von Lisa Reinisch
Schon einmal von einer “Maternity Nurse” oder “Night Nanny” gehört? In vielen Teilen der Welt holen sich Familien diese Fachkraft für Säuglingspflege ins Haus, speziell für die hektischen ersten Wochen und Monate nach der Geburt eines Babys. Auch in unseren Breiten entscheiden sich immer mehr Eltern dafür, die Nachtschicht zumindest vorübergehend an eine professionelle Baby-Betreuerin abzugeben, unter anderem weil immer mehr Frauen offen über chronischen Schlafmangel und Babyblues sprechen oder sich beruflich dazu entscheiden (müssen) eine viel kürzere Babypause einzulegen. Doch die Ansicht, dass ein Neugebornes nur von der engsten Familie umsorgt werden soll, sitzt tief.
Das Preisgekrönte Drama “Tully”, mit Charlize Theron, und TV-Serien wie “Milcheinschuss” oder “Workin’ Mums” haben die Alltagsbelastungen von Müttern direkt nach der Geburt mit psychologischem Tiefgang und haarsträubendem Humor beleuchtet. Die Auswirkungen von Schlafentzug, Karriere-Einbußen und postnatalen Gefühlsschwankungen sind längst kein Tabu mehr. Für Familien, die sich einen derartigen Service leisten können, kann eine Maternity Nurse oder Maternity Nanny die Antwort auf die nächtlichen Stossgebete aller frischgebackenen Eltern sein. Ebenso bei Mehrlingen, Baby Blues oder dem Wunsch bzw. der Notwendigkeit, so bald es geht wieder zu arbeiten. Langsam aber doch entwickelt sich eine neue Sichtweise auf den Pflichtteil der Mutter nach der Geburt.
Allerdings geschieht diese Veränderung nicht von heute auf morgen. Denn ob und wie sich eine zusätzliche Bezugsperson in den ersten Lebensmonaten auswirkt, ist auf Onlineforen und am Spielplatz ein heißes Thema. Eltern, die sich heute für eine Maternity Nurse oder eine Maternity Nanny entscheiden (bei Stundenhonoraren ab 25 Euro übrigens keine unerhebliche Investition in das eigene Wohlbefinden) berichten häufig, dass sie Gegenwind aus dem Umfeld erfahren. In diesem gesellschaftlichen Kontext geht es für die Eltern nicht nur um eine Umstellung der Erwartungshaltung an sich selbst, sondern auch um die Überwindung des schlechten Gewissens, weil man den “einfachen” Weg gewählt hat.
Spricht man jedoch mit Familien, die sich eine Maternity Nurse geleistet haben, gibt es für die Begeisterung keine Grenzen, vor allem wenn sich eine positive persönliche Beziehung zwischen Mutter und Säugling-Betreuerin entwickelt hat. Ist das Trio aus Mutter, Vater und Maternity Nurse gut aufeinander eingespielt, können die Eltern (auch mit Profi-Unterstützung) die intensiven ersten Wochen und Monate mit ihrem Neugeborenen vollauf geniessen. Entwicklungspsychologen wie Jesper Juul ermuntern Eltern seit Jahren dazu, sich bewusst zu entlasten: “Kindererziehung ist für manche ein Leistungssport. Das ist ja unerträglich.” Doch die Unsicherheit sitzt tief: ist es wirklich in Ordnung, diese traditionellen Elternpflichten out zu sourcen? Und was genau bedeutet es also, sich während des Wochenbetts Unterstützung von außen zu holen?
Martina Schmidbauer, eine sogenannte non-medical Maternity Nurse aus Österreich, kümmert sich seit 13 Jahren um Neugeborene und hilft damit Familien aus aller Welt, gegen Schlafmangel, Stress und Baby Blues nach der Geburt anzugehen. Ihr Klientel inkludiert Königsfamilien und Tycoone, aber auch ganz gewöhnliche Familien. Hier spricht sie mit uns über ihre Erfahrungen als hoch gefragte Unterstützung für Familien mit Neuzuwachs.
Wie bist du zu einer Maternity Nurse geworden?
Zuerst habe ich die Ausbildung zur diplomierten Kindergartenpädagogin gemacht. Doch mir wurde schnell klar, dass die Arbeit in einem Kindergarten oder einer Kinderkrippe nicht das Richtige für mich ist. Ich gehe sehr gern individuell auf ein Kind ein, aber bei einer Gruppe mit 25 Kindern, ist das manchmal nur schwer möglich. 2006, habe ich eine Stelle in einem Privathaushalt in Wien bekommen. Ich war damals 23 Jahre alt und fand das ganz toll, ganz anders. Zwei Jahre später hatte ich das Glück, mit einem Neugeborenen arbeiten zu dürfen. Ich habe zwar drei jüngere Geschwister und habe da viel mitgekriegt, aber so im 24-Stunden-Dienst, das war dann schon ganz etwas Anderes. Und so bin ich, wie es eben bei uns, im deutschsprachigen Raum, üblich ist, als Quereinsteigerin in den Nanny-Beruf gekommen.
Weil ich gerne auch international arbeiten wollte, bin ich auf die englischen Nanny-Agenturen gestossen, wo ich dann auch den Ausdruck “Maternity Nurse” gehört habe. Ich fand diese Konzentration auf die ersten Lebensmonate super. Ich habe das gesehen und mich sofort für die Ausbildung beworben, die bei diesen Agenturen auch notwendig ist. Und seither habe ich mich mit vielen Weiterbildungen immer mehr auf die Neugeborenenbetreuung spezialisiert.
Was unterscheidet eine Maternity Nurse von einer Maternity Nanny?
Eine Maternity Nurse arbeitet selbstständig und ihr Einsatz ist zeitlich befristet: meistens bleibt sie, ab der Geburt, für die ersten 12 Wochen bei der Familie. Sie ist hochqualifiziert in der Säuglingsbetreuung. Viele, so wie ich, haben eine internationale Ausbildung als Maternity Practitioner (auch non-medical Maternity Nurse genannt) oder als Newborn Care Specialist. Hier im deutschsprachigen Raum gibt es auch (Kinder-)Krankenschwestern, die in den Privathaushalt wechseln. Wir bieten verschiedene Betreuungsmodelle: Tag-, Nacht- oder 24h-Betreuung, wobei wir nur für den Säugling/die Säuglinge verantwortlich sind, also keine Geschwisterbetreuung oder Haushaltsaufgaben.
Eine Maternity Nanny ist fest angestellt und braucht nicht zwingend eine Ausbildung in der Säuglingsbetreuung. Sie hat Berufserfahrung mit Babys und startet üblicherweise nach der Maternity Nurse, beziehungsweise wenn das Baby schon etwas älter ist, ab drei Monaten. Sie bleiben oft länger bei den Familien (ein bis zwei Jahre), betreuen bei Bedarf auch ältere Geschwisterkinder und den Haushalt. Wenn sie nur nachts im Einsatz sind, nennt man das Night Nanny/Nacht-Nanny.
In England hat private Kinderbetreuung einen ganz anderen Stellenwert. Schon 1892 wurde dort das berühmte Norland College gegründet und bildet seither die Top Nannys aus. Im deutschsprachigen Raum fehlen noch immer spezielle Ausbildungen, hier wird man als Quereinsteigerin im Privathaushalt tätig. Im Idealfall mit pädagogischem oder medizinischem Background, sei es als Krankenschwester, Lehrerin oder, so wie ich, als diplomierte Kindergartenpädagogin und Horterzieherin.
Wo hast du schon gearbeitet?
Zweimal schon in den Vereinigten Arabischen Emiraten, dann noch in Australien, England, der Schweiz und Deutschland. Viele Stellen sind bei Familien, die viel reisen und die es auch nach dem Baby weiter so halten. Ich war also viel mit den Familien unterwegs, zum Beispiel in Jordanien, Frankreich, Spanien, oder auch in der Karibik – man kommt teilweise ziemlich viel herum.
Warum sind Maternity Nurses bei uns nicht so verbreitet?
Wenn ich beim Friseur erzähle, was ich beruflich mache, heisst es oft “Oh, Gott! Ich gebe doch mein Baby nicht jemandem fremden!” oder “Das können doch die Grosseltern machen!” Klar, da gibt es ja das alte afrikanische Sprichwort: “It takes a village to raise a child (Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen). Klingt natürlich super, wenn es da ein großes Netzwerk gibt - Tanten, Onkel, Großeltern - das einen da unterstützt, gerade während der Wochenbettzeit. Aber viele Familien haben das dann doch nicht. Und dann ist da noch immer die Meinung, wenn alle anderen Mütter es alleine geschafft haben, wirst du es wohl auch schaffen.
"Klar kann man es auch alleine schaffen, aber nur wie? Was steht dafür, dass sich die Mama dann wochenlang, monatelang durch den Tag schleppt, auch was die Betreuung der Geschwisterkinder betrifft? Da muss man ja trotzdem tagsüber fit sein. Das ist halt eben noch das alte Familienbild, aber das ändert sich."
Für die Mutter entsteht dann der Druck: entscheide ich mich für das Kind oder für die Karriere? Das ist ein Entweder-Oder. Warum kann es keinen Zwischenweg geben? Ich finde das kann man auch von den Müttern nicht verlangen, dass sie jedes Mal ihre Karriere auf Eis legen, wenn ein Kind kommt. Auch bei uns gibt es Mütter, die Karriere gemacht haben oder ein Business führen. Das sind Mütter, die gerne schnell wieder in den Beruf zurück wollen oder eben auch einfach müssen.
In anderen Regionen gibt es das schon lange, dass sich Familien Maternity Nurses holen, und zwar wirklich die top-ausgebildeten, oft aus Europa oder Australien. Da wird ganz genau geschaut, wer die Familie bei der Betreuung der Kinder unterstützt.
Wo sind Night Nannies am verbreitetsten?
In England hat das schon eine lange Tradition, da gibt es ja auch nicht so einen langen, bezahlten Mutterschaftsurlaub wie bei uns. Da ist es eben auch eher üblich, dass man sich eine Maternity Nurse holt; je nach Budget, auch nur für zwei Nächte. Einfach, um ein bisschen Unterstützung zu haben, sich ein bisschen ausruhen zu können. Gerade in den ersten Wochen nach der Geburt. Auf der anderen Seite hat man dann Regionen wie den Mittleren Osten, oder auch Russland, wo es Familien gibt, die sich eine Maternity Nurse gleich für das ganze erste Lebensjahr holen. Da geht es wirklich um 24/7-Betreuung, wo es ein Team von Maternity Nurses gibt, neben den Nannies für die Geschwisterkinder.
Wer sind deine Klienten?
Ich habe schon für königliche Familien gearbeitet aber unter meinen Klienten sind auch ganz durchschnittliche Familien, die sich sagen: “Okay, dieses Jahr gibt es keinen Urlaub, aber wir investieren das Geld einfach in uns selbst, damit wir gut über die Zeit mit dem neuen Baby kommen.” Es ist alles möglich, je nach Budget.
"Es geht nicht immer um eine 24-Stunden Betreuung, wie ich sie oft mache; es können auch einzelne Nachteinsätze sein."
Grundsätzlich werde ich schon recht früh angefragt, meistens noch während der Schwangerschaft, im 2. Trimester. Aber es gibt auch kurzfristige Anfragen, wo die Eltern nach der Geburt merken, dass der Schlafmangel ihnen zu viel wird. Auch wenn die Väter die Partnerin gerne unterstützen möchten, es aber berufsbedingt vielleicht nicht so können. Da können ein paar Nächte Schlaf schon einen grossen Unterschied machen. Auch Eltern, die zum ersten Mal ein Kind bekommen und familiär keine Erfahrung mit Babies haben, suchen sich dann jemanden, der für sie da ist, wenn sie Fragen haben.
Wird der Effekt von chronischem Schlafmangel von vielen Menschen unterschätzt?
Viele denken sich natürlich: “Na, es wird schon gehen.” Aber vor allem, wenn es schon Geschwisterkinder gibt, merkt man dann doch, dass es mit zwei Kindern nicht einfach ist. Bei einem Kind kann man auch einmal den ganzen Tag im Pyjama bleiben. Aber wenn dann das ältere Kind in den Kindergarten oder in die Schule muss, ist eine ganz andere Tagesroutine da.
"Schlafmangel über mehrere Wochen ist nicht ohne, führt zu Reizbarkeit, Stress, das Immunsystem wird geschwächt und auch der Stoffwechsel leidet. Eine Studie hat gezeigt, dass es nach der Geburt des ersten Kindes bis zu sechs Jahre dauern kann, bis die Eltern wieder halbwegs wie davor schlafen können."
Wie kommst du selbst mit Schlafmangel zurecht?
Während einem Einsatz mit Nachtbetreuung ist das so, dass ich Vormittags nach schlafe, da stellt sich der Körper recht schnell darauf ein und das klappt ganz gut. Zweimal im Jahr versuche ich dann, mir etwas länger frei zu nehmen, denn für mich persönlich habe ich festgestellt, dass der Körper das einfach braucht. Man braucht eben zwischendurch dann doch Pausen, damit sich der Biorhythmus erholen kann.
Wie sieht eine Nachtschicht bei dir aus, kannst du uns ein Beispiel geben?
Bei einer Familie in Deutschland sah das so aus: ich war für die ersten 12 Lebenswochen fix sechsmal die Woche, jeweils für 12-stündige Nachtschichten gebucht. Ich bin immer um 20:00 zur Familie gekommen und bis 8:00 morgens geblieben. Zuerst habe ich das Baby übernommen und bin mit ihm ins Zimmer gegangen, damit die Eltern ein bisschen Zeit für sich hatten. Das Baby wurde am Anfang voll gestillt, da habe ich der Mama das Baby dann immer gebracht, wenn es so weit war. Nach einiger Zeit habe ich dann ein Fläschchen mit abgepumpter Milch für die Nacht eingeführt. Ab dann hat die Mutter bis zirka 23:30 gestillt, danach gab es in der Nacht die abgepumpte Milch im Fläschchen. So hatte die Mutter einen längeren Zeitraum, zirka sechs Sunden, für sich. Je älter das Baby wird, desto länger kann die Mutter schlafen.
Wie sieht es mit den Kosten aus?
Das ist von Land zu Land unterschiedlich. In der Schweiz ist zum Beispiel das Mindestgehalt allein schon viel höher als in Deutschland und Österreich. Also am günstigsten kommt es einer Familie in Graz, denn da verbringe ich meine Freizeit zuhause und das hat für mich natürlich schon einen Stellenwert. Als Anhaltspunkt: Bei reiner Tag- oder Nachtbetreuung stelle ich mein Honorar stündlich in Rechnung. Bei Rund-um-die-Uhr Betreuung wird eine Tagespauschale vereinbart. Je nach Einsatzort geht es dann ab €25 brutto pro Stunde los.
Wie ist es für eine Königsfamilie zu arbeiten?
Also in dem Fall ist es so, dass ich nicht diese intensive Beziehung zu den Klienten aufbauen kann, vor allem zur Mutter, wie ich es im Normalfall tun würde. Dort bist du dann eine von vielen, in einem Team von Kinderbetreuungspersonal. Mit der Mutter hat man dann eher weniger zu tun, vor allem wenn die Babys Fläschchen bekommen. Wenn es etwas zu besprechen gibt, wird einem das von der Hausmanagerin mitgeteilt, die das ganze Personal managt. Da wird auch vertraglich genau geregelt, was man darf und was nicht, zum Beispiel ob man Fotos von den Kindern machen darf oder ob man eine Uniform tragen muss. Das Gleiche trifft auch bei Familien zu, die nicht adelig sind, aber eben etwas mehr in der Öffentlichkeit stehen. Da gibt es dann ein genaues Protokoll, wie alles abzulaufen hat. Für mich ist das immer eine ganz besondere Erfahrung, immer interessant. Aber schöner finde ich es, wenn man eine engere Beziehung zu den Familien aufbauen kann.
Wie erlebst du die Eltern, während der Zeit bei ihnen? Gibt es da Ängste von Müttern?
Gerade beim ersten Kind haben viele Eltern Angst, etwas falsch zu machen, sind mit der neuen Situation oft überfordert und stoßen an ihre Grenzen. Da beruhigt es sehr, wenn ihnen eine erfahrene Fachkraft für Neugeborenenpflege mit Rat zur Seite steht.
Natürlich ersetze ich nie die Mutter, vielmehr unterstütze ich die frischgebacken Eltern dabei, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen. Nach einem Kaiserschnitt z.B. ist es für die Mutter sehr hilfreich, wenn sie nachts nicht selbst das Baby aus dem Bettchen heben/aufstehen muss. Übernehme ich die Nachtbetreuung sind die Eltern gut erholt und ausgeschlafen, um tagsüber voll und ganz für ihr Baby (und die Geschwisterkinder) da zu sein.
"Ich finde, wer auch immer diese Art der Unterstützung benötigt und sie sich holt, handelt verantwortungsvoll und in Liebe zu sich selbst, wie auch zum eigenen Kind. Dem Kind kann es immer nur so gut gehen wie der Mama selbst! Vorsorge in Punkto Selbstfürsorge ist besser als Nachsorge."
Ich sorge dafür, dass diese ersten Wochen mit dem neuen Baby eine ganz besondere Zeit werden.
Im Gespräch mit
Martina Schmidbauer ist seit 15 Jahren in Privathaushalten als Nanny und sogenannte Maternity Nurse im In- und Ausland tätig. Martina hat sich auf die Neugeborenenpflege spezialisiert und unterstützt Eltern in den ersten Monaten nach der Geburt für einen reibungslosen Übergang zur Elternschaft.
Sie hat eine Vielzahl von Ausbildungen für die Neugeborenenbetreuung, unter anderem den “Level 4 OCN Maternity Practitioner Award” vom renommierten Londoner MNT Institut und eine akkreditierte Ausbildung zum “Newborn Care Specialist”. Außerdem ist sie Spezialistin für die Betreuung von Mehrlingen und für Babymassage.
Vor Kurzem wurde sie in das “Elite Newborn Care Specialist Program 2022” aufgenommen.
Kontakt: www.martinathematernitynurse.com oder Instagram