TEXT & INTERVIEW: THERESA LACHNER
Kein Witz: Ein 30-jähriger Wiener Künstler sucht per Flyer weltweit nach der großen Liebe. Analoge Romantik oder ausgeklügelte Marketingaktion?
Als ich an jenem Sonntag im Mai am Stubentor in der Wiener Innenstadt vorbei spaziere, suche ich eigentlich gerade nach Kaffee – doch der Flyer mit diesem Text, einem lustigen Foto, Abreißzettel, QR-Code, Email-Adresse und Telefonnummer sticht mir ins Auge. „Ein Teil von mir ist sehr zynisch, ein Teil will journalistisch wissen, was dabei rauskommt, ein Teil sagt: Single women, gönnt euch (und sagt Bescheid, wie das Date war)“, poste ich in meiner Instagram-Story. Zwei Monate später bekomme ich dann auch meinen Kaffee – in Marcin Glods Atelier im 7. Bezirk in Wien. Der 30-Jährige arbeitet als bildender Künstler am Schnittpunkt von Streetart, Graffiti und Malerei, davor hatte er eine Branding-Agentur.
myGiulia: Wie bist du denn auf die Idee gekommen, mit Flugzetteln nach der großen Liebe zu suchen?
Marcin Glod: Ich war geschäftlich in New York unterwegs und habe mit ein paar Kumpels zufällig auf der Straße eine ähnliche Anzeige gesehen. Wir dachten uns, es wäre doch lustig, das für mich umzubauen. Ich hab das nicht groß überdacht, sondern einfach gemacht, aber wir haben sofort gemerkt, dass die Leute darauf reagieren, Menschenmassen davor stehen geblieben sind, darauf gezeigt und gelacht haben. Dann kamen die ersten Anrufe, die ersten sind mir auf Instagram gefolgt und fanden es geil, dass man sich was traut und irgendwie anders denkt. Ungefähr 30 Frauen haben sich gemeldet und mir geschrieben, dass sie genau dasselbe auch machen wollten – und auch Männer haben mir geschrieben, dass sie das mutig finden.
Findest du das denn auch? Also hat es sich mutig angefühlt, sich da als Mann hinzustellen und zu sagen „Ich hätte gern eine Freundin“? Macht man sich damit gerade als Mann besonders verletzlich?
Ja, absolut. Meine Mutter meinte auch: „Puh, willst du wirklich jetzt so als der Suchende in der Öffentlichkeit stehen?“ Aber an den Reaktionen habe ich gemerkt, dass das eine Aktion ist, die etwas auslöst in den Menschen und ich dachte mir, ich baue das aus, weil ich sowieso beruflich sehr viel reise. Ich habe die Flyer einfach mitgenommen und überall aufgehängt, wo ich hingekommen bin. Es ist dann ein bisschen eskaliert (lacht). Ich habe mir ein eigenes Handy besorgt, weil ich die Nummer ja auf dem Flyer öffentlich gemacht habe. Ich finde es wichtig, dass Menschen mich anrufen und mich nicht nur über Instagram anschreiben können. Das war sehr neu und spannend, unter anderem auch ein Sozialexperiment: Ich teste den Zugang der Menschen, wie sie sich verhalten. Ich finde nicht so gut, dass sich alles ins Digitale verlagert und wollte deshalb auch wissen: Was passiert, wenn du jetzt da deine Nummer öffentlich aufhängst? Viele haben angerufen und es waren wirklich coole Gespräche dabei.
Marcin zeigt mir die Analytics-Daten seines Anmeldeformulars: Über 8800-mal wurde das Formular schon angeklickt, rund ¼ haben es auch tatsächlich ausgefüllt. Auf die Frage „Was für eine Art Date hättest du gerne?“ wünscht sich knapp die Hälfte eine gemeinsame kreative Aktivität: malen, gemeinsam kochen – einfach mal was anderes als das übliche Vorstellungsgespräch-Setting im Café.
In deinem Flugzetteltext steht, du bist „tired of the single scene” – erzähl mal, in welcher Szene warst du da unterwegs und was daran hat dich müde gemacht?
Ich war etwa ein Jahr lang auf zwei Dating-Apps: Raya und Hinge. Und ich muss sagen, ich habe mit vielen Frauen geschrieben und viele Matches gehabt und das war schon cool, aber ich habe nicht wirklich viele Frauen getroffen und mich schon oft gefragt: „Was mach ich da eigentlich?“ Mir sind diese ganzen Plattformen generell zu oberflächlich, es ist so unpersönlich. Und gleichzeitig ist es durch Apps auch schwieriger, Menschen auf der Straße oder unterwegs kennenzulernen. Jeder ist in seiner Welt und eh schon genervt, alle sind ein bisschen Dating-App-müde. Das ist so eine komische Bubble, finde ich. Die Menschen konsumieren viel zu viel, im Supermarkt hast du alles in zwanzigfacher Ausführung, in der App hast du fünfhundert Männer… Da wäre doch jeder überfordert.
Und jetzt per Zettel ist es besser?
Ja, viel besser! Wenn dich wer anruft, redest du halt mal 20 Minuten, und bist gleich auf einer persönlichen Ebene, wie früher halt, zurück zum Ursprung! Wenn jemand mir eine SMS schreibt „Hallo, wie geht’s?“ und ich weiß nix von der Person, fühl ich mich wie vor 20 Jahren, da ist eine ganz andere Spannung da. Es ist viel besser, dass du nicht gleich jemanden googlen kannst und schaust, was die macht. So kann ich mich mehr auf das konzentrieren, was die Person über sich erzählt und ob ich das interessant finde.
Wie viele Frauen triffst du dann? Das klingt ja nach einem eigenen Fulltime-Job!
Ich würde das gerne viel mehr machen, aber ich muss natürlich auch Geld verdienen und arbeiten. Ich kann nicht jeden Tag jemanden treffen. In zwei Wochen fliege ich zum Beispiel nach Zürich, dann schaue ich mir vorab im Kontaktformular an, wer sich aus Zürich gemeldet hat, mit wem ich mich treffen will und schreibe dann die Person so eine Woche vorher an, ob sie Lust hat. Ich habe jetzt in verschiedenen Städten schon vier Frauen getroffen. Ich gehe das Ganze aber eher langsam an, man hat ja keine Eile. Wenn man sich gut versteht, trifft man sich wieder oder telefoniert mal. Ich bin jetzt nicht von heut auf morgen auf Sexuelles aus und muss sofort jede anschmusen, ich bin ja schon älter (lacht). Ich bin gerne Gentleman, gehe das erwachsener an, weil wenn es wirklich zu etwas führen soll, finde ich es schöner, wenn sich die Spannung langsam aufbaut, man sich wie zufällig berührt und es dann langsam intimer wird. Auf Dating-Apps und über Instagram hat man vorher schon das Gefühl, die Person zu kennen, dann trinkt man was und hakt das Sexuelle dann halt so mit ab, so auf „auch schon wurscht“. Darauf habe ich keine Lust.
Also hast du richtige Blind Dates auch, dass du noch gar nicht weißt, wie die andere Person aussieht?
Nein, aber das will ich jetzt unbedingt machen! Im Formular können Personen ihren Instagram-Handle hinterlegen, da schaue ich schon manchmal rein. Aber eigentlich will ich auch unbedingt eine Person treffen, von der ich noch gar nichts optisch weiß. Ein paar Emails ganz ohne Infos habe ich auch bekommen.
Du schreibst ja in deinem Flyer, du suchst nach der perfekten Frau – wie muss die denn sein? Perfekt klingt ja schon nach hohen Ansprüchen...
Das ist natürlich absichtlich provokant formuliert. Perfekt gibt es natürlich nicht, das liegt im Auge des Betrachters, aber vielleicht gibt es ja perfekt für mich! Mit Äußerlichkeiten wie der Augenfarbe oder einer Supermodelfigur hat das jetzt aber gar nichts zu tun.
Für mich klingt das auch, als würdest du nach dem Zauber suchen, den uns die Dating-Apps ein bisschen weggenommen haben...
Ja, genau! Gleichzeitig investierst du bei einem Date ja auch immer Zeit in eine Person, die du noch gar nicht kennst, und denkst dir dann teilweise „Oida, was mach ich hier?“ – aber das kann auch lustig sein. Oder du denkst dir „Oh, die ist atemberaubend, wie ist das passiert, das muss Schicksal gewesen sein!“ – kann auch passieren!
Wo ist für dich der Funke, wenn dir jetzt jemand schreibt, dass du dir denkst, „diese Person klingt jetzt aber spannend, die will ich unbedingt treffen“ – kannst du das für dich irgendwie festmachen?
Wenn die Leute sich wirklich Mühe geben, kreativ sind, direkt anrufen oder was wirklich Schönes schreiben, finde ich das interessant. Aber es ist auch ein bisschen Zufall. Wenn ich eh grad am Handy bin, mir fad ist, weil ich im Bus sitze, dann komm ich auch eher zum Zurückschreiben. Ich freue mich, wenn Menschen über die Zettel zu meinen Ausstellungen kommen, sich trauen, mich einfach anzusprechen.
(Anm. der Red.: Die nächste Möglichkeit in Wien dazu ist bei der Eröffnung von Marcins neuer Ausstellung in der Solebox am 9. August.)
Jetzt mal die Oma-Frage: Warum bist du denn überhaupt noch Single?
Naja, weil ich sehr, sehr, sehr viel arbeiten muss und als Künstler und Kreativer auch viel Freiraum brauche. Ich war in einer zweijährigen Beziehung, wir hatten auch gemeinsam einen Hund. Ich habe mich zu einem Familienleben gedrängt gefühlt, das war mir zu viel. Danach habe ich erst mal ein Jahr Pause gebraucht und mir meine Ziele fürs Leben angeschaut. Wenn ich jetzt wieder eine Beziehung eingehe, dann muss das erwachsener und besser vereinbar mit meinem Leben sein.
Also so ein klassischer Lebensentwurf mit Haus, Frau, Kind und Hund steht gerade nicht so weit oben auf der Prioritätenliste?
(lacht) Nein! Also ein Haus hätte ich schon irgendwann gern, aber ich will weiterhin viel reisen, den Winter vielleicht in Spanien verbringen. Also gern eine Base irgendwo, aber jeden Tag derselbe Job, jeden Tag dasselbe Haus, das will ich nicht. Das wäre doch schade fürs Leben.
Finde ich auch. Du bist ja jetzt als Jahrgang 1994 Teil einer Generation, die mit einer anderen Selbstverständlichkeit mit Dating-Apps aufgewachsen ist, als die meisten unserer Leser*innen. Tinder gibt es jetzt seit 12 Jahren, seitdem hat sich das Anbahnen von Beziehungen komplett verändert. Hast du das Gefühl, es ist heute selbstverständlicher und auch normalisierter, sich online kennenzulernen?
Meine letzten beiden Beziehungen sind über Dating-Apps entstanden. Ich habe Tinder direkt in der Anfangsphase genutzt, da war das neu und cool – meiner Ansicht nach ist das seit etwa sechs Jahren nicht mehr so, ich würde das nicht mehr machen wollen. Da geht es sehr um Masse, viele Fake-Profile und Bots. Hinge und Raya fand ich noch ein bisschen persönlicher.
Wir Frauen schimpfen ja gern stundenlang, wie schrecklich die Profile der Männer sind in den Apps – immer diese Fotos beim Extremsport oder mit wilden Tieren...Horror... Wie sieht das auf der anderen Seite aus? Geben sich Frauen mehr Mühe bei der Präsentation?
Ja, schon! Frauen achten viel mehr auf sowas. Die Frauenprofile sind aber teilweise schon zu perfekt. Schöne Fotos, schön bearbeitet, Magazin-Look. Obwohl, ich will es nicht schlechtreden, weil ich mach das ja auch. Ich will auch, dass es ein tolles Foto von mir ist, weil es ja auch ums Verkaufen nach außen geht. Grundsätzlich ist an einem guten Auftritt nichts Schlechtes. Da könnten sich die Typen vielleicht auch mal mehr Mühe geben!
Weißt du noch, wie viele Zettel du insgesamt aufgehängt hast, und wo überall?
Puh! Wahrscheinlich insgesamt an die 5000. Die hängen mittlerweile in etwa 20 Städten. Inzwischen drucken auch Freunde und Fans die Zettel aus und hängen sie auf.
Wie viele Rückmeldungen hast du inzwischen schon bekommen?
Es wird durch die verschiedenen Kontaktmöglichkeiten (Telefon, WhatsApp, Instagram, Emails und Anmeldeformular) langsam schwierig zu zählen, aber so um die 6000 müssten es inzwischen schon sein.
Und bringt dir diese Aktion jetzt eigentlich auch was für dein Business?
Für meine Persönlichkeitsmarke schon, für mein Business als Künstler jetzt eher nicht. Ich verkaufe ja keine Bilder über diese Aktion, ich habe noch keinen Cent damit verdient und ich werde es auch nicht tun. Für mich ist das Ganze kein Business, ich suche ja eine Frau. Das war jetzt keine strategisch geplante Marketingaktion. Es dreht sich step by step alles weiter. Ich habe eine Website dazu gemacht und eben auch ein Anmeldeformular für ein Date, damit das für mich logistisch einfacher ist – ich kann ja nicht allen antworten, „Wo wohnst du?“ und mich dann melden, wenn ich in deren Stadt komme, dafür sind es inzwischen zu viele.
Danke für das Gespräch und viel Erfolg noch bei der Suche!
Unsere Autorin
Theresa Lachner ist Journalistin und Host des Podcasts LVSTPRINZIP. Nach einem Doppelstudium in Literatur- und Kommunikationswissenschaften arbeitete sie als Filmkritikerin, Reisejournalistin und Texterin und lebte fünf Jahre als Digitalnomadin in 36 Ländern. Theresa arbeitet neben ihrer Autorinnentätigkeit zudem als Referentin zu sexualisierter Gewalt in Paarbeziehungen sowie als Systemische Sexualberaterin im Einzel- und Paarsetting.