Unter vier Augen mit der Diversity Managerin Dr. Alina Gales
TEXT & INTERVIEW: LISA ASCHENBRENNER
Braucht es das? Diese Frage kommt nicht selten in Bezug auf das Thema Diversität. Oder in Bezug auf einzelne Maßnahmen, die dafür sorgen sollen, dass wir Menschen formal gleichgestellt sind, egal woher wir kommen, welchem Geschlecht wir uns zugehörig fühlen, wie wir aussehen oder welche Bildung wir erhalten haben. Aber kann es bei einem Thema, bei dem es um die Vielfalt der Menschen geht, wirklich eine einfache Antwort geben? Diese Frage und noch ein paar mehr stellt sich unsere Autorin Lisa Aschenbrenner. Antworten findet sie im Interview mit Dr. Alina Gales, der Diversity Managerin der Technischen Universität München (TUM).
Wird ein Sternchen jemals reichen?
Diversität ist eines der Themen der Stunde. Und es betrifft uns alle, selbst wenn so manch einer (oder eine) offenbar „dieses Gendern überhaupt nicht braucht“. Dabei ist Diversität unglaublich persönlich. Es geht um uns als Mensch. Wie wir uns selbst wahrnehmen, wie uns unsere Umwelt wahrnimmt und was das mit uns macht.
Ich gebe offen zu: Auch ich habe mich manchmal gefragt, ob wir das „wirklich brauchen“. Nicht die Gleichberechtigung und das Gleichbehandeln aller Menschen, sondern manche Maßnahmen, wie zum Beispiel das Sternchen oder den Doppelpunkt. Und ist eine Frauenquote wirklich das, was den Unterschied macht?
Kann es auf die Frage, was es wirklich für gelebte Diversität braucht, eine einfache Antwort geben? Wenn Diversität für Vielfalt steht, für die Unterschiedlichkeit von uns als Individuen, dann muss es meiner Meinung nach vielfältigere Antworten auf die Frage, „ob es das alles braucht“, geben.
Zum Glück habe ich da diese wundervolle, smarte Freundin. Meine eine Freundin, die „was mit Gendern macht“. Also beruflich. Und sie nimmt sich Zeit für mich und meine vielen Fragen.
Alina, du bist Leiterin der Stabsstelle Diversity & Equal Opportunities an der Technischen Universität München, Speakerin und hast deinen eigenen Newsletter zum Thema Diversity. Wie ist die Reaktion im Allgemeinen, wenn du Menschen kennenlernst und sie von deinem Job erfahren?
Oft teilt sich das in zwei Lager. Entweder sind Personen super interessiert und kommen sehr leicht mit dir ins Gespräch. Sie möchten mehr wissen bzw. haben schon mal irgendetwas gehört, was mit dem Thema zu tun hat, haben eine eigene Meinung dazu oder möchten ihre Gedanken dazu äußern. Das andere Lager sind die, mit denen das Gespräch schnell vorbei ist, weil überhaupt kein Interesse vorhanden ist, was auch absolut in Ordnung ist.
„Viele Menschen reagieren emotional auf das Thema und möchten eine persönliche Geschichte teilen. Denn von allen Diversitätsdimensionen ist das Geschlecht vermutlich das, mit dem man sich von Kindheit an ganz automatisch beschäftigt.” - Dr. Alina Gales
Du hast mir mal erzählt, dass du manchmal gerne in privaten Runden einen anderen Job nennen würdest. Weil deiner oft Diskussionen anregt bzw. weil sich die Menschen oft eingeladen fühlen, ihre Meinung oder persönliche Erlebnisse zu diesem Thema zu teilen. Was aber macht das Thema so emotional? Offensichtlich hat jeder irgendwie eine Meinung dazu…
Ja, ich nehme oft eine emotionale Reaktion auf das Thema wahr – egal in welche Richtung. Das ist aber nicht der Grund, warum ich manchmal lieber in Small Talk verfallen würde, sondern: Wenn man sich mit Diversität im beruflichen, vor allem im Universitätskontext beschäftigt, sind die Diskussionen darüber sehr vielschichtig und sollten immer theoretisch untermauert, das heißt wissenschaftlich begründet sein. Diesem Standard möchte ich gerecht werden – auch im Privaten. Das heißt, banale Aussagen fallen mir schwer, was manchmal herausfordernd oder anstrengend ist, weil es viel Energie braucht. Deshalb würde ich das Job-Thema manchmal ganz gerne vermeiden im privaten Kontext.
Das Emotionale ist nochmal ein anderes Thema. Viele Menschen reagieren emotional auf das Thema und möchten eine persönliche Geschichte teilen. Vor allem bezogen auf die Gender-Thematik. Denn von allen Diversitätsdimensionen ist das Geschlecht vermutlich das, mit dem man sich von Kindheit an ganz automatisch beschäftigt. Auch wenn man sich persönlich nicht ständig mit dem Thema auseinandersetzt, wird man zumindest von seinem Umfeld auch über das Geschlecht wahrgenommen und aufgrund dieser Wahrnehmung auf eine gewisse Art und Weise behandelt. Natürlich kann man sich im Laufe des Lebens eine andere Zuschreibung geben. Nichtsdestotrotz ist das Geschlecht ein Aspekt, über den wir mit am häufigsten wahrgenommen und bewertet werden. Das Thema führt zu emotionalen Gesprächen, weil wir alle schon in Situationen waren, in denen wir auf unser Geschlecht reduziert wurden.
Lange habe ich nicht wirklich verstanden, was du eigentlich machst. Diversity Management – kannst du das noch einmal erklären?
In meiner Rolle an der Technischen Universität München teilen sich meine Aufgaben in drei große Bereiche, würde ich sagen. Einmal ist es das Konzeptionelle, das heißt, Maßnahmen, Projekte und Programme umzusetzen, um die Diversität an der Universität zu erhöhen. Ein Beispiel dafür ist der Women in STEM Round Table - TUM Equal Opportunity. Wir holen Role Models an die Universität, die jungen Frauen Vorbilder sein können hinsichtlich bestimmter Karriere-Entscheidungen. Mein zweiter großer Bereich ist das Strukturelle. Ich versuche, die Strukturen an der TUM so zu optimieren bzw. zu verändern, um die Menschen zusammenzubringen, die sich mit dem Thema Diversität an der TUM beschäftigen, oder die wichtige Schnittstellen sind, um Diversitätsthemen voranzutreiben. Der dritte Bereich ist Beratung. Das heißt, ich bin eine Ansprechperson für Studierende und für Mitarbeitende, die etwas stört und die sich eine Veränderung wünschen. Wenn es eigene Initiativen oder eigene Ideen gibt, setzen wir uns zusammen und versuchen, die Vorschläge und Wünsche gemeinsam umzusetzen.
Gibt es Momente im Alltag, in denen dir bewusst wird, wie relevant dein Job ist und wie weit wir noch entfernt sind von einer „perfekten“ Welt, in der Diversität als komplett normal angesehen wird?
Beispiele, in denen ich denke, dass mein Job relevant ist, die begegnen mir sehr häufig, auch im Privaten. Sei es die Freundin, die sagt, sie möchte nicht, dass ihre Tochter homosexuell ist, oder der Typ auf der Party, der den Song eines südafrikanischen Künstlers lauthals an die eine anwesende Schwarze Person richtet mit dem Kommentar: „Das wird dir bestimmt gefallen.“ Und auch wenn man glaubt, „sowas sagt doch niemand“, wenn man gut genug zuhört, dann fallen solche Aussagen öfter, als man denkt. Vor allem in Kreisen, von denen man das nicht erwartet, oder in denen es anders sein sollte. Es kann also nicht genug Aufklärung in diesem Bereich geben. Denn es ist noch ein weiter Weg.
Wenn wir mal innerhalb des Themas Diversität den Fokus auf das Thema Gender legen, was auch der Fokus deiner Forschungsarbeit* ist – was glaubst du, braucht es auf lange Sicht, um unsere Welt wirklich gleichberechtigt bzw. divers zu machen?
Das kann ich nur theoretisch beantworten. Und auf einen überschaubaren Bereich begrenzt, sagen wir Deutschland. In erster Linie einmal das Wissen. Und Wissen heißt Informationen. Dass ich selbst darüber informiert werde, was Diskriminierung mit meinen Mitmenschen, vor allem mit Menschen, die mir persönlich nahestehen, macht. Sei es die Tochter, sei es die Schwester oder der Bruder. Zahlen und Fakten sind das eine. Aber persönliche Geschichten und Erfahrungen sind das, was Veränderung in den Menschen schafft – Stichwort Awareness. Es muss uns selbst bewusst werden und dann müssen wir darüber sprechen. Darüber hinaus muss sich am System etwas ändern, das heißt politisch und rechtlich. Beziehungsweise müssen Anreize geschaffen werden oder wirklich Gesetzesänderungen eintreten, um der Gleichberechtigung näherzukommen.
Was würde das beinhalten? Eine Frauenquote zum Beispiel?
Ja, das könnte ein Weg sein. Oder eben auch eine veränderte Gesetzeslage, wie beispielsweise das Thema Ehegattensplitting oder das Thema Schwangerschaftsabbruch. Es gibt viele Bereiche, die gesetzlich geregelt sind, aber es gibt vieles, bei dem – direkt oder indirekt – Frauen nicht dieselben Privilegien oder Freiheiten haben wie Männer.
Oftmals wird kritisiert, dass eine Quote nicht die Antwort ist. Beziehungsweise wird impliziert, dass die Frauen die Stelle „nur“ wegen der Quote haben, nicht aufgrund von Kompetenz und Talent. Was sagst du zu solchen Aussagen?
Naja, das würde implizieren, dass Frauen bis heute ausgeschlossen wurden aufgrund fehlender Kompetenz. Das ist aber gleichzeitig das Gegenargument zu der Aussage, denn es gibt genug qualifizierte Frauen – man muss sich dafür nur die Zahlen im Abitur oder Studium anschauen. Die Aussage würde außerdem implizieren, dass alle Jahre zuvor nur aufgrund von Kompetenz mehr Männer als Frauen (oder eher ausnahmslos Männer) in hohe Positionen gekommen sind. Das wiederum würde implizieren, dass bis heute kaum Frauen überhaupt die Kompetenz haben. Und das war weder früher noch heute so. Wir wissen alle, Positionen werden nicht rein nach Kompetenz vergeben, sondern nach Netzwerken, nach Gunst, danach, wie ähnlich mir jemand ist, wie sympathisch und so weiter. Denn mit wem verbringst du gerne deine Zeit? Ja, mit Menschen, die dir ähnlich sind. Und es fällt einem leichter, diesen Personen etwas zu gönnen, etwas zu schenken und eben auch eine Job-Empfehlung oder ein Job-Angebot weiterzuleiten. Und genau deshalb braucht es im ersten Schritt sowas wie eine Quote.
Glaubst du denn, es wird jemals einen Zustand der kompletten Gleichberechtigung geben? Dr. Alina Gales: „Ja, aber ich werde es nicht erleben.”
In Österreich gibt es gerade viele Diskussionen bezüglich der Gender-Sprache, da in niederösterreichischen Behörden mit 1. August 2023 das Gendern verboten wurde. Kannst du dazu etwas sagen?
Gendern ist ein wahnsinnig aufgeladenes Thema und ich finde es schade, dass es oft als einziges Thema im Bereich Gleichberechtigung so viel Aufmerksamkeit bekommt. Aufmerksamkeit, die andere wichtige Themen nicht bekommen. Ist es relevant? Ja. Würde ich es empfehlen? Ja. Aber für mich ist es nicht das einzige Tool, das zählt. Für mich ist jemand, der nicht gendert – aus welchen persönlichen Gründen auch immer –, aber in anderen Bereichen progressiv ist, nicht weniger feministisch. Ebenso ist jemand, der strikt gendert, dafür aber an seiner Einstellung bzw. Weltanschauung nichts ändert, niemand, der Diversität wirklich fördert. Es geht nicht darum, blind strikte Regeln zu befolgen. Es ist eine innere Einstellung und vor allem das eigene Bewusstsein. Natürlich ist Gendern ein wichtiges Thema und es ist richtig, es zu diskutieren. Denn Sprache hat einen Einfluss darauf, wie wir auf die Welt blicken, und es macht einen Unterschied, ob ich jeden Beruf nur in der männlichen Form ausspreche: der Ingenieur, der Lehrer, der Chef… Weil es einen Einfluss darauf hat, wen ich mir darunter vorstelle. Es beeinflusst also mein Weltbild. Aber ich glaube nicht, dass Gendern allein zur Gleichberechtigung führt.
Was sollten Themen sein, denen wir mehr Fokus geben sollten?
Dem Zwischenmenschlichen. Den kleinen Dingen im Alltag. Unserem Umgang miteinander. Wir sollten uns fragen: Wie gehe ich mit Personen um, die sich zum Beispiel einem anderen Geschlecht zugehörig empfinden als dem, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde? Wie behandle ich Frauen im Privaten und im Beruflichen? Was empfinde ich bei sexistischen Witzen oder abwertenden Lästereien? Wie positioniere ich mich? Wie biete ich Unterstützung an? Im beruflichen Kontext kann es sein, diesen Personen mehr Raum, mehr Visibilität zu geben, Kontakte herzustellen. Das heißt, diese Personen zu fördern und auch in Bezug auf körperliche Unterschiede, die Unversehrtheit dieser Person zu gewährleisten. Ein Ansatz kann und sollte auch im Politischen sein, weil das Politische prägend ist für unser Zusammenleben. Das bedeutet, sich zu informieren, sich für Gesetzesänderungen einzusetzen, oder Petitionen zu starten und zu unterschreiben.
Danke Alina! Danke für das Gespräch, das für mich noch lange nicht beendet ist, sondern erst der Anfang einer wichtigen Entwicklung.
Gedicht von Lisa Aschenbrenner
Nach unserem Gespräch ist mir noch klarer geworden, dass das Thema Diversität nicht mit einer „einfachen“ Antwort gelöst ist. Es gibt nicht „die eine Maßnahme“, die reicht. Ausgrenzung geschieht auf so vielen verschiedenen Ebenen, die man als Person, die davon nichts spürt, oft vergisst.
Es bringt niemandem etwas, wenn alle öffentlichen Dokumente gegendert sind, sich aber an der Einstellung des Einzelnen nichts ändert. Es bringt aber auch niemandem etwas, wenn öffentlich darüber diskutiert wird, ob das Sternchen seine Daseinsberechtigung hat, wenn die Vorurteile im Kopf dadurch die gleichen bleiben. Oder vielleicht sogar verhärtet werden.
Vielleicht hilft es uns, wenn wir Diversität als einen Prozess sehen, den wir als Gesellschaft durchlaufen müssen. Ein Veränderungsprozess. Und Veränderung findet immer in Phasen statt. Vielleicht macht es das leichter. Leichter, Rückschläge, endlose Diskussionen und Unverständnis zu akzeptieren. Für den Moment zumindest. Gleichberechtigung ist kein Genderstern allein, aber vielleicht braucht es ihn. Vielleicht braucht es auch die Diskussion. Vielleicht braucht es das alles, um von der Phase des Schocks und der Ablehnung durch die emotionale Akzeptanz und das Lernen in die Phasen der Erkenntnis und der Integration zu kommen. Und zwar alle gemeinsam.
* Ihre Promotion in Gender Studies in Engineering & Science schloss Alina Gales an der TUM ab, innerhalb derer sie als Gastwissenschaftlerin an der UC Berkeley in den USA war. Ihr Forschungsinteresse galt der wechselseitigen Beeinflussung von Technologie und Gesellschaft in Bezug auf Frauen.
Dr. Alina Gales
In ihrer Position als Leitung der Stabsstelle Diversity & Equal Opportunities berät Dr. Alina Gales die Geschäftsführende Vizepräsidentin für Talentmanagement und Diversity, Prof. Dr. Claudia Peus, bei strategischen Aktivitäten, um die Technische Universität München (TUM) zu einer noch diverseren und inklusiveren Hochschule und Arbeitsstätte zu entwickeln. Sie beschäftigt sich hierbei mit der Konzeption, Evaluation und dem Monitoring von Diversity-Maßnahmen für die TUM. Ihre Promotion in Gender Studies in Engineering & Science schloss Alina Gales an der TUM ab, innerhalb derer sie als Gastwissenschaftlerin an der UC Berkeley in den USA war. Neben ihrem Forschungsinteresse der wechselseitigen Beeinflussung von Technologie und Gesellschaft in Bezug auf Frauen befasst sie sich mit Diskriminierungen durch Künstliche Intelligenz und hält Vorträge hierzu in Unternehmen, im Hochschulkontext und bei zivilgesellschaftlichen Organisationen. In ihrem wöchentlichen Newsletter teilt Alina Gales neueste mediale Publikationen mit Bezug zu Diversität. Außerdem organisiert sie ein regelmäßiges Frauen-Netzwerk-Event in München unter dem Titel „Female Salon".
Unsere Autorin
Lisa Aschenbrenner ist leidenschaftliche Alltagsphilosophin mit Talent für wilde Farbkombinationen, und systemische Coachin, die das Wort Coach ganz schrecklich findet, Fragen aber liebt. Mit Leidenschaft und gerne ehrlich schreibt sie über ihre täglichen Struggles auf der Suche nach dem Glück. Sie lebt irgendwo zwischenMünchen und Berlin, schreibt im Kopf bereits ihr erstes Buch in NYC und arbeitet als Texterin & Concepterin. Ihr Credo? „Worte sind meine Kunst. Meine Poesie. Mein Wegweiser. Ich bin davon überzeugt, dass Worte die Welt verändern. Und deshalb teileich meine.“
Ihre wöchentliche Substack-Kolumne „The weekly {B}LA” gibt es hier.