreiben, befürchtet die Ellevest-Gründerin. Für sie ist es nicht die einzige Krise, die sie hautnah miterlebt, doch als Unternehmerin spürte auch sie zu Beginn der Pandemie die Unsicherheit. Das Startup änderte daraufhin sein Geschäftsmodell, um für Frauen noch mehr als nur ein Finanzprodukt zu sein, Ellevest setzt seither besonders auf Information und Wissensvermittlung. Und dieses dürfte ankommen, denn die meisten Kundinnen haben ihr Geld in der Krise nicht zurückgezogen, sondern noch mehr in ihre Ellevest-Konten gesteckt.
Auch wenn die Unternehmerin im deutschsprachigen Raum nicht so bekannt ist, wie in den USA, hat sie mit ihrer Mission einen Trend losgetreten. In Deutschland und Österreich werden Frauen immer gezielter beim Thema Finanzen angesprochen.
“Wenn die Vermögenslücke geschlossen wird, wird die Gesellschaft fairer. Und die Wirtschaft kann dadurch stärker werden”
So fasst Krawcheck ihre Mission zusammen. Das mag naiv klingen, aber einer Frau, die trotz mehrmaligen Scheiterns noch immer Erfolge feiert, ist das zuzutrauen.
Wenn du mehr über Sally Krawcheck wissen möchtest, findest du hier ein interessantes Video.
Die Autorin
Elisabeth Oberndorfer begann ihre journalistische Karriere als Redakteurin in der Innenpolitik bei der österreichischen Tageszeitung „Der Standard”.
Nach einem Ausflug in die Agenturwelt verantwortete sie als stellvertretende Chefredakteurin die Online-Portale eines Fachverlags. Danach berichtete sie als freie Korrespondentin im Silicon Valley für Medien wie Wired über Wirtschaft und Technologie. Bei einem Medienprojekt von Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz verantwortete sie als Chefin vom Dienst den Launch des Mediums und war als Head of Digital Products die Schnittstelle zwischen Redaktion und Technologie.
Im Frühling 2020 startete sie den Smart Casual Newsletter, der dreimal pro Woche über Wirtschaft und Technologie informiert. Als Beraterin entwickelt sie neue Digitalformate und Geschäftsmodelle für Medien.
Links: www.elisabethoberndorfer.com und www.smartcasual.at
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