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Die Magie des Anfängergeists – 30 Tage Anfänger sein. Ein Selbstexperiment.


TEXT: LISA ASCHENBRENNER


Never have I ever… ja was denn eigentlich? Was habe ich denn noch nie getan? Im Berghain getanzt, nach Bali geflogen oder auch meinem Grundschullehrer die Meinung gegeigt. Ich glaube, die Liste der Dinge, die ich noch nie getan habe, ist länger als der Jakobsweg – der auch auf meiner Liste steht. Eh klar.  


Was macht Unerlebtes so besonders? Genau das. Ich habe es noch nie erlebt.

Foto: pexels Gabriel Augusto
Foto: pexels Gabriel Augusto

Die Magie des Anfängergeists


Was ist bei Dingen, die ich noch nie getan habe, denn eigentlich anders? Was macht Unerlebtes so besonders? Genau das. Ich habe es noch nie erlebt. Ich weiß nicht, was passiert. Ich habe vielleicht eine Vorstellung. Eine Vision, wie es sein könnte. Und doch ist  alles, worauf ich mich neu einlasse, erstmal neu. Aufregend. So wie das erste Mal Schnee.  

Ich glaube, kindliche Neugier ist etwas, das uns im Alltag ganz oft fehlt. Vollkommen wertfrei an etwas heranzutreten. Eine Erfahrung zu machen, so wie sie eben ist, und mit allem, was dazu gehört. Diese Meinung teilen auch Lea-Martine Lotz und Laura Clarissa Daume. Die beiden haben ihrem Anfängergeist sogar einen Podcast gewidmet. Als „CEOs of Trying“ begeben sie sich alle zwei Wochen in neue Selbstexperimente und teilen absolut ehrlich ihre Erfahrungen miteinander und den Hörer*innen. Von Fremde anlächeln über Tarot-Karten, Eiskammer und Rückführungen. Die beiden probieren sich aus, als gäbe es kein Morgen. Und das inspiriert.  



Wie kann ich Neues ausprobieren?


Es inspiriert mich dazu, eine Liste anzufertigen. Dabei bin ich kein Listenfan, denn die  meisten verlieren sich im Nirgendwo. Irgendwo zwischen „ich müsste mal“ und „ich würde  so gerne“. Aber diese hier soll anders werden. Dieser Liste soll es an den Kragen gehen. Oder viel mehr ans Abhaken. Meine Liste soll mich 30 Tage lang aktiv in den Anfängergeist  bringen. Nicht unweigerlich mit 30 verschiedenen Dingen (auch wenn auf meiner Liste mehr als 30 Dinge stehen). Mit dabei: Instagram vom Handy löschen, zum Ballett gehen, mich weniger entschuldigen und allein auf ein Dinnerdate gehen. Ohne Buch, Handy oder Kopfhörer.

Während ich diese Zeilen schreibe, habe ich erst fünf Experimente „erledigt“ oder vielmehr  erlebt. Denn ich habe ihn erlebt. Den Anfängergeist. Das fabelhafte Gefühl von „ich möchte es probieren“ anstelle von „ich möchte es erreichen“. Das ist es, worum es auch Laura und Lea geht. Wenn ich etwas mit Anfängergeist beginne, ist da erstmal nichts. Auch nichts Schlechtes. Keine Erwartungen. Kein Ziel, bei dem mir bereits vor dem ersten Schritt die Puste ausgeht. Es geht um die Erfahrung, die ich mache. Und das bedarf einer neuen Haltung

„Wir haben unsere Haltung grundlegend verändert. Früher sind wir oft passiver durchs Leben gegangen. Der Erfolg war für uns das Ankommen, das Erreichen eines Ziels – der Prozess selbst hatte wenig Bedeutung. Doch das hat sich gewandelt: Heute ist der Prozess das Magische. Mit dem Anfängergeist im Fokus haben wir gelernt, nicht nur Ergebnisse, sondern den Weg dorthin zu schätzen. Diese Einstellung hat uns neugieriger, offener und mutiger gemacht. Sie hat uns gelehrt, dass im Unbekannten oft das größte Wachstum liegt.“ (Laura und Lea von „CEOs of Trying“) 

Ja, das Unbekannte kenne ich gut. Es begegnet mir meist im Schreibprozess. Und mir fällt  auf, ohne den Anfängergeist ist der Nervenzusammenbruch immer vorprogrammiert. Und glaubt mir, ich spreche aus Erfahrung. Genau das zu erschaffen, was noch gar nicht existiert, erscheint schier unmöglich. Neues kreieren wir im Prozess und das braucht Vertrauen. Gleichzeitig ist da diese Angst vor dem Scheitern. Oder vor dem Sich-blamieren. Das ungute Gefühl von „Oh Gott, ich mache gleich bestimmt einen Fehler und jeder sieht es“.  




To do Liste
Foto: Pexels Suzy Hazelwood

Die Komfortzone verlassen


„So what“, sage ich mir und meiner Mitbewohnerin, als wir uns gemeinsam auf den Weg in  die Ballettstunde machen. Nur 30 Minuten später sitzen wir wieder zu Hause und halten uns die Bäuche vor Lachen. Denn wir wurden wirklich nach Hause geschickt. „Falscher Kurs“ heißt es kurz angebunden mit gekräuselten Lippen von der schnippischen Prima Ballerina ganz vorne am Spiegel. Sie ist offensichtlich kein Fan des Anfängergeistes. Ich verbuche es nicht als Reinfall. Eher als ein Paradebeispiel für Scheitern mit Humor. 

Wer definiert überhaupt Scheitern? Ist Trying ein bewusstes Reframing? 

Aufstehen statt Hinfallen. 

Versuchen statt Scheitern. 

Neugierde statt Unwissen. 


Wenn ich so denke, ist das Scheitern plötzlich essenziell, um weiterzukommen. Um mich zu  entwickeln. So wie die CEOs es beschreiben. Als Kind ist es normal, auf den Hintern zu  fallen, bevor wir laufen können. Warum erwarten wir von uns als Erwachsene, alles von Anfang an perfekt zu können? Wie kann es sein, dass wir vieles unterlassen, einzig und allein deshalb, weil wir Angst vor dem Scheitern haben? Angst davor, dass das Außen es als Scheitern bewertet? Wie wäre es denn, wenn der Anfängergeist zum guten Ton gehören würde? Und zwar jenseits des Kindergartens. 

Neues auszuprobieren lockt aus der eigenen Komfortzone. Die Zone, die wir uns mit  Routinen, Gewohnheiten und Mustern so gemütlich eingerichtet haben. Das mag für viele unangenehm klingen. Man könnte es auch liebevoll „aktives Umräumen” nennen. Ich persönlich verschiebe fast im Zweiwochentakt meine Möbel von der einen in die andere Ecke. Fabelhaftes Gefühl! 


„Wie könnte man euren Anfängergeist am besten beschreiben?”, frage ich Laura und Lea. „Gibt es einen Filmcharakter, der verkörpert, wie ihr euch als CEOs of Trying fühlt?” „Billy Elliot“ ist die spontane Antwort der beiden – das schreit glatt nach einer Wiederholung meiner Ballettstunde! Aber ja, die Antwort passt. „Der Charakter verkörpert das, was unseren Anfängergeist ausmacht: den Mut, neue Wege zu gehen, gegen Widerstände anzutreten und dabei die eigene Leidenschaft zu finden.“ 

Mut, Selbstbewusstsein und für sich einstehen. Das sagt auch die Tarot-Karte, die ich mir für diesen Artikel ziehe. Mein Weihnachtsgeschenk, das by the way schon sehr lange auf meiner Trying-Liste stand. Sieben der Stäbe: Es ist an der Zeit, dir ein dickes Fell gegen die Außenwelt zuzulegen. Die  Meinungen, Aussagen und Wertvorstellungen anderer sollten dich gerade kaltlassen, weil sie oftmals – selbst wenn lieb gemeint – nichts für dich tun. Sie könnten dich sogar negativ  beeinflussen, wenn du dich abhängig von der Validierung anderer machst und den für dich  richtigen Weg aus den Augen verlierst. 




Fotos: CEOs of Trying: Lea-Martine Lotz & Laura Clarissa Daume



Wenn es um „nichts“ geht außer dem (Er)Leben, dann bringt mich jede Erfahrung weiter.


Mut zur Veränderung


Und vielleicht ist der „richtige“ Weg in dem Fall auch schon zu einschränkend. Ich glaube auch, wir müssen lernen und immer wieder neu in Frage stellen, was „richtig” überhaupt für uns bedeutet. Uns aktiv auf (unvorhergesehene) Veränderungen einlassen. Uns ausprobieren. Es ausprobieren. Das Leben. 

„Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man bekommt.“ Wir lieben  dieses Zitat aus Forrest Gump. Diese Unvorhersehbarkeit des Lebens ist genau das, was unseren Anfängergeist ausmacht: die Bereitschaft, immer wieder ins Unbekannte zu springen und dabei die Leichtigkeit zu bewahren. Das Leben als Experiment zu sehen, eröffnet unendliche Möglichkeiten.“ (Laura und Lea von CEOs of Trying) 


Mit dieser Haltung werden aus Problemen Herausforderungen und aus Scheitern wird eine  Erfahrung. Der Anfängergeist ist ein Raum, in dem ich mir selbst neu begegnen kann. Einem Selbst, das Lebensfreude spürt, vor Neugierde nur so strotzt und gleichzeitig immer wieder zu einer Ruhe zurückkehrt. Wenn es um „nichts“ geht außer dem (Er)Leben, dann bringt mich jede Erfahrung weiter. Formt mich, macht mich reifer und reicher. Reich an einem prall gefüllten Erfahrungsschatz. 

Größtes Learning für mich? Sich öfter darüber bewusstwerden, was für ein absolutes Privileg es ist, scheinbar unüberwindbare Grenzen nur im eigenen Kopf zu haben. Denn mal ganz ehrlich: Was kann mir im schlimmsten Fall passieren, wenn ich mal ein neues Gericht im Restaurant bestelle? Eben. Und im Übrigen habe ich mich schon für die nächste Ballettstunde angemeldet. In einem anderen Studio. Ich bin gespannt. 



Meine Liste an Selbstexperimenten (ein Ausschnitt):


  • „Entschuldigung“ nicht mehr nur aus Gewohnheit sagen. Weniger entschuldigen, wo es keine „Schuld“ gibt. 

  • Sport als intuitive Bewegung, nicht als „Shaping“-Methode. 

  • Den Tag füllen ohne Pflichten. 

  • Mehr Antworten auf die Frage finden „Was brauche ich gerade?“. 

  • Essen nicht in „gut oder schlecht“ einordnen. 

  • Zugfahrt ohne Ablenkung. 

  • Dinner mit mir selbst ohne Buch und Handy. 

  • Instagram vom Handy löschen. 

  • Ballettklasse besuchen. 

  • Mit nur einem Buch verreisen. 

  • 3 Linkedin-/Instagram-Kontakte knüpfen pro Monat, die mir nachhaltig wertvoll  erscheinen; 3 Linkedin-/Instagram-Kontakte löschen, die mir nichts bringen. 

  • Nur 1x am Tag E-Mails checken. 

  • Ins Freibad gehen (das ist schon lange erledigt und gehört mittlerweile zu meinen  absoluten Lieblingsorten). 

  • Solo-Wochenend-Trip.  

  • 30-60 Minuten am Tag einfach nur sitzen und „nichts tun“. 

  • Endlich Ramen probieren. 


To be continued…



 

Unsere Autorin


Lisa Aschenbrenner
Foto: Hannes Thun

Lisa Aschenbrenner ist leidenschaftliche Alltagsphilosophin mit Talent für wilde Farbkombinationen, und systemische Coachin, die das Wort Coach ganz schrecklich findet, Fragen aber liebt. Mit Leidenschaft und gerne ehrlich schreibt sie über ihre täglichen Struggles auf der Suche nach dem Glück. Sie lebt irgendwo zwischen München und Berlin, schreibt im Kopf bereits ihr erstes Buch in NYC und arbeitet als Texterin & Concepterin. Ihr Credo? „Worte sind meine Kunst. Meine Poesie. Mein Wegweiser. Ich bin davon überzeugt, dass Worte die Welt verändern. Und deshalb teile ich meine.“

Ihre wöchentliche Substack-Kolumne „The weekly {B}LA” gibt es hier.

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